Kapitel 63

413 13 3
                                    

Trotz der turbulenten Fahrt kommen wir heil beim Flughafen an. Nach Marcs zwanzigminütigem Gespräch mit unserem Minibusfahrer betreten wir den Flughafen von Ibiza und checken sogleich ein. Gala ist bereits auf der Fahrt eingeschlafen und Papa Marc trägt sie liebevoll auf dem Arm. Roman stösst abwesend den Kinderwagen von Abril vor sich hin und schneidet ab und zu einem Reisenden den Weg ab. So haben Melissa und ich beide Hände frei, der Duty Free Laden wartet auf uns. Roman stöhnt als wir uns ins Getümmel stürzen, unsere Kaufwut hält sich aber in Grenzen. Eine Packung Schokolade für den Flug, mehr kaufe ich nicht. Auch Melissa ist recht sparsam und so erreichen wir doch noch rechtzeitig den Flieger.

Da wir First Class fliegen, werden Roman und Marc auch selten erkannt, alle Mitreisenden sind auch gehobene Leute. Die kleine Gala schläft auf ihrem Sitz friedlich weiter, Melissa läuft mit Abril im Flugzeuggang auf und ab, um sie in den Schlaf zu wiegen und auch ich versuche die Augen zu schliessen und etwas abzudriften. Erstaunlicherweise bekomme ich vom ganzen Flug nicht eine Sekunde mit, selbst als Roman mich zur Landung anschnallt wache ich nicht auf. Doch aussteigen muss ich wohl oder übel wach und alleine. Unser Auto wurde natürlich schon abgeholt, wir müssen nur noch einsteigen und losfahren. Da Romans Karre genügend Platz für uns alle hat, fahren wir alle zusammen nach Münsingen, wo wir eine Nacht bleiben werden.

Eine Stunde später sind wir zurück im verschneiten Bern, wo Gala sofort den ganzen Schnee bewundert. Sie formt einen Schneeball und wirft ihn nach Marc, der schnappt sich die Kleine und wirbelt sie herum. Roman zieht sich seine Handschuhe über und wirft mit einer Ladung Schnee nach mir. Ich quietsche auf, renne einmal rund ums Auto und werde beinahe von einem laut schimpfenden Radfahrer plattgewalzt.

Roman zieht mich von der Strasse und küsst mich, genau in diesem Moment drückt Melissa mit der Handykamera ab. „Volltreffer!", jubelt sie und hält ihr Handy in die Luft. Ich halte inne und drücke Roman etwas weg. Dann laufe ich zu Melissa, um unser Foto anzuschauen. Ein wunderschönes Foto, wie aus einem kitschigen Modemagazin entsprungen. Nur dass wir nicht in perfekter Mode sondern in den grössten Pennerklamotten rumeiern und nichts Kluges tun.

Als unsere Hände vom Schnee so kalt sind, dass wir sie nicht mehr fühlen, klopfen wir an die Haustür. Familie Bürki empfängt uns mit offener Tür, wir können duschen, uns umziehen und sitzen dann mit dampfenden Teetassen auf dem Sofa. In Münsingen war scheinbar die ganze Zeit über Schnee, jedenfalls liegt fast ein halber Meter. Jedenfalls erzählt uns Marco, was in der letzten Woche hier so alles los war. Wir müssen die Geschichte mit Marc zehn Mal hoch und runter erzählen, dabei lassen wir kein einziges Detail aus. Dass Marc überlebt hat, hat er nur Romans starken Muskeln zu verdanken, mein Freund bestreitet das aber und meint, es läge an meinem klugen Kopf.

„Es liegt einfach an beidem, okay?", meint Marco lachend. „Ihr Streithähne solltet mal die Finger von Ferien und Ausflügen lassen. Erst das in Russland und jetzt das auf Ibiza." Ich grinse. „Ja, vielleicht wirklich. Aber wir können ja deshalb nicht einfach nicht mehr in den Urlaub fliegen.", überlege ich. „Wir müssen uns in den Griff kriegen." Auf diese Feststellung hin beginnt Romans Bruder laut zu lachen. „Ihr seid doch verrückt."

„Ein bisschen verrückt sein ist doch toll. Ich meine, du bist doch auch verrückt.", meint Roman und boxt seinem Bruder in den Oberarm. „Hey, pass auf was du tust. Und was du sagst. Aber wir wollen doch jetzt nicht den ganzen Nachmittag hier gelangweilt rumsitzen oder?", fragt er nach einer Weile. Marc, der nur Bahnhof verstanden hat, runzelt verwundert die Stirn. Roman versucht es mit ein paar Brocken Spanisch, was sehr lustig klingt.

Als Melissa, Marc und ich einen Lachkrampf kriegen zieht er die Schultern ein und verschränkt die Arme. „Nicht traurig sein, wir üben das noch. Okay?", frage ich ihn und übersetze dann alles auf Spanisch. „Spielen wir Activity?", fragt Marco plötzlich und holt das Spiel hervor. Ich nicke und auch unsere spanischen Freunde sind sofort einverstanden.

Fünf Minuten später geht das Haus in totalem Chaos unter. Cliff rennt Gala hinterher, die gerade einen Elefanten imitiert. Melissa und Marc knutschen rum, während Marco versucht die Dekoration zu retten, welche bei Cliffs Verfolgungsjagd zu Boden gegangen ist. Ich kann mich vor Lachen kaum auf dem Sofa halten und als Roman von seinem Toilettenbesuch zurückkommt muss er sich zusammenreissen um nicht loszuprusten. „Hilf mir lieber, anstatt hier so doof zu glotzen.", fährt Marco seinen Bruder genervt an.

Marc befreit Gala aus den Fängen des bösen Hundes (der hier nur halb so gross ist wie die Kleine selbst) und bringt sie auf dem Sofa in Sicherheit. Ich hebe Cliff hoch, damit er nicht in die Scherben tritt und die beiden Brüder kehren die Glassplitter auf. So endet der Spieleabend vor dem Fernseher, bevor noch mehr kaputt geht. Aber ich meine, Scherben bringen ja bekanntlich Glück, bei unserem Pech kann das nicht schaden.


***8. Januar 2019***

Die Rückreise nach Deutschland ist dann mehr Überwindung als Freude. Die Zeit in der Schweiz war sehr schön, ich kenne jetzt einige von Romans Freunden aus der Schulzeit und er hat mir den Fussballplatz in Münsingen gezeigt. Stolz ist er zum neuen Kunstrasen gegangen und hat erzählt, dass dort einst ein Sandplatz war. Zufälligerweise heisst der Fussballplatz Sandreutenen, das hat allerdings nichts mit dem Sandplatz zu tun.

Die Giesse, der kleine Bach direkt neben dem Fussballplatz, ist im Winter fast zugefroren. Wir haben einige Spaziergänge unternommen und ich könnte mir ein Leben hier sehr gut vorstellen. Es gibt zwei, verhältnismässig zum Dorf, grosse Einkaufszentren, die sich Coop und Migros nennen. Einmal haben wir sogar Romans Grossmutter einen Besuch abgestattet. Cliff ist viel bei ihr wenn er gerade in der Schweiz ist. In ihrem Garten hat sie sogar extra einen Zaun angebracht, damit er nicht wegläuft.

Gerade werden Koffer gepackt und im Auto verstaut. Natürlich haben auch die Bartras die Zeit hier sehr genossen, es war wunderschön. Marc erwähnt schon gefühlt zum 100. Mal, dass er die Kochkünste von Romans Mutter vermissen würde, wenn wir zurück in Deutschland sind. Dann ist es so weit. Es heisst Abschied nehmen. Etwas wehmütig schliesse ich die Tür von Romans Zimmer hinter mir und laufe zur Haustür, wo schon alle versammelt sind.

Als erstes schliesse ich Romans Eltern in die Arme. „Danke, dass wir so lange bleiben durften. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder.", meine ich traurig. Romans Vater nickt. „Ich komm euch bald besuchen." Marco drückt mich an sich. „Künftige Schwägerin, viel Glück und Erfolg zurück in Deutschland. Denk mal an mich und bitte komm uns wieder mal besuchen. Es wäre mir eine Ehre.", verkündet er feierlich. Ich lächle und drücke ihn fest an mich.

Alexia hat etwas wässrige Augen, als ich sie umarme. „Wir schreiben, ja?", fragt sie mich. Ich nicke, gebe ihr ein Küsschen auf die Wange und nehme dann Romans Hand. „Cliff, komm! Einsteigen!", rufe ich dem kleinen Hund, der sich von Marco löst und uns hinterherrennt. Gemeinsam laufen wir zum Auto und verstauen die letzten Dinge im Kofferraum, bevor wir einsteigen und losfahren.


-------------------

Das mit dem Fussballplatz aus Sand hab ich mir nicht ausgedacht, den gab's wirklich mal. Jetzt ist ein nagelneuer Kunstrasen, es tut so ziemlich weniger weh wenn man hechtet! Oder hinfällt!

Was passiert wohl wenn sie zurück in Dortmund sind? Hahahaaa, ich verrate nix!

Bis bald.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Where stories live. Discover now