Kapitel 4

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Rückblick: Am Tag der Abreise

„Mensch Till, kannst du nicht mitkommen? Ich habe echt keine Lust hier alleine diese Wanderung zu machen", flehe ich. Mein Cousin sitzt mit verschränkten Armen auf dem Sofa in der Lobby und schüttelt den Kopf. Ich stehe mit Sack und Pack bereit für die einwöchige Wanderung durch die Berge Russlands.

„Ach sei doch kein Spielverderber und komm einfach mit. Die werden dich schon nicht beissen." Noch immer sitzt Tim stur dort. „Vergiss es. Ich geh nicht da raus. Der Wetterbericht hat schreckliches Wetter und Sturmböen gemeldet. Ausserdem weisst du genau, wie sehr ich Gewitter hasse! "

„Bitte Till. Komm mit mir!", bettle ich weiter. „Nein, kommt nicht in Frage." „Dann geh ich halt alleine. Ich wünsche dir dann eine schöne Woche und bis nächsten Samstag." Etwas enttäuscht laufe ich mit meinem Wanderrucksack davon. „Sarah, warte! Ich... muss dir was sagen." Durchdringlich sehe ich ihn an. „Ja was wäre das?"

„Ich habe... naja... es ist so... ich habe mir gestern beim Feiern den Fuss verstaucht." Kopfschüttelnd sehe ich ihn an." Komm, verarschen kann ich michvauch selber" Er lacht und nickt. „Doch hab ich. Geh ohne mich, ich warte hier und stelle ein Programm auf für nächste Woche, okay? Mir wird schon nicht langweilig und du hattest trotzdem deine Wanderung." „Okay, Deal."

Schon verlasse ich das Hotel und mache mich auf die Suche nach dem Treffpunkt. Ich gehe etwas mehr als fünf Minuten durch die Innenstadt, bis ich eine kleine Bushaltestelle sehe. Dort angekommen stehen schon lauter Männer in Kapuzenpullis rum. Im Ganzen sind wir eine Gruppe von etwa fünfunddreissig Personen.

In einem kleinen Kreis stehen etwa 20 Personen beisammen und mustern mich mit kritischen Blicken von oben bis unten, ehe sie sich wieder ihrem Gespräch widmen. Ich stelle mich etwas abseits zur Gruppe dazu, ehe Thomas, der Bergführer, uns instruiert.

Ein kräftiger Typ mit tiefbraunen Augen beugt sich zu mir runter. „Verstehst du irgendwas?", zischt er mir zu. Ich grinse. „Ne, leider nicht ein Wort. Dir scheint's dort oben auch nicht anders zu gehen", meine ich und deute auf seine Stirnrunzeln. Er lacht. „Nein wirklich nicht." Von hinten ruft jemand etwas dazwischen. „He Roman, schnapp sie dir." Von vornherein ist mir diese Gruppe, bis auf die Ausnahme von besagtem Roman, sehr unsympathisch. Alle, vis auf wenige Ausnahmen, ziemlich kräftige Kerle, bestimmt irgendwelche Kraftsportler, die hier ihren Wagemut und ihren Kampfgeist auf die Probe stellen wollen. Kopfschüttelnd wende ich mich wieder zu Thomas, um wenigstens noch einige Wortfetzen aufzuschnappen.

Eine Stunde später laufen wir alle los. Die anderen kennen sich natürlich schon und quatschen fleissig über die neusten Fussballgerüchte. Ich gehe etwas langsamer hinter den anderen her und frage mich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, bei Till im Hotel zu bleiben. Meine Gedanken werden abrupt unterbrochen, als mir plötzlich jemand auf die Schulter tippt.
„Und? Alleine hier?" „Jo. Und du?", frage ich den jungen Mann zurück. Er ist etwas kleiner als dieser Roman und vor allem weniger breit gebaut. „Ne, das hier sind meine Teamkollegen.", meint er und deutet auf die Gruppe, welche vor uns läuft. „Deine Teamkollegen? Ich dachte schon, dass ihr sportlich aktiv seid." „Kennst du uns denn nicht?", fragt der schlaksige Typ ungläubig. „Ne, woher sollte ich? Hab mit Sport nicht viel zu tun." „Ach so, daher. Also wir sind Borussia Dortmund." „Wie bitte?" „Borussia Dortmund", meint er schmunzelnd. „Sag bloss nicht, du hast noch nie von denen gehört."
Ich verziehe das Gesicht. „Nein, leider nicht. Aber du wirst mich bestimmt gleich darüber in Kenntnis setzen." Der junge Mann lacht. „Na klar. Aber verrätst du mir deinen Namen? Damit ich dich damit ansprechen kann?" Ich lache laut auf und halte mir im nächsten Moment die Hand vor dem Mund. Wie peinlich! „Klar, entschuldige. Ich heisse Sarah. Und du?" „Ich bin Julian. Die meisten kennen mich ja schon, ich bin jetzt davon ausgegangen dass du das auch tust." „Darf ich noch fragen welche Sportart ihr denn so treibt?" Julian nickt. „Fussball. Kennst du die Bundesliga?" Ich nicke und grabe in der hintersten Ecke meiner grauen Zellen nach möglichen Fakten zur ersten deutschen Fussballliga. „Eben, genau dort spielen wir."

„Aber was machen denn Fussballspieler im russischen Gebirge? Hier gibt's weder Tore noch Stadien." „Wir machen ein Ausdauer- und Teamgeisttraining in Form einer Wanderwoche. Hier sollen wir unsere Kondition auf eine andere Weise zum Einsatz bringen und lernen, uns gegenseitig mehr zu vertrauen." „Ach soo. Also haben auch Profisportler Probleme im Team?", meine ich erstaunt. Dass berühmte Leute sowas auch machen können. Und ich habe nichts ahnend diese Tour gebucht. Till wäre jetzt ausgerastet, ich muss unbedingt Fotos mit ihnen schiessen und sie ihm zeigen. Soviel ich weiss verfolgt er nämlich die Bundesliga. Auf einmal kommt noch jemand von vorne auf uns zu. „Hi, ich bin Roman. Und du?" Der Typ von der Einführung steht urplötzlich vor mir und hält mir seine Hand hin. „Ich... äääh... Sarah.", stottere ich verwirrt. Dieser Typ bringt mich aus dem Konzept mit seinen Augen. Sofort rettet Julian mich. „Dieses Mädchen hier weiss weder wer wir sind, noch wer Borussia Dortmund ist." Roman runzelt erstaunt die Stirn. „Wirklich nicht?" „Nein, ich habe noch nie von dem gehört." Lachend erklären mir die Beiden was es sich mit dieser Fussballmannschaft auf sich hat.

Zwei Stunden später laufen wir noch immer durch die Ebene. Der Nebel hängt über dem Berg und man sieht kaum noch die Hand vor Augen. „Roman, ich muss mal." „Geh da hinten, da sieht dich keiner. Ju und ich stehen Schmiere, okay?" „Okay. Aber nicht gucken." Roman lacht, schüttelt den Kopf und wendet dann den Rücken zu mir. Ich laufe ganz langsam nach hinten in die dichte Nebelsuppe und hocke mich hin.

Eine Minute später will ich zurück zu den anderen laufen. Aus welcher Richtung bin ich noch mal gekommen? Der Nebel lichtet sich etwas und ich mache einen Schritt nach rechts. Unter meinen Füssen tut sich der Abgrund auf und ich stürze nach unten. Ich schreie um mein Leben und kann gerade noch etwas zu fassen kriegen. Es ist der Felsvorsprung. Schreiend hänge ich am Felsen und versuche nicht runterzufallen. Schon höre ich, wie Roman und Julian im Nebel nach mir suchen. Ich rufe lauter, damit sie mich finden können. Als sich ein Gesicht über den Vorsprung beugt laufen mir die Tränen runter. Ich habe Angst. Riesengrosse Angst.



47 degrees north (Roman Bürki FF)Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang