Kapitel 18

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Einige Minuten später liegen alle wieder in ihren Zelten. Lauschend betrachte ich die Zeltdecke. Und da ist es wieder, das Flattern der Rotorenblätter. Ich presche wie von einer Wespe gestochen aus dem Zelt und suche den Himmel ab. Ganze zwanzig Minuten stehe ich alleine draussen in der Dunkelheit. Mein Knie schmerzt schrecklich, es fühlt sich an als ob jemand darin gerade ein Band zerreisst. Mit verzogenem Gesicht taste ich es vorsichtig ab. Doch spüren kann man, wie immer, nichts.

Dann legt sich eine warme Hand auf meine Schulter. „Du solltest mit reinkommen, sonst wirst du noch krank.", meint Roman besorgt. „Aber Roman, da war etwas. Wirklich!" Roman schüttelt den Kopf. „Kleines, das sind bloss Einbildungen. Komm jetzt mit mir rein." Er nimmt mich an der Hand und zieht mich hinter sich ins Zelt. Dort lege ich mich in seinen Schlafsack, während er meinen aus unserem Zelt holt. Neben mir liegt Julian und schläft. Ich lausche seinen gleichmässigen Atemzügen und rieche Romans Parfüm an seinem Schlafsack. Eng an einander gekuschelt schlafen auch Roman und ich dann noch ein.

Dass am nächsten Morgen Tag Nummer Acht anbricht bemerke ich erst, als Roman mich darauf hinweist. Seit gut zwei Tagen sollten wir zuhause sein, die Suche nach uns müsste gestartet worden sein. Wie jeden Morgen steht Julian gut gelaunt auf und bereitet unser Frühstück vor, welches mittlerweile nur noch aus einem halben Riegel besteht. Hendrik kann nicht mehr auftreten, seine Wunde hat sich stark entzündet und er hat Fieber. Ausserdem hat Nuri erzählt dass er in der Nacht ständig aufgewacht ist und halluziniert hat.

Während wir alle, mit Ausnahme von ihm, in der Runde sitzen, besprechen wir unseren Plan für heute. „Leute, es ist total unfair gegenüber Hendrik wenn wir weitergehen. Er ist in einem so schlechten Zustand, wir müssen schauen dass wir ihn heile nach Hause bekommen." Alle bestätigen Millis Aussage. Mario hat eine Idee. „Und wenn wir heute eine Pause einlegen, wieder zu Kräften kommen und dann weiterschauen? Wäre das okay für alle?" Ich sehe nur nickende Köpfe in der Runde. Marc, Felix, Ann und Julian erklären sich dazu bereit, grosse Steine oder sonstige Dinge zu sammeln, um ein grosses SOS auf den Boden zu schreiben. Nuri, Roman und ich kümmern uns um die anderen und Mario will gemeinsam mit Milli das weitere Vorgehen besprechen. Also sozusagen einen Plan entwerfen.

Hendrik ist nur noch schwer weckbar, er wirkt apathisch und halluziniert wirklich. Doch wir müssen ihm ständig Wasser oder Nahrung zuführen, damit ihn die Kräfte nicht ganz verlassen. „Der Trainer hat gesagt wir sollen heute pünktlich zum Training erscheinen. Jetzt sind wir schon wieder zu spät.", murmelt er, als ich ihn gegen Nachmittag wecke, um ihm etwas Wasser einzuflössen. Besorgt lege ich ihm einen kühlen Lappen auf die Stirn, welche glüht und wechsle noch einmal seinen Verband. Wir haben auch bald keine Utensilien mehr für den Notfall, die Verbände sind gleich leer und auch mit den Kompressen müssen wir sparsam umgehen.

„Hendrik, weisst du wo wir sind?", frage ich ihn und prüfe ein weiteres Mal seinen Puls. „Mann Noelia, hör auf solche dummen Spässe zu machen. Natürlich weiss ich wo wir sind. Kannst du Mama holen, ich fühle mich nicht besonders.", meint Hendrik mit geschlossenen Augen und zusammengezogenen Augenbrauen. Ich runzle die Stirn. „Nuri, er ruft nach Noelia." „Das ist seine Cousine. Die wohnt aber seit mehreren Jahren bei ihnen im Haus." „Hendrik, tut dir was weh?", frage ich besorgt. Doch es kommt keine Antwort zurück. „Scheisse, er antwortet nicht mehr. Hendrik, sag was. Bitte!", flehe ich mit Tränen in den Augen.

Nuri kniet sich neben mich und tastet Hendriks Puls. Roman zieht mich aus dem Zelt nach hinten, wo ich ihm weinend in die Arme falle. Er steht einfach nur da und hält mich fest, egal wie sehr ich schluchze oder schniefe. Jemand der einfach nur für mich da ist. Irgendwann kann ich nicht mehr weinen, es kommen keine Tränen mehr. Sie sind alle aufgebraucht und irgendwie fühle ich mich etwas besser. Es hat mir gut getan, den Gefühlen mal freien Lauf zu lassen. Schniefend wische ich mir die Tränen weg. Roman sieht mich besorgt an. „Alles okay?" Ich nicke. „Geht schon. Aber ich habe schrecklich Angst, dass wir hier nicht mehr wegkommen. Dass wir für immer hier festsitzen." Roman nickt. „Ich weiss, ich auch. Aber zum Glück sitzen wir hier mit guten Menschen fest, das macht es um einiges erträglicher. Wir müssen jetzt erst einmal schauen dass alle wieder auf die Beine kommen, ansonsten können wir gar nicht nach Hause gehen.", meint er ruhig und streicht mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht. Ich seufze und lehne meinen Kopf wieder an seine Schulter und er schlingt einen Arm um mich. „Du zitterst ja!", sagt er erstaunt. Ich sehe an mir runter. Meine Hände zittern wirklich, sie sind erneut eiskalt und diesmal vor Kälte und vor Schock.

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Ich befürchte es wird eng. Werden sie noch lange bangen müssen? Und wie steht's um die anderen im Team? Die Nerven liegen blank, jetzt heisst es hoffen, hoffen und nochmals hoffen.

Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal an alle aktiven Leser (Wow, fast 500 Reads, ihr seid verrückt). Man kann es gar nicht genug oft erwähnen.

Jetzt gute Nacht und bis bald.

T.


47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt