Allein im Wald

1.8K 112 14
                                    

Erschöpft lasse ich mich gegen einen Baum sinken. Ich bin so durcheinander und völlig fertig.
Es ist so viel passiert an diesem Tag.

Der Ausflug, mein Geburtstag, das Bad im See, meine verwirrenden Gefühle für Mike, der Alkohol, der wilde Tanz, der verwirrende Neue, der Streit mit Jason, die Suche nach Mel, mein beinahe ableben, als ich sie dann endlich gefunden habe und der nervenaufreibende Streit, der mich hier her gebracht hat.

Mitten in den Wald, Mutter Seelen allein.

Ja, ich bin allein. Verlassen von allen. Sogar meine Beste Freundin hat mich allein gelassen.

Hat uns jemand gesehen, als wir in den Wald gegangen sind? Frage ich mich. Oder waren sie alle mit etwas anderem beschäftigt, als Mel und ich hier her gerannt sind.
Ob Mel wohl schon wieder bei unseren Freunden ist? Ob sie sich zu Jason gesellt oder ob sie versucht es nicht zu tun, obwohl sie es möchte?
Mir geht so vieles im Kopf herum, das die eine und ich möchte sagen, doch ziemlich wichtige Frage, nämlich wie ich wieder hier raus finden soll, vorerst im Hintergrund verblasst.

Lange sitze ich hier und hadere mit mir selbst.
Das ich ein schlechter Mensch bin, das weiß ich ja schon lange, deshalb haben mich meine Eltern ja auch zur Adoption freigegeben, aber das ich so eine beschissene Freundin bin, das ist mir neu.
Ob Mike deshalb nichts von mir will, weil ich so schlimm bin? Und werfen sich Luke und er deshalb immer solche bedeutungsschwangeren Blicke zu, wenn ich meine Tiefe Zuneigung zu Mike mal wieder zu offen zeige?
Weil ich schlecht bin und  er viel zu gut für mich ist, so wie Mel zu gut für Jason ist?
Bin ich Jasons Gegenstück und kann er mich deshalb nicht leiden, weil wir uns so ähnlich sind?
Und was sagt das dann über Mike? Er gibt sich immer noch mit mir ab. Seit eineinhalb Jahren! Tut er es aus Mitleid? Aber warum sollte er Mitleid mit mir haben?
Naja, diese Frage ist eigentlich gar nicht so schwer zu beantworten.
Mike ist ein guter Mensch, ein mitfühlender Mensch. Ein Mensch, der sich um andere Kümmert und dem es egal ist, ob Derjenige gut oder schlecht ist.
Ich weiß, das Mike auch seine nicht ganz so guten Seiten hat, seine nicht so guten Momente. Momente, in denen er klaut, in denen er sich dazu hinreißen lässt mit Mädchen rumzuknutschen oder sich auch mal zu prügeln aber im Grunde ist er gut.
Zumindest möchte ich das glauben.
Vielleicht will er mich ja aber eigentlich auch nur loswerden und deswegen werfen er und Luke sich immer solche Blicke zu, weil Luke ganz genau weiß, wie Abstoßend mich Mike eigentlich findet.
Nur ich kriege es nicht mit?
Und wenn es so wäre,  wäre Mike dann doch wieder ein Guter, weil er mich in dem Glauben lässt, das er mich mag, das er für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Oder ist es eher genau umgekehrt. Bedeute ich ihm so wenig, das es ihm egal ist, wenn ich herausfinde, das er mich nur ertragen hat, weil er mich nicht los werden konnte.


