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Raphael

Die Welt um mich herum war auf einem Mal still... nichts, außer das piepen der unausweichlichen, grausamen Realität drang durch meine Ohren.

Mit einem Verband um meiner Hand saß ich auf einen der Stühle im Menschenleeren Wertebereich der Notaufnahme. Mein ganzer Körper zitterte und ich sah stumm an mir herab.
Das Hemd mit meinem und dem Blut von Ced verschmutzt, meine Hände ebenfalls noch voll mit getrocknetem Blut und unter meinem Verband drang die erste rote Flüssigkeit hervor.

Mir ging es elendig, ich wollte Jovie anrufen um ihr zu erzählen wo ich bin. Doch als ich auf meinem Handy blickte, sah ich wer vor wenigen Stunden angerufen hatte. Cedric

Sofort schnürte sich meine Lunge zu und nur mit großer Überwindung spielte ich die Voicemail ab...

„... Und jetzt - glaube ich - fährst du hinter mir und alles was ich sagen kann, bevor ich gleich eine Vollbremsung mache und dich von diesem Motorrad runter ziehe, ist, dass ich dich verdammt noch mal liebe. Ich liebe dich, Raphael. Und ich hoffe, dass...-"

Dann hörte ich den Knall des Aufpralls, sein schreien und ich zuckte zusammen. Und schon wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen und vermischten sich kurze Zeit später mit dem Blut in meinem Gesicht.
„Nein..." hauchte ich und konnte es nicht glauben.
Bis zu dem Moment des Unfalls hatte er mir auf die Mailbox gesprochen. Hätte ich einfach nachgeschaut wer mich angerufen hatte, wäre das alles nie passiert. Dann wäre Ced jetzt nicht im Krankenhaus. Er wäre wohl auf.

Es war meine Schuld. Und diese Gewissheit zerriss mein Herz. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Alles was ich wollte, war doch bloß seine Nähe; Seine liebe. Doch ich war zu blöd, es zu erkennen. Ich wollte es nicht erkennen.

Doch jetzt war alles klar. Ich liebte diesen Jungen. Ich liebte ihn so sehr, dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte. Ich wollte ihn für immer bei mir haben. Wollte mit ihm alt werden und irgendwann mit dickem Bauch auf einem dieser Schaukelstühle auf der Veranda sitzen und über die alten Zeiten lachen. Das war alles was ich wollte.
Aber vielleicht würde das niemals passieren. Vielleicht würde Cedric sterben. Und dann würde auch ein Teil von mir sterben....

Plötzlich hörte ich schnelle Schritte aus dem Flur des Krankenhauses und ich sah zu der Tür des Wartezimmers. Ich rechnete fest damit, dass ein Arzt rein kommen würde und mir endlich erklären würde, was mit Cedric los ist.
Doch der Arzt kam nicht...
Dafür stand Jovie völlig aufgelöst in der Tür. Als sie mich sah, atmete sie erleichtert auf und rannte auf mich zu. Augenblicklich stand ich auf und sie schmiss sich mit Tränen in den Augen in meine Arme.
„Gottseidank!" nuschelte sie und fest drückte ich sie an mir, als auch bei mir wieder die Tränen liefen.

„Was ist passiert?" fragte sie, noch immer fest an meiner Brust gedrückt.
„Das Krankenhaus hat angerufen und gesagt, du hattest einen Unfall. Verdammt, ich hab mir solche Sorgen gemacht.."
Als sie sich löste, wischte sie ihre Tränen weg.
„Cedric hatte einen Unfall." versuchte ich zu erklären, doch meine zittrige Stimme machte es nicht leichter.
„Ich hab ihn aus dem Wagen geholt..." murmelte ich nur und sah ihn Jovie's Gesicht. Sie zog scharf die Luft an und sah mich aus großen Augen an.
„Oh scheiße... er war vor ein paar Stunden noch bei uns und hat nach dir gefragt und versucht alles zu erklären..." murmelte sie und langsam setzten wir uns auf die Stühle, während ich ihre Hand fest in meiner hielt.

Gerade als ich etwas erwidern wollte, kam der Arzt in das Wartezimmer.
„West?" fragte er und sofort stand ich mit Jovie auf und sahen den Arzt erwartungsvoll an.
In meinen Hintergedanken spielte sich ein Déjà-vu ab, als mein Dad im Krankenhaus lag...

„Wie geht es Cedric? Was hat er?" fragte ich sofort und konnte nicht einmal mehr still stehen.

„Das linke Bein von Mr. West ist gebrochen und er hat mehrere, starke Prellungen an der linken Hüfte und ebenso linke Schulter erlitten. Außerdem eine relativ leichte Gehirnerschütterung. Er kann froh sein, dass sein Schutzengel auf ihn aufgepasst hat. Er hätte sich das Genick brechen können oder die Wirbelsäule." erklärte der Arzt und augenblicklich hing ich an einen Gedanken fest.

Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann, klar?"

sagte Cedric zu mir, als er das erste mal auf meinem Motorrad saß und ich ihn zu meinen kleinen Ort brachte.

„Je schneller man auf einem Motorrad ist, desto sicherer ist es."

„Dürfen wir zu ihm?" fragte ich danach und der Arzt sah auf seinen Zettel.
„Er ist vor kurzem aufgewacht. Also ja, sie dürfen zu ihm."
Ein Stein fiel mir vom Herzen und der Arzt führte uns in das Zimmer von Ced. Und dort lag er, eingewickelt in Verbänden und mit blassem Gesicht.
„Ced..." hauchte ich und dieses Wort hat genügt, dass er seine Augen öffnete und in meine Richtung sah. Sein Blick erhellte sich und augenblicklich versuchte er sich zu bewegen.
„Nicht bewegen." murmelte ich und setzte mich auf den Stuhl direkt neben dem Bett. Automatisch griff ich nach seiner Hand und spürte, wie er sie leicht drückte.
„Raff, ich..." fing er an, doch schien er nicht die Kraft zu haben weiter zu reden.
Langsam schüttelte ich den Kopf.
„Scheiß drauf. Du lebst und das ist das wichtigste... Ja, ich war hinter dir. Und ja verdammt, ich liebe dich auch..."
Auf Ced's Gesicht schlich sich ein erleichtertes Lächeln und für einen Moment schloss er seine Augen.
„Du hast es gehört.." flüsterte er und mit erneut aufkommenden Tränen nickte ich.
„Aber zu spät..." hauchte ich und wurden die Schuldgefühle ein wenig stärker. Er lag dort verletzt und mit schmerzen. Und das wegen mir. Ich hätte es verhindern können. Hätte ich einfach auf mein Herz gehört.

Cedric schüttelte seinen Kopf und drückte meine Hand ein wenig fester.
„Es war nicht deine Schuld... Der Unfall wäre so oder so passiert..."
Fragend sah ihn an. Nein! Er wäre nicht passiert. Was redet er denn da?

„Mein Vater hat es eingefädelt. Das wurde mir klar, als mir bewusst wurde, was ich getan hatte.." murmelte er doch ich verstand davon kein Wort. Was hatte er denn bitte getan, als er das brave Schoßhündchen von Clifford gespielt hatte?

Als Cedric mein verwirrtes Gesicht musterte, schlich sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
„Rick ist unschuldig..." brachte er heraus und - genau so wie Jovie - legte ich meine Stirn in Falten, eher ich seufzte.
„Ced... Rick ist vor ein paar Wochen gestorben..." murmelte ich leise und erinnerte mich unweigerlich an den Abend im Krankenhaus. Wie wir alle das letzte mal in den Himmel sahen und Dad seine Augen schloss.

Cedric blieb still, eher er mich niedergeschlagen ansah.
„Das wusste ich nicht... mein Beileid..."
Abwinkend schüttelte ich den Kopf und zwang mich zu einem zarten Lächeln.
Mit seinem Tod kam ich mittlerweile klar. Es tat nicht mehr weh...

„Aber wieso denkst du, war er das?" fragte nun Jovie, die sich auf der anderen Seite von Cedric hingestellt hatte.
„Dad hat mir es erzählt. Er war es. Er hat ihn gezwungen alles zu gestehen. Zusammen mit meinem Onkel. Coricco..."

Heilige Scheiße, was?

So weit Cedric die Kraft hatte, erzählte er uns endlich die Wahrheit. Ich erfuhr alles, was er in dem letzten Monat getan hatte. Wieso er gegangen war und wieso er wieder hier war. Doch es fühlte sich so an, als hätte ich Jahre seines Lebens verpasst. Doch jetzt war er hier. Bei mir. Und alles, wirklich alles, wird schon bald gut werden. Alles wird gut....

All that's bright and goneWhere stories live. Discover now