25 - Tannengrün

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▷ Novo Amor - Carry You ◁

Ich liege im Bett und bin hellwach. Diese Schlafstörungen bringen mich irgendwann noch um den Verstand. Tagsüber kann ich nicht verhindern, dass meine Augenlider hin und wieder wegklappen. Mein Wunsch, mich wieder in mein Bett zu legen ist so groß wie der Machu Picchu. Die Vorstellung, wieder im Bett zu liegen ist so wunderschön, dass ich auch nicht gerade selten angerempelt werde, weil ich beim Tagträumen erwischt werde. Dass es mir peinlich ist erwischt zu werden, das versuche ich natürlich zu verstecken.

Ergeben schlage ich die Augen auf. Keine der ausprobierten Einschlafpositionen ist gemütlich genug und lässt mich endlich ins Reich der Träume fliegen. Mein Herz rast und ich werde immer wütender. Nicht nur Gedankenfragmente surren in meinem Kopf umher, nein, auch sturmblaue Augen starren mich wissend an. Und es macht mich wütend, dass ich an sie denken muss. Ich kann gerade noch verhindern, dass ich laut aufstöhne, weil mein Kopf so voll ist. Energisch schlage ich die Decke zurück und ziehe mir meine Klamotten wieder an. Wer braucht schon Schlaf? Ist doch sowas von unnötig.

Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy, 23 Anrufe in Abwesenheit. Wenn sich meine Mutter etwas in den Kopf gesetzt hat, dann versucht sie es auch mit allen Mitteln durchzusetzen. Schnell klicke ich auf die Anrufliste, damit die rote Blase am Startbildschirm verschwindet und mir die Anrufzahl nicht mehr anzeigt. In einem Schwung stopfe ich es in meine Tasche, die ich vom Boden aufhebe und schleiche leise aus dem Zimmer. So leise wie möglich versuche ich - wie üblich - die Treppen zum Raucherraum hinunterzusteigen. Aber natürlich machen die Stufen Lärm. In der absoluten schweren Stille der Klinik klingte das Knarzen wie laute Schüsse und ich zucke bei jedem Geräusch zusammen. Innerlich bete ich, dass ich niemanden aufwecke. Freudig seufze ich auf, als ich endlich den Kellerboden unter den Füßen habe, der keinerlei Geräusche macht.

Die Tür zum Raucherraum quietscht - natürlich, wie soll es auch anders sein? Vorsichtig sehe ich in den Raum. Heute ist er gut besucht. Neben Noah, der irgendwie immer da ist, sitzen auch Timo, Aaron, Kai und Kati am Tisch. Es ist kein Stuhl mehr frei und ich stelle mich an die Wand.

"Lia, setz dich doch. Ich gehe sowieso gleich." Timo steht auf und deutet mit Nachdruck auf seinen Stuhl.

"Danke", murmle ich und lasse mich darauf nieder. Ich sitze jetzt genau gegenüber von Noah, der sich angeregt mit Kati und Aaron unterhält.

Ich zünde mir eine Zigarette an und inhaliere den Rauch tief. Eigentlich hasse ich es, in einem Zimmer zu rauchen. Eher liebe ich es, dies unter freiem Himmel zu tun.

Aaron, Noah und Kati unterhalten sich angeregt über Fußball, ein Thema, dem ich nicht ganz so folgen kann. Kai sitzt still am Tisch und tippt auf seinem Handy herum. Timo winkt zum Abschied und verlässt die illustre Runde. Ich fühle mich nicht wohl, mit so vielen Menschen am Tisch. Da ich nicht wirklich weiß, wo ich sonst hinsehen soll, beobachte ich Kati, Noah und Aaron während ihres Gesprächs. Ich sehe hin und her und überspringe Noah gewissentlich. Zumindest versuche ich es. Es ist, als würden meine Augen ein Eigenleben führen, denn irgendwann bleiben sie bei ihm hängen. Und dann bemerke ich, dass auch er mich ansieht. Er starrt, aber sein Gesichtsausdruck ist neutral. Ich suche in seinen Augen nach Hass oder Abneigung, werde aber nicht fündig. Ich weiß nicht, wie lange wir uns ansehen, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Als würde sich zwischen uns ein Band legen, das uns verbindet. Sein Blick macht mich nervös. So sehr, dass ich rot werde und meine Hände schwitzig. Ein Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht, so entwaffnend, dass ich es nur erwidern kann. Seine Grübchen bilden sich und ich muss noch breiter grinsen. Ich habe das Gefühl, als wären wir vollkommen allein im Raum. Nervös schlucke ich und unterbreche den Sichtkontakt. Ich starre auf Katis tannengrünen Nagellack und beobachte fasziniert die Lichtspiegelungen darin.

NOAH | ✓Where stories live. Discover now