Kapitel 10

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Liebe/r Susan, Frank und meine Eltern,

ich möchte verdammt nochmal nicht mit Nate auf sein Zimmer. Wir sind keine 5 Jahre alt mehr!

Ich bitte um Ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

Sony

Was für eine Ironie, dass ich mental einen Brief schreibe.

Genervt trinke ich noch einen Schluck Wein. Der Abend ist furchtbar und definitiv auf Kosten von Nate und mir. Ganz entzückt sprechen unsere Eltern über alte Geschichten.

"Wann gibt es denn den letzten Gang, Mum?", fragt Nate genervt. "Gleich, Schatz", lächelt Susan.

"Wie früher", brumme ich.
"Aber echt", murrt Nathan.
"Oui, wir sind endlich einer Meinung!", jubele ich euphorisch. Nate sieht mich mit einem Todesblick an.

"Geht doch solange hoch in Nathans Zimmer", schlägt Mum vor.

"Ganz bestimmt nicht!", schreie ich.

"Nicht mit der!", ruft Nate zur selben Zeit.

"Aber unsere Gespräche langweilen euch doch", erwidert Frank.
"Langweilen schon, aber wir sind keine verdammte fünf Jahre alt!", wirft Nate ein. Plötzlich vibriert mein Handy.

-

19:44
Von: Collin
An: Sony

Vergiss den Brief heute nicht! ;) xoxo

19:46
Von: Sony
An: Collin

Ich hoffe, der Teufel holt dich bald! :* xx

-

"Uns ist klar, dass ihr nicht mehr fünf seid!", verteidigt Dad sie.
"Ach, komm schon, Nate. Ist doch gar nicht so schlimm", meine ich. Irgendwie muss ich ja diesen verdammten Brief überreichen!

Alle sehen mich entgeistert an. Dann grinsen unsere Eltern. Nate sieht mich geschockt an."Ganz bestimmt nicht!!", ruft er nochmals.
"Stell dich doch nicht so an Nathan", erwidert Susan und lächelt streng.
"Genau, stell dich doch nicht so an!", wiederhole ich grinsend und stehe auf. Ich gehe, ohne auf die weiteren Reaktionen zu warten, die Mamortreppe im Flur hinauf.

Jetzt muss ich mich nur erinnern, wo genau Nates Zimmer ist, denke ich. Aber da ich ja so einen guten Orientierungssinn habe (gelogen), finde ich schnell und sofort (nachdem ich zuerst ins Gästezimmer und Badezimmer gegangen bin. Erkundungstouren tun gut.) sein Zimmer.

Es ist ordentlicher als meins, was wahrscheinlich auch keine große Kunst ist. Um Klischees zu erfüllen, hängen an den dunkelblauen Wänden Footballspieler, Footballmannschaften und Bilder. Aber es sind überraschende Bilder, zumindest für mich.

Eine Miniaturausgabe von mir und Nate grinst mir entgegen. Wir sind bestimmt um die 10 Jahre und haben einen Arm um die Schulter des jeweils anderen gelegt. Wie süß.. nicht.

An dem Tag habe ich einen Ball voll gegen den Kopf bekommen und geheult, als ob mein lieblings Kuscheltier gestorben wäre. Mit 10 Jahren jawohl noch angebracht. Nate hat mich ausgelacht. Ich hab ihn mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte gegens Schienbein getreten und damit war unsere Freundschaft beendet, da ich ihm aus Versehen den Zeh noch gebrochen habe.

In einem grünen Bilderrahmen sind Nate und ich mit 4 Jahren zu sehen, wie wir eine Rutsche herunter rutschen. Daneben hängt ein Bild von einem ungefähr sechsjährigen Mädchen, deren Rücken man bloß sieht und Nathan, der ihr eine Blume überreicht. Wer ist sie?

Aber ich muss den Brief noch irgendwie verstauen bis Nate auch nach oben kommt. Wahrscheinlich meckern ihn unsere Eltern gerade an. Du Armer.

Ich drehe mich um die eigene Achse. Am Fenster steht ein großer Schreibtisch, aber er wirkt, als hätte ihn Nathan das letzte Mal vor sieben Monaten angesehen, also ist das kein geeigneter Ort. Wenn ich schnell bin und so tue, als hätte ich mich hier verlaufen und im Gästezimmer rumirre (was ich natürlich niemals tun würde, denkt an meinen guten Orientierungssinn), denkt Nathan vielleicht seine Verehrerin ist in sein Zimmer eingebrochen. Also ich könnte dann nicht schlafen, wenn ich sowas denken würde .

Neben seinem Bett steht ein Nachttisch, perfekter Ort. Ich klemme den Umschlag, den ich aus meiner Hosentasche zuvor geholt habe, gut sichtbar unter die Lampe und verlasse schnell das Zimmer.

"Ich bin nicht unfreundlich zu ihr!", ruft Nate verteidigend. "Benimm dich einfach höflicher, immerhin kennst du Sony doch schon so lange und sie möchte bestimmt Zeit mit dir verbringen", antwortet Susan.

Ich will doch keine Zeit mit ihm verbringen! Das war's jetzt Susan. Ich dachte immer du wärst auf meiner Seite, aber nein. Shame on you.
Ich höre wie Nate schnaubt und die Treppe hoch geht. Ich renne schnell ins Gästezimmer und setze mich auf das IKEA-Bett.

"Sony!", ruft Nate.

"Ähm..hier. In deinem Zimmer!", rufe ich zurück. Ich höre wie Nate eine Tür öffnet und sie wieder schließt. Plötzlich öffnet er die Tür des Gastezimmers.

"Das ist aber nicht mein Zimmer", meint er Stirnrunzelnd und lehnt sich gegen den Türrahmen, "Das ist das Gästezimmer."

"Oh", meine ich überrascht und gucke peinlich berührt auf meine Finger. Man erkennt zwar sofort, dass das ein Gästezimmer ist (kahle Wände, Hotelzimmerfeeling, kein Bezug der Bettdecke und Kissen,...), aber wieso versuche ich das zu erklären? Soll Nathan doch denken, was er will!

"Mein Zimmer ist auf der anderen Seite des Flures", meint er und nickt in die Richtung, wo tatsächlich sein Zimmer ist. "Okay", antworte ich und stehe vom Bett auf, bereit ihm zu folgen.

"Du willst doch nicht ehrlich Zeit mit mir verbringen", sagt Nathan plötzlich. Es sieht einfach nur lächerlich aus, wie er dort angelehnt an den Türrahmen steht mit vor der Brust verschenkten Armen und selbstsicheren Gesichtsausdruck.

"Natürlich nicht, was denkst du!", rufe ich aus.

"Psst, ich hab kein Bock nochmal eine Predigt von meiner Mum gehalten zu bekommen, weil ich dich nicht mitspielen lasse", unterbricht er mich.

"Naww, du armer wurdest von deiner Mami angeschnauzt. Ich wollte einfach bloß weg von den peinlichen Geschichten, immerhin ist das klar Vergangenheit und wir keine besten Freunde oder so", erwidere ich.

Nathan nickt bloß abwesend. Wer weiß, was gerade in seinem Kopf los ist. Und da heißt es immer Mädchen wären kompliziert. Also ich kenne keine, die alte Bilder von der Ex-besten Freundin im Zimmer hängen hat und nachts auf dem Bürgersteig vorm Haus sitzt. Komplizierter Junge!

"Am besten bleibst du hier bis es endlich den letzten Gang gibt und ich in meinem Zimmer", schlägt er vor.

"Ich bleib doch hier nicht in diesem ungemütlichen Zimmer! Außerdem muss ich sehen wie der beliebteste Junge der Schule sein Zimmer einrichtet", grinse ich selbstsicher.

"Du gehst ganz bestimmt nicht in mein Zimmer!", faucht Nathan.

Ja, komplizierter Junge. Wenn er wüsste, dass ich sein Zimmer schon längst gesehen habe.

This is L-O-V-EWo Geschichten leben. Entdecke jetzt