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Raphael

Cedric öffnete die Tür, hinter der schon irgend ein Gelächter zu vernehmen war. Augenblicklich wurde es still und alle Augenpaare lagen auf mir. Ich erkannte seinen Vater. Clifford West. Schon oft hab ich ihn auf irgendwelchen Plakaten gesehen.
Er saß am Ende des voll gedeckten, mit teurem Geschirr überfluteten, großen Tisches. Links neben ihn waren zwei weitere Menschen. Cedric's Schwester und ein Mann den ich nicht kannte.

„Cedric!" war die Begrüßung, mit der er empfangen wurde.
„Wer ist das?" fragte sein Vater sogleich, während wir auf die freien Stühle des Tisches zugingen.
„Das ist Raphael. Raphael Coleman. Mein Freund." sagte er und reckte sein Kinn in die Höhe, so arrogant wie es nur ging. Mir war sofort klar, dass Cedric das Spiel mitspielte, welches von ihm gefordert wurde. Ich sah ihn an, dass ihn das nicht leicht fiel.
Und ich bekam Mitleid. War seine Familie so schrecklich?

„Ein Coleman!?" rief seine Schwester.
„Das ist ein Familienessen!" fügte sie hinzu und warf mit einem böse funkelnden Blick ihre Serviette auf ihren Teller.
„Genau. Deswegen ist er hier, Alessia." sagte er knapp und wir setzten uns schließlich an den Tisch.
So hieß seine Schwester also.
Sie schnaubte und wir fingen wortlos an zu essen. Doch diese Diskussion ließ ihr wohl keine Ruhe. Denn sie legte etwas lautstark ihr Besteck weg und schaute zu Cedric hoch.

„Also bitte. Du bezeichnest eine Affäre jetzt schon als Familie?!" Die Fassungslosigkeit stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben und sie kochte schon vor Wut.
„Du bezeichnest deine schließlich als deinen Ehemann. Nicht wahr, Timmothy?" er wechselte den Blick zu dem Mann, der neben Alessia saß. Aber heilige scheiße, mit diesem Schlagabtausch kam nicht wirklich zurecht. Ich saß einfach still auf dem Stuhl und wagte es nicht mal mich zu bewegen.

Alessia schnaubte und drehte ihr Gesicht beleidigt weg.
Cedric schien froh zu sein, dass diese Diskussion beendet war. Doch leider begann direkt das nächste Thema, das sich nicht großartig von dem vorherigen Unterschied. Mich.

„Also, Raphael. Richtig?" Fragte nun Clifford und schnitt gerade provokativ ein Stück Fleisch klein, während er mich nicht aus den Augen lies.
„Ja Sir." gab ich nickend als Antwort. Dieser Mann sah gefährlich aus. Er sah so aus, als könne er Leute mit Leichtigkeit verschwinden lassen. Und das machte mir ein wenig Angst. Man fühlte sich schon bedroht, wenn er sein Fleisch schnitt. Wie ist es dann erst, wenn er einem richtig droht?

„Wie schmeckt dir das Essen bislang?" mischte sich Alessia ein, die allen Anschein nach noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen hatte.
Clifford ließ sie machen. Also muss ich mich jetzt wohl weiter mit ihr unterhalten.
„Es ist sehr köstlich, Alessia."
„Für dich, bitte Mrs. West." tadelte sie und griff vornehm zu ihrer Serviette.
„Natürlich, Alessia." und wieder ein schnauben.
Und zugegeben, so schwer war es gar nicht, sich mit ihr einen Schlagabtausch zu liefern.

„Ich nehme an, dass du diese Art von essen nicht gewohnt bist. Dennoch scheinst du dich bislang ganz zivilisiert zu benehmen. Halte dich dennoch bitte zurück, dieses Essen zu klauen, auch wenn deine Familie wahrscheinlich Hunger leidet." sie klimperte Hochnäsig mit ihren Wimpern und ich spannte mich an. Und auch Cedric wirkte angespannt. Es schien so, als würde es ihn gegen den Strich gehen, wenn sie so über mich redete.

„Sag mir, Raphael. Erfüllst du die Klischees der typischen Coleman Familie?" stocherte Alessia weiter und ich riss mich zusammen. Kurz war ich mit dem Gedanken am spielen, wie gut ich ein Steakmesser werfen konnte.

„Und sag du mir eins. Erfüllst du, Alessia, ebenfalls alle Klischees einer typischen, arroganten Bitch?"

Wieder ein schnauben und ein abfälliger Blick.
„Mir scheint es so, als würdest du ziemlichen Biss haben. Aber ich habe nichts anderes erwartet von einem kriminellen Köter von der Straße."
Sie tupfte sich sanft ihre Lippen mit der Serviette ab, griff elegant zu ihren Champagner Glas und lehnte sich leicht zurück, während sie ihr Glas ein klein wenig schwenkte. Dieses Weib kam gerade erst so richtig in fahrt.
„Apropos kriminell..." säuselte sie gefährlich leise.
„Wie geht es deinem Vater?" dieser Satz war wie ein Schlag in die Magengrube. Und zwar einer direkt von Tyson Fury.
„Seit über 7 Jahren ist er schon im Gefängnis. Und er wird bis an sein Lebensende nie wieder das Tageslicht sehen." redete sie weiter und ich würde am liebsten aufstehen und ihr eine verpassen. Ich fühlte mich elendig.
Doch Alessia war noch nicht fertig.
„Rick war sein Name. Richtig? Er hat seine Frau einmal fast zu Tode geschlagen.." diese Worte kamen aus ihren Mund, als würde sie ihren Freundinnen eine einfache Geschichte erzählten.
Mein Herz pochte, um im nächsten Moment beinahe aufzuhören zu schlagen.

„Aber dann starb sie. Und er wurde erst so richtig kriminell. Vertickte Drogen, wurde Alkohol abhängig, verging sich schon früher an seiner ältesten Tochter. Dann raubte er eine Bank aus, erschoss dabei zwei junge Frauen und hinterließ die trauernde Familie."

Sie stellte ihren Champagner ab und sah mir tief in die Augen.
„Also, liegt so etwas bei euch in der Familie? Oder machst du dir eher mehr Sorgen um den Krebs? Rick hat Knochenmark Krebs, richtig? Warst du schon beim Arzt um das mal untersuchen zu lassen? Sicherlich nicht. Das wäre nur eine weitere Rechnung auf diesem endlos großen Stapel an Schulden.." Tadelnd trank sie einen Schluck von ihrem Champagner.

Das Fass lief über. Ich konnte mir nicht noch mehr von ihren grausamen Worten anhören.
Mit letzter Kraft hielt ich meine Tränen zurück. Niemand brachte mich zum heulen. Niemand. Und sie? Sie schaffte es mit ein paar Sätzen.
Ich ließ meine Gabel fallen, stand ruckartig vom Tisch auf und verschwand aus diesem Saal. Ich musste hier raus. Unbedingt. So schnell wie möglich.

Im Hintergrund hörte ich Cedric. Er schrie Alessia an, danach rückte er seinen Stuhl nach hinten. Mit einer gespielten Freundlichkeit sagte er noch „Entschuldigt uns bitte. Einen schönen Abend noch und fahrt zur Hölle." und war mir gefolgt.

Fast schon fluchtartig verließ ich das Haus und stürmte regelrecht die Treppe nach unten. Alle Paparazzi waren weg. Gottseidank.
Ich lehnte mich an die Hauswand und atmete schwer, Während ich mit aller Kraft versuchte meine Tränen zurück zu halten.
Alles kam hoch. Alles was ich versucht habe in den letzten 10 Jahren zu verdrängen. Alles war wieder da und es machte mich fertig. Es ließ meine Maske bröckeln. Und das durfte nicht passieren!

„Raphael!" rief Cedric, als auch er nach draußen gerannt kam. Doch ich antwortete ihn nicht.
Ich bekam keine Luft, der Kragen vom Hemd schien mir plötzlich alles an Luft weg zu nehmen. Ich war fertig. Einfach nur am Ende.

„Scheiße es tut mir so leid, hätte ich gewusst, dass Alessia so etwas abzieht dann.." er verstummte.
Ich sah ihn nur mit Tränen gefüllten Augen an, meine Haare waren durcheinander und nicht mehr gestylt wie noch vor ein paar Stunden.
Ich konnte nichts sagen. Ich wusste nicht was. Cedric hatte mich gewarnt vor seiner Familie. Er hat gesagt, nimm es dir nicht zu Herzen. Und was hab ich gemacht? Richtig, genau das falsche.
Ich dachte, es wäre mir egal, wenn sie anfangen würden über mich oder meinen Familiennamen zu reden. Aber ich lag falsch. Es war mir verdammt noch mal nicht egal, wenn man über meinen Vater oder meiner Mutter redete. Und Cedric saß daneben und hat jedes einzelne Wort mitbekommen. Jedes einzelne. Und dabei wollte ich ihn so wenig von mir erzählen wie es nur ging. Er sollte nichts über mich wissen, nichts gegen mich in der Hand haben, nichts über meine Familie wissen. Und jetzt wusste er alles.

Woher auch immer Alessia diese Informationen her hatte. Sie wurden unter Verschluss gehalten, genau aus diesem Grund. Damit niemand diese dunklen Seiten erfährt, damit Blue und Fae und auch Jovie noch eine Chance auf ein normales Leben hatten. Ein Leben, das ihnen nicht vorgeschrieben wird, nur weil sie den Nachnamen Coleman tragen.
Doch jetzt schien alles ruiniert.
Und dann spürte ich, wie eine heiße Träne meine Wangen runter rollte...

„Hey... alles Okey bei dir?" fragte Cedric in einem so sanften und Vorsichtigen Ton, so wie ich ihn noch nie von ihm gehört hatte.
Im Schatten der Dunkelheit wischte ich meine Tränen weg. Das letzte was ich jetzt brauchte, war dass Cedric mich weinen sah.
Doch irgendwie schien er wie ausgewechselt.
Jegliche Spur von Arroganz oder seiner hochnäsigen Art war wie weggeflogen.

Doch schließlich schüttelte ich den Kopf. Ein Schluchzer verließ meine Kehle und ich konnte kaum noch Atmen. Panik überfiel mich und ich wäre am liebsten weg gerannt. So weit weg wie möglich. Doch Cedric hielt mich davon ab. Sanft legte er eine Hand auf meine Schulter, drehte mich zu ihm um und zog mich näher. Und dann... dann legte er seine Lippen auf meine...

All that's bright and goneWhere stories live. Discover now