Oh Gott, mein Kopf tut weh, und mir ist schlecht.
Meine Finger sind schon ganz kalt und mein Po vom langen sitzen ganz taub.
Steif stehe ich auf. Was soll ich jetzt nur machen?
Es ist noch immer so dunkel, das ich kaum weiter als ein paar Meter sehen kann.
Wie spät es wohl ist?
Mitternacht sollte längst vorüber sein, aber wie lange dauert es noch, bis die Sonne aufgeht?
Ich weiß es nicht.
Und ich kann auch nicht nachschauen. Eine Uhr habe ich nicht und meine Handy ist immer noch in Mikes Jackentasche, wo ich es reingesteckt habe, weil ich keine Tasche dabei habe und ich es nicht in die Hosentasche stecken wollte.
Ich reibe energisch über meine Arme um durch die Reibung die Kälte zu vertreiben, aber es hilft nicht viel.
Unsicher schaue ich mich im Wald um. Es sieht überall gleich aus. Dunkle Schatten, die Bäume sind, oder es zumindest sein können. Das Mondlicht wirft nur ganz schwache Kringel auf den Boden, aber so kann ich zumindest ein kleines Bisschen sehen.

Der Wind streicht leise durchs Blätterdach und lässt die Schatten auf dem Waldboden tanzen. Irgendetwas raschelt ganz in der nähe durch das Laub und das schaurige schuhuu einer Eule hallt gespenstisch durch die Nacht.
Unschlüssig wohin ich gehen soll setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich gehe einfach immer weiter in die Richtung in die ich gerade schaue. Ich stolpere ein paar mal auf dem unebenen Boden und schürfe mir die Schulter an einem Baum, gegen den ich pralle.
Ich weiß nicht wie lange ich jetzt schon durch den Wald gehe, aber es kommt mir viel zu lange vor. Mit Mel habe ich nicht so lange gebraucht oder?

Müde wische ich über mein Tränen feuchtes Gesicht.
Vielleicht sollte ich einfach hier bleiben, bis mich jemand findet, falls sie denn nach mir suchen.
Hoffentlich fällt ihnen überhaupt auf, das ich weg bin. 
Aber was ist, wenn sie mich gar nicht finden wollen? Nach meinen Gedanken von vorhin, kommt mir das gar nicht mehr so unwahrscheinlich vor.

Eine neue Flutwelle der Trauer und Selbstzweifel droht mich zu überschwemmen, als ein lautes Knacken meinen Puls in die höhe schnellen lässt.
Erschreckt blicke ich mich um.
Ich sehe Schatten und Schemen, die alles Mögliche sein können. Und ich überlege fieberhaft, ob es hier Wölfe oder sogar Bären geben könnte.
Angestrengt starre ich in die Dunkelheit  und versuche krampfhaft die Geräuschquelle zu finden.
DA!
Schon wieder dieses Knacken, dieses Mal habe ich es ganz deutlich gehört, es kam von rechts. Langsam drehe ich mich in diese Richtung und sehe...

Nichts.

Nichts als Schatten . Doch halt! Hat der eine Schatten sich nicht gerade bewegt?

Bitte! Flehe ich stumm, nicht schon wieder irgendetwas aufregendes. Das ertrage ich nicht mehr.
Langsam weiche ich zurück, bis zu einem Baum. Haltsuchend lehne ich mich an ihn und harre der Dinge die da kommen.

Mein Herz ist wieder mal in Hochform und versucht die letzten Schläge in seinem Leben alle auf einmal zu schlagen. Mein Magen rebelliert und in meinem Kopf dröhnt alles. Irgendwie wird die Dunkelheit um mich herum immer dichter und dichter und dann sehe ich plötzlich gar nichts mehr.
Fordert der Alkohol und die Tatsache, das ich den ganzen Tag nichts gegessen habe seinen Tribut.
Ich spüre noch, wie die Baumrinde meinen Rücken zerschramm, höre schnelle schritte dumpf über den Waldboden eilen und dann ist es vorbei. Was auch immer um mich herum passiert, bleibt für mich unerreichbar, unhaltbar. Zerinnt in der Finsternis, die nicht der Nacht entspringt sondern der Finsternis in mir Selbst.


✔All I want is... YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt