[39]

94 16 0
                                    

—————
Raphael

Seit über eine Woche fehlte jede Spur von Cedric. Doch ich habe mir eingeredet, dass es so besser ist. Dass wir einfach in zwei verschiedenen Welten leben und wir in die jeweilig andere nicht hineinpassen. Und dieser Gedanke war gut so. Er ließ mich Nachts schlafen, ich konnte mich wieder ernähren und Sport machen. Alles sollte so wie in alten Zeiten werden.

Jovie und ich kamen gerade von einem wichtigen Termin wieder. Denn ich habe einen Job in einer Zeitarbeitsfirma bekommen. Schon am nächsten Montag werde ich als Sicherheitsmitarbeiter beim Flughafen in unserer Stadt anfangen. Der Weg dort hin ist zwar doppelt so weit, doch man konnte ihn gut mit der Bahn erreichen. Ab Montag wird dann Jovie das Auto von unserer Nachbarin Eli fahren und die Kids zur Schule bringen. Also ganz wie in alten Zeiten wird es nicht mehr werden...

Ich hatte super gute Laune und um meinen neuen Job feiern zu können, haben wir auf den Rückweg Taccos mit gebracht.
„Wir sind wieder da!" schrie Jovie durchs Haus, nachdem wir gerade die Tür hinter uns geschlossen haben. Die Kids waren mit Dad im Wohnzimmer. Blue und Dad spielten zusammen gegen Fae eine Partie Schach. Ich musste lachen, da Blue keine Ahnung hatte, wie Schach funktionierte und Fae immer wieder dazwischen redete und ihn versuchte zu erklären, dass er diese Figur da nicht hinsetzen kann.
Als sie und hörten, blickten alle drei auf.
„Wir haben Taccos!" rief Jovie begeistert und ein großes jubeln brach aus. Keine drei Sekunden später rannte Blue zwischen meinen Beinen hin und her und schrie immer wieder „Taccos! Taccos!"
Ich musste herzlich lachen, während Jovie anfing den Tisch zu decken.

„Raphael, sei so nett.." Dad versuchte vom Sofa aufzustehen, doch er schaffte es nicht mehr ohne Hilfe. Er hielt mir seine Arme entgegen und schnell stellte ich die Tüte mit den Taccos auf den Tisch um Rick aufzuhelfen.
Jeder Schritt tat ihm weh und es machte mich gleich ein wenig trauriger ihn so zu sehen...
Doch als er am Tisch saß und seinen Tacco auf dem Teller sah, erhellte sich seine Miene.
„Was gibt es denn für einen Anlass heute?" fragte er erstaunt. Doch ich wartete mit dem erzählen, bis alle am Tisch saßen.

„Also... ich hab den Job bei der Zeitarbeitsfirma bekommen." verkündete ich und Dad lachte freudig auf und klatschte in die Hände.
„Das ist ja super! Ich freue mich und bin wirklich stolz auf...-" Rick wurde von einem starken Hustenanfall unterbrochen. Sofort hielt er sich die Hand vor dem Mund, noch ich konnte sehen, wie er Blut aushustete. Ich riss schockiert die Augen auf und Jovie eilte in die Küche um ihn ein Glas Wasser zu holen. Doch es wurde nicht besser. Sein Gesicht wurde Knall rot und lief schon beinahe blau an. Dad wollte aufstehen, doch als er gerade mal eine Sekunde auf den Beinen stand, gaben diese nach und er fiel auf den Boden. Und auf einem Mal war das husten verschwunden. Und Dad lag regungslos auf dem Boden.
„Dad!" riefen wir fast alle gleichzeitig und Jovie rannte sofort zu ihm, genau so wie Fae.
„Raff! Ruf einen Rettungswagen!„ schrie sie und in Windeseile wählte ich 911...
Mein Herz sackte in die Hose, Angst und Panik überfiel mich. Was passiert mit ihm?

Es war wie ein Filmriss. Ich hatte telefoniert und das nächste an das ich mich erinnern konnte war, wie Sanitäter das Haus stürmten, meinem Dad das Hemd aufschnitten und ihn letztendlich mit in den Krankenwagen nahmen und mit Blaulicht davon fuhren.
Und zurück blieben wir vier, schockiert und nicht in der Lage irgendetwas zu sagen.
„Ab ins Auto, wir fahren hinterher...!" befahl Jovie nach ein paar Sekunden der Stille in denen wir nur nebeneinander standen und uns nicht einmal bewegten.
Und als wäre das ein Zauberwort gewesen, zogen wir uns alle unsere Jacke und Schuhe an, stiegen in das Auto von Eli und fuhren ins nächste Krankenhaus...

Warten. Das taten wir jetzt schon seit über einer Stunde. Wir saßen im Wartezimmer, Blue auf meinem Schoß, fest an mich gedrückt, Jovie daneben und hielt Fae im Arm. Keiner sagte etwas, alle waren angespannt und voller Sorge.
Und dann irgendwann kam endlich der Arzt in das Wartezimmer der Notaufnahme.
„Coleman!" rief er und sah von seinem Klemmbrett auf.
Sofort hob ich Blue hoch und wir standen auf.
„Wie gehts unserem Vater?" fragte ich sofort und sah den Arzt hoffnungsvoll an.
„Ihr Vater leidet unter Knochenmarkrebs. Das ist ihnen bekannt?" wir nickten.
„Der Vorfall heute, ist dem Krebs geschuldet. Er frisst ihn von innen heraus auf. Und das sehr schnell..."
„Dürfen wie zu ihm?" fragte Jovie und griff nach meiner Hand.
Blue auf meinem Arm sah den Arzt mit großen Augen an.
„Ja. Aber ich rate ihnen allen, sich zu verabschieden. Diese Nacht konnte seine letzte sein..."
Mir wurde die Luft abgeschnürt und ein dicker Kloß setzte sich in meiner Kehle. Mein Herz pumpte doppelt so schnell und erneute Angst machte sich in mir breit. Er sollte nicht sterben...!

Der Arzt führte uns in das kahle, sterile Krankenhaus Zimmer. Seine Augen waren geschlossen und es sah so aus, als würde er nur schlafen. Und hoffentlich tat er das auch.
„Dad...!" rief Blue als er ihn sah und ich setzte ihn von meinem Arm ab. Sofort rannte er zu ihm, ebenso Fae.
„Hey meine kleinen..." hauchte er schwach und öffnete sogleich seine Augen. Er lachte und freute sich, die beiden zu sehen. Doch das Lachen bereite ihn schmerzen. Das sah man ihn an..
Etwas langsamer näherten Jovie und ich uns ebenfalls sein Bett und blieben neben Blue und Fae stehen.
„Der Arzt hat gesagt, dass..." fing ich an, doch wurde von Dad unterbrochen.
„Dass das meine letzte Nacht ist. Ich weiß."
„Und genau deswegen wollte ich dir sagen, dass ich dankbar dafür bin, dass du wieder in unser Leben getreten bist. Es hat uns allen gezeigt, wie toll es doch ist, einen Vater zu haben. Und deinen Job als Vater hast du in den letzten Wochen echt verdammt gut hinbekommen."
Erneut musste Rick lachen.
„Das freut mich wirklich sehr zu hören. Noch vor zwei Monaten dachte ich, ich würde alleine in meiner Zelle sterben. Doch diese letzten Wochen waren mit Euch wertvoller, als alles Geld der Welt. Aber jetzt ist meine Zeit gekommen. Es soll so sein und es ist gut so. Den Tot kann man eben nicht austricksen... Und ein Coleman erst recht nicht." Rick hielt die Hände von Fae und Blue.
„Merkt euch eins, meine kleinen. Dad hat euch immer lieb. Und ihr werdet immer in meinem Herzen bleiben." Dad lächelte den beiden aufmunternd zu. Doch ihre aufkommenden Tränen waren etwas unvermeidbares. Sie fingen an zu weinen, doch Rick breitete seine Arme aus und nahm sie links und rechts ein letztes Mal in den Arm.
„Alles wird gut. Versprochen. Ich werde auf Mama aufpassen und immer bei euch sein. Ich bin immer in euren Herzen. Merkt euch das..."

Kurz sah ich zu Jovie. Sie kramte bereits in ihrer Tasche nach einem Taschentuch. Denn auch sie war am weinen. Und ich versuchte noch mit aller Kraft meine Tränen zurück zu halten. Ich hasste es zu weinen. Ich hatte es in den letzten Tagen viel zu oft getan.
„Jovie, Raphael..." sagte Rick und sah uns mit einem müden Lächeln an, während Fae und Blue in seinen Armen lagen.
„Ich bin so unendlich dankbar, dass ihr mir meinen letzten Wunsch erfüllen konntet. Dass ich meine letzten Tage mit meiner Familie in Frieden verbringen konnte. Und wisst ihr was? Ich werde auch auf einen Stern dort oben sitzen und euch zusehen. Ich werde gemeinsam mit Mom dort oben sein und lachen. Und ich hoffe, ihr werdet mein Lachen so in Erinnerung halten, wie das von eurer Mutter..." und nun huschte die erste kleine Träne über meine Wangen.
„Versprochen Dad. Das werden wir. Versprochen..." hauchte ich, da ich für eine feste Stimme nicht genug Kraft hatte.
Dad winkte sich zu uns ran und schließlich umarmten wir alle vier unseren Vater ein aller letztes Mal.

„Schaut für mich in die Sterne. Ein letztes Mal möchte ich eure strahlenden Augen sehen..." flüsterte er und langsam standen Blue und Fae vom Bett auf. Ich nahm Jovie und Fae an die Hand, während Blue bei meiner kleinen Schwester an der Hand war. Gemeinsam sahen wir aus dem Fenster des Krankenhauses und sahen in den Himmel. Dad lächelte uns an, während wir die die Sterne am liebsten vom Himmel pflücken wollten. Und langsam schloss Dad seine Augen.
„Schaut für mich in die Sterne..." flüsterte er und ich hörte, wie das letzte bisschen an Luft seine Lunge verließ...

All that's bright and goneWhere stories live. Discover now