47 - The End (Chiconahualóyan)

2 0 0
                                    

Jisung Pov

Ein abgemagerter, schwacher Körper fiel durch eine Art Nebel auf das nasse Gras der ausladenden, weiten Fläche.

In der Mitte floss ein breiter Fluss, der sich dann in viele, genau neun kleinere ergoss. Was sollte das darstellen? Keiner wusste es so recht. Vor allem der bewusstlose Junge nicht.

Es dauerte lange, bis er sich bewegte und seine Augen aufmachte. Irgendetwas war falsch. Es wirkte nicht lebendig. Seine Haut war hell, eigentlich viel zu hell für den Kontinent, auf dem er war.

Aber er konnte auch nicht tot sein. Nein. Er richtete sich auf und lief, das zeugte davon, dass er noch am Leben war. Auch wenn ich keine Lebensfreude oder sonstige Emotionen in seinem Blick sehen konnte.

„W-wo?" Winselte er und riss die Augen auf.

Konnte er etwa nichts sehen? Wieso konnte ich das dann? Mir kam undurchdringlicher Nebel entgegen. Deshalb konnte er nichts sehen.

Er irrte umher, nach etwas tastend, was ihm helfen könnte. Vielleicht konnte ich das?

„H-hierher-" Versuchte ich es leise und er reckte seinen Kopf in meine Richtung.

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich träumte schon wieder. Den Jungen vor mir kannte ich.

„Jeongin, kannst du mich hören?" Der junge Mann nickte eifrig.

„Komm hier her." Er wollte etwas sagen, doch nun konnte ich ihn nicht mehr verstehen. Unbeholfen tapste er in meine Richtung. Doch dann schien er auch meine Stimme nicht mehr zu verstehen.

Dennoch konnte ich ihm helfen. Sanft berührte ich seinen Arm und strich diesen entlang, sodass er in die Richtung gehen konnte, die ich ihm zeigte. Er hatte es bis hierhin geschafft. Ich kannte ihn, er war mein Freund. Er würde leben, er musste leben. Aber würde er das schaffen? Würde ich das schaffen?

Jeongin Pov

Alles um mich herum war nebelig. So verschwommen und nebelig, dass ich nichts sehen konnte.

Doch dann hörte ich eine Stimme, die klang, als könnte man ihr vertrauen. Ich folgte den Anweisungen, bis ich sie nicht mehr hörte.

Plötzlich streifte mich nackte Haut und ich zuckte zusammen. Eine Hand legte sich um meinen Arm und zog mich mit sich. Jemand leitete mich durch dieses Labyrinth. Je weiter ich in den Nebel lief, desto schwindeliger wurde mir. Ich schien in eine Trance versetzt zu werden.

„Noch nicht, du musst noch zu Ziel." Hörte ich es abgehackt sagen. Sofort versuchte ich mich aus meinem Kopf zu befreien, doch es funktionierte nicht so wie gewollt. Augenblicklich knickten meine Beine weg und ich konnte nicht mehr aufstehen.

Etwas rüttelte verzweifelt an mir. Jemand half der anderen Person und zog mich nach oben. Sie trugen mich irgendwohin. Dann Stimmen. Überall um mich herum. Sie schrien, wimmerten oder redeten auf mich ein. Ich verstand nichts. Aber sie machten mich verrückte.

„Jeongin, du bekommst das hin. Versinke nicht in deinen Gedanken, du musst bei dir bleiben. Sieh dir die Flüsse an. Alle enthalten Erinnerungen von dir. Bereust du diese oder weißt du, was du getan hast? Du musst die richtigen Entscheidungen treffen. Wirf einen Stein ins Wasser, um die Entscheidungen zu bereuen oder keinen, wenn nicht. Wenn du das schaffst, bist du frei." Konnte ich vernehmen.

„I-ich komme frei-" Beschloss ich und richtete meine volle Aufmerksamkeit auf die Flüsse. Im ersten sah ich mich als Kind. Warum sollte ich die Entscheidungen bereuen, die ich als kleines Kind getan hatte? Was hatte ich überhaupt getan? Wie sollte ich weiterkommen?

Ich bereute nichts. Ich sollte nichts bereuen. Irgendwie hatte alles zum hier und jetzt geführt. Und ich wusste nicht, wie ich ins hier und jetzt gekommen war. Verzweifelt starrte ich auf die Flüsse. Es musste doch ganz einfach sein, die richtige Entscheidung hatte ich schon getroffen. Was bis jetzt passiert war, hatte ich doch sowieso schon vergessen. Dann sollte ich das hier und jetzt auch noch vergessen, dann konnte ich nichts bereuen.

Weiter hinten erblickte ich etwas, dass mir helfen könnte. Jedenfalls glaubte ich das. Ich suchte eine Stelle, an der der erste Fluss nicht so breit war und sprang ab, sodass ich ungefähr in der Mitte im Wasser landete, bevor ich mich ans Ufer kämpfte. Dies tat ich auch bei den nächsten drei Bächen.

Dann war ich an meinem Ziel.

Vor mir ein Abhang, der zum Wasser führte, in dem ich mich spiegelte. Nein, falsch. Das war nicht ich. Es war ein anderer Mann. Oder doch nicht? Gerade sah das Bild wieder aus wie ich.

Wie sah ich überhaupt aus? Kannte ich mein eigenes Gesicht noch? Nein. Ich hatte es vergessen. Aber diesem Gesicht vertraute ich. Ich musste ins Wasser. Eine sanfte Melodie ertönte, als das Spiegelbild plötzlich zu leuchten begann. Wie automatisch drehte ich mich um.

Ich streckte meine Arme zur Seite und ließ mich dann rückwärts ins Wasser fallen.

Nichts. Schon wieder Leere.

Ein leises Rauschen.

..........

Ich wurde mit dem Fluss gerissen und bemerkte, dass die Strömung immer stärker wurde. Sie riss an mir, flutete meine Atemwege und brachte mich zu Husten.

Dann befand ich mich in der Luft. Ich fiel.

Der Fluss hatte in einem Wasserfall geendet, den ich nun hinunterstürzte.

Doch ich fiel nur. Ich kam nicht auf. Kein Schmerz.

Es war der falsche Fluss gewesen. Unter mir Dunkelheit. Dann ein kurzer Lichtstrahl.

Augenblicklich wurde ich in die Luft gerissen.

........

„Herzlichen Glückwunsch. Du hast es geschafft." Hatte ich das? Bestimmt nur eine Lüge.

„Dein Leiden ist vorbei. Geh jetzt. Und schlafe deinen sterblichen Schlaf." Vor mir tauchte eine gruselige Gestalt auf, die mich anlächelte. „Und, wie ist es, frei zu sein? Ich hatte eigentlich gehofft, dich tot zu sehen, aber man kann nicht alles bekommen, was man will."

„W-wer bist du?" Fragte ich leise und angeekelt.

„Ich bin Mictlantecuhtli, Herrscher des Mictlans und Gott der Unterwelt. Ich habe dich all die Zeit begleitet und mich schon auf dich gefreut. So ein reines Geschöpf zu bekommen, ist etwas wundervolles." Der Mann konnte nicht lebendig sein. Er hatte keinen Körper, jedenfalls bestand er nur noch aus einem Skelett. Trotzdem hatte er Augen, die aus den leer wirkenden Höhlen hervorschimmerten. Um seinen Hals hing eine Kette aus Kugeln. Als ich diese Kugeln länger ansah, fiel mir etwas auf. Kleine Äderchen pochten an ihnen und plötzlich drehten sie sich zu mir. Menschliche Augen blickten mich an und musterten meinen Körper gierig. Dieser Gott hatte eine Halskette aus Augäpfeln.

Der Anblick dieses Schmuckstücks brachte mich zu unglaublicher Furcht. Ich würgte und stolperte einen Schritt zurück. Er musterte mich fast hungrig und leckte sich dann mit seiner langen, schlangenartigen Zunge über die Zähne.

„Du würdest bestimmt vorzüglich schmecken." Grollte er und stand auf, wobei die von seinem Kopf hängenden Ohrringe aus Knochen klapperten, so wie sie es bei jeder seiner Bewegungen taten. Er kam näher, ohne einen Schritt zu tun, wie, als würde er schweben. Weil er nun in einem kleinen Lichtstrahl stand, konnte ich seine blutigen Knochen sehen. Diese waren fast nur rot, verklebt und teilweise gebrochen. Hinter sich zog er ein langes Gewand aus blutroten Federn und Knochen, die alt und zerfallen waren. Sein Augen funkelten aufgeregt, als er meine Angst wahrnahm.

„Darf ich probieren?" Er nahm meine Hand in die seine oder das, was davon übrig war. Ich spürte seine Knochen komischerweise pulsieren. Sie schienen irgendein Eigenleben zu führen. Als sie meine Haut berührten, wurden sie warm.

Vorsichtig küsste er meinen Handrücken, bevor er mich mit einer graziösen Bewegung zu sich zog und in mein Handgelenk biss. Erschrocken schrie ich auf und zog mich zurück. Mein Rücken prallte gegen eine Wand, die hinter mir schrecklich warm wurde. Der Gott war vor mir verschwunden und ich bemerkte den warmen, knochigen Arm, der sich um meine Taille legte, bevor fauliger Atem auf meinen Nacken traf.

„Ach komm kleiner, du bist hier für ewig gefangen, das ist dein Schicksal. Wer durch das Mictlan geht, kommt eigentlich in einen Zustand des Ewigen Schlafs, doch du bist nun hier bei mir. Ich bin darüber sehr glücklich." Kicherte der Irre, als sich alles zu drehen begann. Der Fremde lachte, dann verschwand er mit mir in der Dunkelheit, die uns umfing.

..................

Journey of the Flower PrinceHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin