Kapitel 15

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Weitere zehn Minuten später ist Erik befreit. Er steht jetzt auch zitternd am Ufer des Bachs. „Komm Erik, wir laufen noch bis zu den anderen und schlagen dort unsere Zelte auf. Dann können wir uns etwas wärmen." Nickend läuft er uns hinterher.

Als wir bei den anderen ankommen haben die bereits warmes Wasser aufgekocht. „Hinten im Gebüsch lag eine Pfanne. Die gehört bestimmt Marco, der hatte eine dabei." Ich nicke. „Gut, jetzt können wir heisse Wadenwickel machen damit die beiden nicht krank werden. Roman ist nämlich auch ins Wasser gestiegen."

Ann und ich machen uns auf der Stelle an die Arbeit, während die Anderen die restlichen Zelte aufstellen. Hendrik und Milli liegen schon wieder in ihren Schlafsäcken, während Roman und Erik sich am Feuer aufwärmen. Nuri, der sich vor seinem Bad im Bach die Schuhe und Socken ausgezogen hatte und somit wieder trocken und aufgewärmt ist, sucht gemeinsam mit Felix etwas Essbares und auch Marc zieht mit Mario umher, auf der Suche nach Feuerholz. Julian kümmert sich ein bisschen um alle, was die Arbeit hier allgemein erleichtert. Denn ich muss noch bei Hendrik den Verband wechseln, die Wickel bei Erik und Roman machen und Milli das Essen bringen. Ausserdem sollte ich selbst mein Knie noch versorgen und die Verbände an meinen Händen sind schon ganz schlammig.

Die Nacht streicht langsam übers Land und es wird dunkel. Alle liegen in ihren Zelten, ich schlafe diese Nacht nicht mehr im Dreimannszelt. Hendrik geht es der Situation entsprechend gut, er schläft viel und wir müssen ihn immer wieder zum Trinken und Essen auffordern. Nachdenklich kuschle ich mich tiefer in meinen Schlafsack um nicht zu frieren.

Plötzlich legt sich von hinten eine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich spüre wie sich etwas Warmes an meinen Rücken schmiegt. Vorsichtig drehe ich mich um und blicke in das Gesicht von Roman, der bereits tief und fest schläft. Lächelnd rutsche ich etwas näher zu ihm hin und sofort zieht er mich wie ein Kuscheltier an seine Brust. Ich spüre seinen Herzschlag und höre seinen Atem. Auf der Stelle wird mir warm, aber nicht nur am Körper. In der Magengegend fühle ich wie sich Wärme ausbreitet. Vielleicht wird die Zeit hier doch nicht so schlimm. Immerhin haben wir jetzt schon fünf Tage und vier Nächte überlebt, wir kommen hier bestimmt wieder raus.

„Worüber denkst du nach?", grummelt jemand über mir. „Darüber wie wir hier wieder rauskommen. Es muss doch eine Lösung geben. Wir müssen Hendrik in die Zivilisation zurückbringen. Wie lange wollen wir uns noch von Riegeln und komischen Gräsern ernähren? Irgendwann müssen wir was Richtiges essen, das ist doch nicht nahrhaft!", seufze ich und blicke hoch, direkt in zwei tiefbraune Augen. Die Augen schauen mich nachdenklich an. „Ich weiss es nicht. Aber wir schaffen das, ja?" Ich nicke und schliesse meine Augen wieder, während ich meinen Kopf an Romans Brust schmiege. „Schlaf gut Kleines."

Der nächste Morgen bringt die Kälte mit sich. Da ist er nun, Tag Nummer sechs in den russischen Bergen. Dabei sollte es eine schöne, geführte Tour werden. Ich weiss doch auch nicht, was diese Fussballmannschaft für ein komisches Wandertraining in den Bergen macht, aber mittlerweile bin ich richtig froh sie bei mir zu haben.

Anfangs dachte ich, dass Fussballer so abgehoben und hochnäsig sind. Roman und die anderen Jungs sind aber so ziemlich das Gegenteil. Irgendwie macht es mich traurig zu wissen, dass wir vielleicht hier gemeinsam unsere letzte Reise angetreten haben. Und doch bin ich glücklich zu wissen, dass ich es mit ihnen getan habe. Vorsichtig löse ich mich aus der Umklammerung von Roman und steige aus dem Zelt in die kalte Morgenluft.

Guten Morgen Russland. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, alle sind noch in den Zelten versteckt und schlafen solange sie können. Meine Augen suchen immer wieder das Gebirge ab, in der Hoffnung etwas zu hören. Irgendwie muss ja die andere Gruppe am Ende angekommen sein. Kann das sein, auch wenn die Wanderung normalerweise eine Woche dauert? Haben sie Hilfe geholt oder denken sie dass es uns gut geht, sind wir ihnen vielleicht sogar egal?

„Na, gut geschlafen?" Nuri kommt aus seinem Zelt raus und streckt sich. „Geht so, war schon mal besser. Aber ich möchte endlich nach Hause." „Glaub mir Sarah, das wollen wir alle. Ich habe mir dieses komische Ausdauertraining in den Bergen ehrlich gesagt auch anders vorgestellt. Etwas... wie soll ich sagen. Weniger gefährlich. Und auf jeden Fall lustiger und gemütlicher, sofern es hier oben gemütlich sein kann." Der junge Fussballer kommt auf mich zu und legte einen Arm um mich. „Aber wie oft haben wir es schon gesagt? Gemeinsam können wir das packen. Wir kämpfen gemeinsam!" „Ja, das tun wir. Wirklich!".

„Morgen." Grummelt es von hinten. „Erik!", rufe ich und falle dem jungen Spieler um den Hals. „Alles wieder okay?" „Naja, verstauchter Fuss aber sonst ist alles okay." Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen koche ich Wasser auf, um mit der Bergminze, welche ich hinter unserem Zelt gefunden habe, einen Tee zu kochen. Zwieback und Tee. Aber wir sollten gestärkt sein für den Weitermarsch.


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Und hier ist es, das neue Kapitel. Ich weiss, hat etwas lange gedauert, aber ich hoffe dafür gefällt es euch umso besser. Jetzt geht's für sie ums nackte Überleben. Viel Spass beim Lesen und bis bald.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Where stories live. Discover now