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Jovie

Ich konnte kein einziges Auge zudrücken. Erst in den frühen Morgenstunden gelang es mir für ein paar kleine Stunden einzuschlafen.
Wie konnte er nach so einer langen Zeit und so einer schrecklichen Vergangenheit hier einfach wieder auftauchen?
Wie konnte er uns so etwas nur antun? Ich dachte damals, als er uns verlassen hat, war es das schlimmste was passieren konnte. Doch das war es nicht. Das schlimmste war seine Wiederkehr.
Und zu wissen, dass ein Vergewaltiger und zugleich Mörder unten auf unserer Couch liegt machte mich beinahe wahnsinnig.

Ich konnte Rick nicht in die Augen sehen. Denn jedes mal, wenn ich das tat, erinnerte es mich an jene Nacht. Wie er mich berührte, wie er mich zu diesen Sachen zwang und wie er Raphael aus dem Zimmer schleuderte. Bis heute konnte ich seine Alkohol Fahne riechen. Es war eine Mischung aus allen möglichen Sorten von Alkohol, vermischt mit dem Gestank von Zigaretten und billiger Mundspülung.

Nach viel zu kurzer Zeit klingelte mein Wecker und mit tiefen Augenringen schlug ich ihn wieder aus und kroch aus meinem warmen Bett. Ich warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Der Sommer neigte sich dem Ende zu und in ein paar Wochen würden die Bäume anfangen ihre derzeit noch grünen Blätter zu verlieren.
Mir graute es schon vor dem Winter. Die Heizungskosten würden wieder steigen und es käme wieder die Zeit, wo wir die Jacke im Haus anlassen können.

Mit meiner Zahnbürste im Mund ging ich die Treppe nach unten, wollte Raphael eigentlich nur Guten morgen rufen und dann zum Waschbecken in die Küche gehen, doch noch auf der letzten Stufe der Treppe blieb ich stehen und sah, was sich mir da vorne bot.

Die Kids saßen am Tisch, Raphael und Cedric waren an der Küchenzeile angelehnt und der verdammte Rick stand mit einer Schürze vor dem Herd und machte Pfannkuchen.
„Guten Morgen!" rief Rick fröhlich und schwang die Pfanne hoch. Der Pfannkuchen drehte sich in der Luft und landete sauber wieder in der Pfanne. Wow... das hatte er vor Jahren das letzte Mal gemacht. Bevor er dem Alkohol verfallen war.
„Ich hatte gesagt, du bist weg wenn ich aufstehe."
Brummte ich und hatte nun deutlich schlechtere Laune.
„Den Vortrag hab ich ihn auch schon gehalten..." kommentierte Raphael und sah mich lustlos an.

„Rick hat uns Frühstück gemacht!" rief Blue mir zu und kaute zufrieden auf sein Essen rum.
„Das ändert nichts."
„Warum nicht?" fragte er wieder und legte seine Gabel beiseite.
„Weil ich gestern gesagt habe, dass er verschwunden ist, wenn ich aufstehe."

Nun meldete sich Rick zu Wort. Er stellte die Pfanne vom Herd und ging einmal um die offene Küche herum.
„Bald bin ich verschwunden. Für immer verschwunden. Alles was ich jetzt möchte, ist Zeit mit meinen Kindern verbringen. Ist das wirklich zu viel verlangt?"
Ich schnaubte.
Ja verdammt, das war es.
„Wisst ihr was? Mir doch egal! Bleib so lange du willst, nur geh mir aus den Augen." zischte ich. Wenn er den Kids weismachen will, dass er wieder zurück ist, dann soll er es ihnen auch erklären, dass er bald sterben wird!
„Aber eins noch..." fauchte ich regelrecht.
„Sag den Kids, was ihnen erwartet!"
Danach schnappte ich mir meine Jacke und verließ das Haus. Ich würde jetzt zu Vicky gehen und im Café fragen, ob eine Stelle frei ist.

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Raphael

Still stand ich einfach neben Cedric und hörte mir den Streit zwischen Rick und Jovie an. Und ich wusste nicht, was ich dazu denken sollte.
Auf der einen Seite, ist Rick das schlimmste, was unserer Familie hätte passieren können. Aber auf der anderen Seite ist er immer noch unser Vater. Und gerade die Kids schienen sich insgeheim sogar ein wenig zu freuen, dass er zurück ist. Und ganz vielleicht, nur vielleicht, tu ich das ja auch.

„Alles gut?" Cedric hatte sich zu mir rüber gebeugt und musterte mich. Ich stand mit meinen Armen vor der Brust verschränkt an in der Küche angelehnt und sah wortlos zur Tür, durch die Jovie verschwunden ist.

Durch Cedric wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich sah ihn an und zwang mich zu einem kleinen Lächeln.
„Ja, alles gut."
Er nickte und musterte wieder Rick.
„Weißt du, Raphael..." fing er an und hievte gerade den letzten Pfannkuchen auf den Teller mit den anderen. Ich denke, dass Fae und Blue schon längst satt waren.
„... ich bin seit über 8 Jahren trocken. Keinen einzigen Tropfen Alkohol habe ich in der Zeit getrunken. Und ich werde es nie wieder tun. Ich habe mich wirklich verändert. Ich hatte viel zu viel Zeit im Gefängnis über alles nachzudenken was ich je getan habe. Und jetzt, da klar ist, dass ich bald das zeitliche segnen werde, wurde mir das alles erst recht bewusst..."

„Was heißt das zeitliche segnen?" fragte Blue auf einmal, ohne das ich Rick antworten konnte. Ich konnte das alles noch nicht ganz fassen. Hatte er sich wirklich verändert? Ich meine, wie lange ist es her, dass Dad für uns Pfannkuchen gemacht hat? Fuck, hatte ich ihn gerade Dad genannt?

„Das heißt, dass mir nicht mehr viel Zeit hier bleibt. Schon bald werde ich meine Augen schließen und nicht wieder aufwachen." Rick hatte sich die Schürze abgehangen und sich neben Blue auf den Stuhl gesetzt.
„Heißt das, du wirst sterben?" Blue war nicht dumm. Er konnte sich schnell aus gewissen Sachen einen Zusammenhang bilden. Auch wenn er mit fast 11 Jahren noch ein wenig kindisch war, sollte es nicht anders sein. Er war 10 und war ein Kind. So wie es sich gehörte.

Rick seufzte.
„Ja, Blue. Ich werde bald sterben." sagte er schließlich leise und sah ein wenig betrübt auf die Tischplatte.
„Ist schon Okey, ich habe keine Angst vor dem tot." antwortete Blue und legte seinen Kopf leicht schief.
Etwas verbittert musste Rick lachen.
„Ich weiß, ich weiß... du bist ein starker Junge." er tätschelte Blue den Kopf und stand wieder auf.
Doch dieses Mal stellte er sich vor mir.
Cedric neben mir spannte sich an und wollte sich schon vor mir drängeln, wer weißt, vielleicht haut er mir ja erneut eine runter?

„Es tut mir leid, dass ich gestern so ausgerastet bin. Das hätte ich nicht tun sollen, ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Das war falsch von mir, Raphael. Was ich damit sagen will..." er machte eine Pause und Cedric neben mir wurde ein wenig lockerer.
„...ich bin froh, dass du glücklich bist. Und wenn es ein Junge ist, der dir das Gefühl gibt, Zuhause zu sein, dann freu ich mich für dich. Ich weiß, ich konnte dir dieses Gefühl nie geben. Aber Cedric scheint das zu können."

Solch ehrlichen Worte hatte ich noch nie von Rick gehört. Dennoch fühlte es sich so an, als sagte er die Wahrheit. Im ersten Mal in meinem Leben, fühlte ich etwas bei ihn, welches sich nicht mit Hass assoziieren ließ. Zum ersten Mal in meinem Leben schien es so, als wäre er bereit der Vater zu sein, der er eigentlich schon vor 21 Jahren hätte sein sollen.

„Danke... Dad..."

All that's bright and goneWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu