Kapitel 46

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Mir treten Tränen der Erleichterung in die Augen, die ich mir verstohlen wegwische. Ich sollte nicht so oft weinen. Roman lächelt und schliesst die Augen, sofort kommen noch mehr Tränen. Erik betritt den Raum und legt seine Hände auf meine Schultern. So stehen wir fünf Minuten einfach da und danken dafür, dass Roman noch lebt. Nachdem ich mich etwas gesammelt habe stehe ich auf, gebe Roman einen Kuss auf die Stirn und verlasse den Raum, damit Jule und Leandro rein können. Der Arzt bespricht etwas mit Erik, der Schock sitzt bei mir noch zu tief um eine tiefgründige Unterhaltung über dieses Thema führen zu können.

Plötzlich steht der junge Fussballer wieder neben mir. „Gehen wir nach Hause? Es ist schon 01:00 Uhr und wir können nicht ewig hier sein.", meint er besorgt. „Ich bleibe hier! In Romans Nähe. Er war auch für mich da, als es mir schlecht ging. So will ich für ihn da sein wenn er mich am meisten braucht.", flüstere ich Erik zu und drücke ihm unsere Wohnungsschlüssel in die Hand. „Schlaft diese Nacht bei uns, das ist näher als eure WG. Und so bin ich sicher, dass ihr für mich erreichbar seid." Erik nickt und schliesst die Schlüssel in seiner Handfläche ein.

Nach einer festen Gruppenumarmung begleite ich sie noch nach draussen. „Ach Erik? Ruf noch Peter und Aki an, die sollten auch Bescheid wissen." In der Cafeteria kaufe ich mir einen Cappuccino und gehe dann zurück auf die Intensivstation. Plötzlich fällt mir ein, dass ich in all dem Trubel Cliff vergessen habe. Er hat zuhause auf unserem Bett gelegen als ich das Haus fluchtartig verlassen habe um Roman ins Krankenhaus zu begleiten. Schnell verlasse ich Romans Zimmer und rufe meine besten Freunde an. „Hey Jule. Du, im Haus, Cliff müsste noch irgendwo sein. Vielleicht auf dem Sofa, vielleicht im Bad oder in unserem Bett. Kannst du nach ihm gucken bitte? Dankeschön.", sage ich in den Hörer. Julian bestätigt meine Frage und ich mache mich auf den Rückweg zu meinem Freund.

***30. September 2018***

Zwei Tage später sitze ich noch immer an Romans Bett auf der Intensivstation. Er hat strikte Bettruhe, darf sich nicht anstrengen, denn selbst seelischer Stress könnte für ihn ein Rückschlag bedeuten. Solange sein Herzmuskel entzündet ist und er unter Herzrhythmusstörungen leidet ist er voll arbeitsunfähig. Für den BVB ist morgen das nächste Bundesligaspiel gegen Hertha Berlin angesetzt. Sie spielen auswärts gegen die blau-weissen aus der Hauptstadt. Natürlich ist Roman traurig, dass er nicht spielen und nicht mal gucken darf, aber ich traue das seinem Herzen nicht zu. Denn er flippt schon bei Fifa jedes Mal beinahe aus, wie soll das denn bei einem richtigen Spiel und Herzproblemen sein? Erik spielt mal wieder auf Grund seiner ständigen Verletzungen nicht mit und leistet uns auch morgen während des Spiels Gesellschaft. Doch weil er nicht zum Abschlusstraining kann, hat er kurzerhand entschlossen uns bereits heute zu unterhalten.

Das heisst ich verbringe den Nachmittag mit ihm zuerst in der Cafeteria, wir gehen dann zu Roman, gehen noch spazieren und er geht dann wieder nach Hause. So läuft das bei uns schon seit zwei Tagen, also seit Roman hier hingekommen ist. Julian hat versprochen, Leandro mit ins Stadion zu nehmen, er will unbedingt mal in der Nähe der Spielerbank sitzen und unser Mittelfeldspieler hat ihm versprochen, im VIP-Bereich für ihn ein Ticket zu organisieren. Natürlich war er überglücklich und hat damit auch mich glücklich gemacht. Ich weiss, dass so eine Myokarditis unter Umständen lange anhalten kann oder sogar chronisch werden kann. Und trotzdem sind bereits drei Tage Spital mehr als genug. Roman schläft sehr viel, in dieser Zeit kann ich Netflix gucken, lesen oder chatten. Manchmal verziehe ich mich einfach in die Cafeteria und trinke etwas.

Für die Arbeit habe ich mir ein Zeugnis ausstellen lassen, aber das war nicht sehr schwierig. Schliesslich ist meine Station nur zwei Stockwerke über der Intensivstation. Ich habe beschlossen heute meinen Arbeitskolleginnen und vor allem Jay einen Besuch abzustatten. Jay heisst eigentlich Jasmine. Aber da ihre Eltern aus England stammen wird ihr Name anders ausgesprochen, daher der Spitzname. Jay ist, sagen wir mal sehr speziell. Sie hat eine offene und direkte Art, kann aber auch richtig lieb sein und hat das Herz am richtigen Fleck. Sie ist sehr extrovertiert und wild, was zu meiner Art genau passt. Die Arbeit mit ihr macht richtig viel Spass und Freude.

Als ich in meinen Schmuddelklamotten durch den Flur stapfe und schliesslich auch im Stationszimmer stehe drehen sich mehrere neugierige Köpfe nach mir um. Plötzlich quietscht Jay, rennt auf mich zu und schlägt mit mir ein. „Aber sag mal, was machst du da?", fragt sie mich neugierig. Ich gucke in die Runde. Meine Berufsbildnerin, die Stationsleitung, der Assistenzarzt und der Stationsarzt stehen da, beäugen mich kritisch und warten auf meine Antwort. „Naja, mein Freund liegt hier. Also auf der Intensivstation und..." „Och du meine Güte. Was hat er denn?", fragt mich Jay sofort. „Er hat eine Myokarditis. Fortgeschritten. Er war krank und hat trotzdem gespielt.", meine ich betreten. „Das tut mir leid. Soll ich ihn mal besuchen kommen? Ich wollte deinen Freund schon lange mal kennen lernen.", meint Jay und grinst. Ich hebe einen Finger. „Aber wehe du fasst ihn an, der gehört mir.", warne ich sie lachend und ziehe sie an der Hand hinter mir her.

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Guten Morgen (oder Mittag), Freunde der Sonne!

Ich wünsche euch schöne Osterfeiertage, vielleicht kommt noch ein Kapitel.

Hab euch lieb.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Where stories live. Discover now