Kapitel 48

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***Dienstag, 25. Oktober 2018***

Zehn Tage nach seiner Entlassung unternehmen wir bereits wieder zu zweit einen Spaziergang am Phönixsee. Ich habe mir frei genommen, was für einen Dienstag sehr ungewöhnlich ist. Wenn ich aber mal einen Tag lang nicht zuhause sein kann schauen Romans Teamkollegen nach ihm.

Das Wetter ist, wie zu erwarten im Oktober, sehr stürmisch und regnerisch. Trotzdem tun die frische Luft und der kühle Wind sehr gut, noch dazu die herbstliche Stimmung wegen den gelben Bäumen. Hand in Hand laufen wir langsam ein Stück um den See herum. „Was meinst du, was wäre passiert wenn du den Krankenwagen nicht gerufen hättest?", fragt Roman plötzlich. „Denk nicht an sowas. Du bist hier, wirst wieder gesund. Das ist die Hauptsache.", meine ich und runzle besorgt die Stirn.

Als einige Leute kommen, ziehen wir uns die Kapuzen ins Gesicht und ich umklammere Romans Arm noch enger als sonst schon. Im Moment wollen wir nicht erkannt werden, noch immer haben wir nicht offiziell erklärt weshalb Roman wochenlang pausiert. In den Medien wird spekuliert, Aki hat an einer Pressekonferenz zwar preisgegeben, dass der Torhüter des BVB momentan an einer schweren Krankheit leidet, jeden Tag taucht allerdings eine neue Spekulation auf. Mal hat er Krebs, mal Malaria, mal eine Männergrippe.

Mindestens sechs Wochen keine grosse Anstrengung, sonst könnte es verheerend enden, das hat der Arzt uns eingeschärft. Ich achte gut darauf, dass er sich schont und nicht heimlich Sport treibt. Während dem ganzen Spaziergang denken wir über unsere Zukunft nach. „Wie wäre es denn, wenn wir für einige Tage in die Schweiz fahren würden? Du wärst vor Fans sicher, könntest einige Tage eine Auszeit nehmen und dich einfach entspannen. Deine Eltern hätten sicher nichts dagegen. Und Cliff, vermisst die Schweiz sicher auch schon längst.", meine ich plötzlich und frage mich, weshalb ich nicht früher auf diese Idee gekommen bin. Roman überlegt kurz und sagt dann zu. „Aber wir fahren so bald als möglich. Ich rufe zuhause noch schnell Markus an, dann packen wir und fahren los. Vielleicht schaffen wir es noch heute.", meint er. Ich grinse und nicke bloss.

Und so klappt es wirklich. Markus gibt für unser Vorhaben grünes Licht. Münsingen ist nicht gross und die Menschen in der Schweiz sind ganz anders als in Deutschland. Roman hat schon oft erzählt, dass er in seinem Heimatland selten auf der Strasse angesprochen werde und auch kaum von Fans belagert werde. Er könne auf die Strasse gehen ohne sich die Kapuze ins Gesicht zu ziehen.

Einige Stunden später, genauer gesagt um 8 Uhr abends, fahren wir los. Alles Nötige ist eingepackt und abgeklärt. Selbstverständlich sitze ich hinter dem Steuer, jegliche Anstrengung für Roman ist verboten. Die Fahrt dauert circa sechs Stunden, das heisst wir werden so gegen 24 Uhr erst in der Schweiz ankommen. Cliff liegt in seinem Käfig zusammengerollt auf der Rückbank, so haben wir ihn im Griff. Während der Autofahrt dreht Roman das Radio mal lauter, mal leiser. Meist spielt er vom Handy die Musik ab oder er hört einen deutschen Sender.

Nach einer Stunde schliesst er die Augen und legt sich so hin, dass sein Kopf an der Autotür angelehnt ist. An der Raststätte fahre ich raus, krame aus dem Kofferraum die dicken Wolldecken und decke ihn damit bis zur Nasenspitze zu, was natürlich kein leichtes Unterfangen ist, da ich mich über die Mitte strecken muss, dass ich ihn erreiche. Als dies geschafft ist hole ich mir im Shop einen Tee und nehme dann wieder die Fahrt auf. Nach einer Stunde räkelt sich etwas neben mir, dann setzt er sich gerade hin. Doch seine Augen bleiben geschlossen, sein Kopf sinkt langsam gegen meine Schulter. Grinsend fahre ich einfach weiter. Solche Momente sind es doch, die das Leben lebenswert machen. Auch nur eine kleine Geste der Zuneigung oder des Vertrauens löst so viele Gefühle in einem Menschen aus, es ist unglaublich. Gemütlich fahren wir so durch die Dunkelheit.

Als wir etwa die Hälfte der Fahrt sind muss ich dringend pinkeln. Ich fahre an der nächsten Ausfahrt auf den Parkplatz und wecke ihn vorsichtig. „Aufwachen, ich muss dringend pinkeln.", lache ich. Roman blinzelt verwirrt ins Licht der Strassenlaterne. „Sind wir schon hier?", fragt er völlig desorientiert. „Nein, wir haben gerade mal die Hälfte. Musst du auch auf Toilette?", frage ich ihn. Er nickt und öffnet die Autotür. Auch ich steige aus und schliesse den Wagen ab. Hand in Hand gehen wir ins Café der Raststätte und fragen nach der Toilette. Wir versprechen nachher noch etwas zu kaufen und ich betrete die Damentoilette.

Glücklicherweise ist im Café rund um die Uhr jemand und ich kaufe mir einen Tee und Roman einen Cappuccino. Als er wieder aus der Toilette rauskommt kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass seine Haare in alle Richtungen von seinem Kopf abstehen. Schnell stelle ich mich auf die Zehenspitzen und richte seine Frisur so gut wie ich kann. Dann drücke ich ihm seinen Cappuccino in die Hand und gebe ihm einen Kuss. „Gehen wir?" „Gerne.", meint er und umklammert wieder meine Hand. Er scheint noch sehr verwirrt und man sieht, dass ihm nicht sehr wohl ist, sich so vor allen Leuten zu zeigen. Schliesslich schauen alle immer auf sein Verhalten und seine Manieren.

Was würde das für Schlagzeilen geben, wenn er jetzt auffallen würde? Vielleicht ‚Bürki nach langer Pause auf dem Weg in sein Heimatland. Was zieht ihn nach Hause?'. Was würden sich die Medien darüber den Mund zerreissen und sich die Gerüchte regelrecht vor der Nase wegreissen. An sowas will ich gar nicht denken, schnell ziehe ich ihn hinter mir her in Richtung Auto. Dort lasse ich Cliff noch mal kurz sein Geschäft verrichten und bugsiere ihn dann wieder ins Auto.

Drei Stunden später sehe ich das Ortsschild von Münsingen an mir vorbeiziehen. Ich war schon einmal hier. Damals nach Marcos Autounfall. Anfangs Jahr. Roman verbindet mit seiner Heimat also nicht nur schöne sondern auch schlechte Momente. In diesen Minuten schläft er aber friedlich auf dem Beifahrersitz. Als ich auf den Parkplatz vor Bürkis Haus fahre, stehen schon seine Eltern und sein Bruder vor der Tür und winken. Ich steige aus, begrüsse sie und erzähle ihnen, was in der Zwischenzeit vorgefallen ist.

Während Marco und sein Vater die Koffer nach oben bringen und Cliff versorgen, wecke ich Roman auf und führe ihn in sein Schlafzimmer. Er sagt seiner Familie noch kurz Hallo und legt sich dann ins Bett. Seine Jogginghose behält er an und auch sein Hoodie scheint ihn nicht zu stören. Ich sage allen gute Nacht, lasse Cliff zur Tür rein und mache mich dann bettfertig. Beinahe gleichzeitig mit dem kleinen Rüden lege ich mich zu Roman, der mich sofort eng an sich zieht. Cliff findet zwischen unseren Bäuchen Platz, er ist ziemlich klein und passt in die Lücke dazwischen. Erschöpft schlafe ich ein.


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Heute bin ich so richtig in Stimmung, hier ein paar Kapitel hochzuladen.

Jetzt sind sie "zuhause" in Münsingen. Vielleicht habt ihr schon bemerkt, dass ich jetzt die Kapitel oder Zeitsprünge mit den Daten anschreibe. So fällt es euch und auch mir leichter, den Überblick über die Zeit zu behalten. Wir haben in der Geschichte jetzt Herbst 2018, in der Fortsetzung schreibe ich gerade am Jahr 2022. Also es kommt noch jede Menge auf euch zu. Die Geschichte ohne die Fortsetzung geht bis zum 15. April 2019, also noch ein halbes Jahr etwa.

Vielleicht bis später, Freunde der Sonne.

T.

47 degrees north (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt