Trost

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-Lukas' Sicht-

Nervös und besorgt zugleich fuhr ich mit dem Auto Richtung Bielefeld. 
Meine Hände begangen von Kilometer zu Kilometer immer mehr zu schwitzen und ich hatte so Angst, dass sie mir jeden Moment vom Lenkrad abrutschen würden, weil sie eben so unfassbar feucht waren.
Ebenso wurde ich immer besorgter und besorgter, desto näher ich Timis Haus kam.

Seit fast vier Wochen hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Er hatte mich weder angerufen, noch mir eine Nachricht geschickt. Noch nicht einmal auf seinen sozialen Netzwerken war er mehr aktiv. 
Anrufe nahm er gar nicht erst entgegen - noch nicht einmal auf seinem scheiß Festnetz. Und auf meine ganzen, unzähligen Nachrichten reagierte er überhaupt nicht und sie wurden noch nicht einmal zugestellt.
Seit fast vier Wochen zeigte mir sein Online-Status immer das gleiche beschissene Datum und die gleiche beschissene Uhrzeit an.

Ich hatte jede erdenkliche Person gefragt, ob sie denn wüsste, was mit Timi los sei und wo er denn bloß stecken könnte.
Erst Marcel, dann ein paar Freunde und Bekannte von ihm, die ich von seinen Geburtstagsparty kannte, seine Geschwister, seine Freundin. Selbst seine Mutter hatte ich extra angerufen und gefragt, ob sie denn wenigstens wüsste, was mit ihrem Sohn los sei und wo zur Hölle er bloß abgeblieben ist.
Doch Fehlanzeige. Niemand konnte mir sagen, was mit Timi passiert war. Es war einfach so, als wäre er vom Erdboden verschluckt worden und würde nie wieder auftauchen.

Ich hatte echt verdammte Angst um Timi. Ich hoffe echt, dass er sich nichts getan hatte und nicht seit vier Wochen irgendwo völlig leblos rumlag.
Da Timi sehr weit abgelegen wohnte und sein nächster Nachbar mehrere Kilometer entfernt lag, würde man ihn also nicht allzu schnell finden. Selbst, wenn seine Leiche anfangen würde zu stinken, würden dies nur seine Haustiere riechen.
Die Gedanken an einen toten Timi taten echt verdammt weh und ich bekam Tränen in den Augen. Meine Sicht verschwamm kurz und ich wischte mir schnell die Tränen weg, um mich weiter auf den Straßenverkehr zu konzentrieren.
Er wird schon nicht tot sein, keine Angst. Hoffentlich.

An Tims Haus angekommen, parkte ich sofort mein Auto und stieg daraufhin auch schon augenblicklich aus.
Das Gras war extrem hochgewachsen und erreichte schon fast meine Knie. Anscheinend hatte Timi in dieser Zeit noch nicht einmal das Haus verlassen.
Diese Erkenntnis schockte mich sehr. Hoffentlich hatte er sich wirklich nichts angetan.

Ich ging die Treppen hoch zu seinem Haus und zückte aus meiner Hosentasche den Zweitschlüssel heraus. Timi hatte mir diese irgendwann mal gegeben - keine Ahnung warum.
Vielleicht aber, damit ich in solchen Situationen, wie jetzt eben, jeder Zeit reinkommen konnte.
Ich öffnete die Haustür und sofort kam mir ein widerlicher Gestank entgegen. Puh, hier stinkt es aber echt gewaltig. Das grenzt ja fast schon an Körperverletzung, was sich meine Nase da eigentlich antun muss.
Der Gestank war eine ekelige Mischung aus Schweiß, Marihuana, Rauch, Kot und Pisse. Letzteres wahrscheinlich viel eher wegen seinen Haustieren, die er zu dieser Zeit nicht herausgelassen hatte beziehungsweise nicht oft genug mit ihnen rausgegangen war.
Angewidert verzog ich das Gesicht und öffnete erst einmal ein paar Fenster, damit hier mal wieder vernünftige Luft rein kam.

Augenblicklich kam mir Heisenberg entgegen gerannt und ich war sichtlich geschockt, als ich ihn sah. Der sonst so bummelige Hund, welcher von Timi ordentlich verwöhnt wurde, war auf einmal spargeldünn. Auch Gustavo gesellte sich zu uns und sah ebenfalls gleich aus.
Was ist denn bloß schreckliches passiert, dass Timi selbst seine Haustiere vernachlässigt und ihnen keinerlei Beachtung schenkt? Zwar hatte Timi hin und wieder mal seine depressiven Phasen, hat aber in diesen nie seine Haustiere vernachlässigt.
Ich ging in die Küche und gab den Tieren erst einmal ordentlich Trinken und Futter.

,,Was ist eurem Herrchen bloß schreckliches passiert, dass selbst ihr darunter leiden müsst?'', fragte ich die Tiere, so als könnten sie mir eine Antwort auf meine ganzen, unzähligen Fragen geben.
Ich blickte mich in der Küche um und war nach wie vor vollkommen geschockt.
Dreckiges Geschirr, verschimmeltes Essen und wie zu erwarten hatten die Tiere hier ordentlich ihr Geschäft verricht. Aber übel nehmen konnte man es ihnen nicht, denn, wenn man kaum oder gar nicht raus gelassen wurde, dann blieb einem wohl nichts anderes weiter übrig.
Ich seufzte nur, füllte die Näpfe noch einmal nach und schaute mich dann weiter in Timis Haus um.

Kurzgeschichten / boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt