07 - Kirschrosa

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▷ Jonah - All We Are ◁

Wir starren uns an und ich kann mich nicht von seinem Blick lösen. Seine Augen sind wie Magneten, die mich festhalten und mich alles um uns herum vergessen lassen. Noah schluckt und runzelt die Stirn. Ich komme mir vor, als wären wir beiden zusammen in einem Boot, das sich mitten im Meer befindet. Aber diese Verbindung ist nach wenigen Sekunden wieder zerissen. Ein dunkler Schatten huscht über sein Gesicht, er löst sich aus seiner Starre und blinzelt mehrmals. Als hätte er einen Schalter in seinem Kopf umgelegt. Dieser kleine Moment zwischen uns ist binnen weniger Sekunden wieder vorbei.

"Du brauchst gar nicht so blöd zu gucken. Wenn du das alles alleine machst, bekommt niemand sein Essen, weil alle auf dich langsame fette Schnecke warten müssen. Also beweg deinen Hintern endlich ein bisschen schneller. Das kann doch niemand sehen." Seine Stimme donnert durch den Speisesaal und ich starre ihn weiterhin sprachlos an.

"Warum hasst du mich nur so?", flüstere ich und kann nicht verhindern, dass sich Tränen in meinen Augen sammeln. Ich verfluche mich, weil ich nicht will, dass er mich so sieht. Sein Gesicht verschwimmt langsam vor meinen Augen und dennoch nehme ich den Schatten wahr, der sich erneut kurz über sein Gesicht legt. Doch bevor irgendeiner von uns noch etwas sagen kann, schiebt Aaron Noah beiseite und zieht mich an der Hand aus dem Saal.

"Nein, nein. Ich kann nicht. Ich muss den Tisch decken. Sonst bekommt niemand was zu essen", stottere ich und versuche, meine Tränen zurückzuhalten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass mich jemand auf dem Kieker hat und mich fertig macht, weil ich dick bin. Aber heute ist nicht mein Tag. Heute ist einfach nicht mein Tag. Ich bin übermüdet und habe Kopfweh. Ich fühle mich nicht wohl und irgendwie ziemlich alleine. Das einzige worauf ich mich heute freue ist die Maltherapie nach dem Abendessen. Das Einzelgespräch heute war der Horror und ich verschiebe den Gedanken daran in die dunkelste Ecke meines Gehirns. Nur nicht mehr daran denken, Lia. Zitternd streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht.

"Scheiß drauf, Lia. Klara kann ihren Hintern auch mal bewegen. Außerdem haben die anderen aus unserer Gruppe gesehen, dass du am Rudern bist. Die helfen dir schon, mach dir da mal keine Sorgen. Denk du erstmal an dich."

Ich atme tief ein und aus und versuche, meinen Herzschlag wieder zu beruhigen. Als ich mich kurz zur Glastüre drehe, sehe ich, dass die Leute tatsächlich helfen und mir die Sachen auf den Tisch stellen. Ein Mann redet verärgert auf Noah ein, der daraufhin einen kurzen Blick in meine Richtung wirft. Guck weg! Sofort drehe ich mein Gesicht der untergehenden Sonne entgegen und schließe die Augen. Der Gedankenwirbel in meinem Kopf macht mich verrückt und macht sich selbstständig.

"Ich weiß einfach nicht was ich ihm getan habe, weißt du? Es ist ja vollkommen legitim, dass er übergewichtige Menschen nicht schön findet. Aber dass er mich behandelt, als wäre ich ekelhaft und ein absolutes Stück Scheiße, tut mir weh. Ich dachte, wir sitzen hier alle im gleichen Boot. Menschen mit weniger guten Erfahrungen, mit vielen Scherben und Splittern im Herzen. Aber er? Er bricht mich in noch kleinere Splitter und wundert sich, dass ich verblutend vor ihm stehe. Eigentlich hatte ich gedacht, dass er irgendwann merkt, dass ich in Ordnung bin. Aber er ist so Anti-Lia, dass er einfach weiterhin Messer in die Wunden steckt. Es triggert mich so und er weiß es. Ich sehe in seinen Augen, dass er weiß, wie weh er mir tut. Aber er tut es einfach weiterhin. Er ... er hört einfach nicht auf." Ich schluchze leise auf und versuche, die Tränen zu unterdrücken.

Aaron drückt mich an sich und streicht mir beruhigend über den Rücken. Wenn er mich in den Arm nimmt, bekommt er sicherlich nicht die Hände an meinem Rücken zusammen. Ich löse mich von ihm und zünde mir fahrig eine Zigarette an. Die Tür zum Speisesaal wird geöffnet und niemand anderes als Noah steigt die Treppen hinab. Er mustert mich, während er sich eine Zigarette aus der Packung friemelt, sie in den Mund steckt und nach einem Feuerzeug kramt. Ich lege den Kopf schief und beobachte ihn, während er fieberhaft nach seinem Anzünder sucht. Stöhnend legt er den Kopf in den Nacken.

NOAH | ✓Where stories live. Discover now