Das Bild und die Zwillinge

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Als ich sein Lied gerade noch einmal von Anfang bis Ende durchgespielt habe, werde ich durch ein leises Geräusch aus meiner Traumwelt gerissen.

Ich beende mein Spiel und schaue mich um.

"Es tut mir leid, ich wollte dich nicht stören." Page steht in der Tür und sieht mich entschuldigend an.

"Du störst nicht." versichere ich ihr. "Komm doch rein."

Sie schließt die Tür hinter sich und kommt auf mich zu.

"Was war denn das was du gespielt hast?" fragt sie lächelnd.

"Ach irgend so ein Stück, nichts besonderes." sage ich ausweichend.

"Ich habe nicht viel gehört, aber es klang toll!"

Verlegen blicke ich zur Seite und pule an meinen Fingern herum.

"Spielst du das heute Abend auch?"

"Nein, das nicht, aber wenn du willst spiele ich dir eines von denen vor, die ich dort spielen werde." versuche ich sie von Ians Lied abzulenken.

"Das wäre toll. Ich habe es schon so lange vermisst, dass jemand auf dem Flügel spielt. Früher hat..." setzt sie an, doch sie beendet ihren Satz nicht. "Ist ja auch egal." sagt sie entschuldigend.

Neugierig schaue ich sie an, doch sie spricht nicht weiter, sondern setzt sich auf das Sofa, das nicht weit neben dem Klavier steht. Sie schlägt die Beine übereinander und verschränkt die Hände auf den Knien, dann wartet sie still.

Ihr verhalten verwirrt mich zwar ein wenig, aber trotzdem wende ich mich wieder dem Instrument zu und beginne zu spielen.

Jetzt wo ich weiß. dass sie mich nicht mehr überraschen kann, weil sie ja schon da ist, bin ich etwas entspannter, aber gleichzeitig auch nervöser, weil ich weiß, dass jemand mit mir im Raum ist. Die Anspannung dauert aber nicht lange, dann habe ich mich an ihre stille Anwesenheit gewöhnt und die Musik bringt uns einander näher.

"Danke!" flüstert Page ergriffen, als das Stück endet. "Das bedeutet mir wirklich viel."

Sie steht auf und kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm und sagt noch einmal..."Danke!"

"Hab ich gern gemacht." sage ich ehrlich, doch ihr verhalten verwirrt mich auch ein wenig.

Immerhin habe ich doch lediglich ein wenig Musik gemacht.

Page sieht mich mit tränenfeuchten Augen an, dann wischt sie sich übers Gesicht und trocknet ihre Wangen.

"Seit Ians Mutter gestorben ist, hat niemand mehr auf diesem Klavier gespielt." fühlt sie sich scheinbar gedrängt mir zu erzählen. "Nicht einmal Ian."

"Oh, Ian kann Klavier spielen?" rutscht es mir erstaunt heraus.

"Ja. Seine Mutter hat darauf großen Wert gelegt, aber seit sie gestorben ist wollte er nicht mehr und auch niemand anderes durfte den Flügel anfassen. Bis du kamst"

Verlegen senke ich meinen Blick Richtung Fussboden.

"Tut mir leid." sage ich traurig.

"Nein, versteh mich nicht falsch!" beeilt sich Page zu sagen. "Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen, Mia. Was auch immer du gemacht hast, es hat ihm geholfen loszulassen, zumindest ein Stück weit. Du weißt nicht, wie lange ich gehofft habe, das er sich eines Tages wieder etwas mehr öffnet."

Erneut laufen ihr die Tränen übers Gesicht und ein Seufzer entwischt ihr.

Ich drehe mich zu ihr und lege ihr tröstend eine Hand auf den Unterarm.

✔All I want is... YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt