Kapitel 58

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Clay's PoV

,,Molly und Mason...wo soll man da anfangen?'' fing ich meine kurze Rede an und lachte sogar einmal kurz sarkastisch auf.

,,In der Schulzeit hatten wir absolut nicht dasselbe Verhältnis, als das, was wir heute hatten. Ich hatte sie sogar gehasst, wirklich...sie waren beide einfach zum Kotzen'' fing ich erneut an.
,,Aber danach? Danach wurden sie zu Freunden, zu sehr guten sogar. Vor kurzem waren wir sie erst besuchen und nun auf ihrer Beerdigung zu stehen ist...man hat überhaupt keine passenden Worte dafür...'' fuhr ich fort
,,Man kann sie leider nicht zurückholen oder etwas an dem Geschehenem ändern, aber ich werde so gut es geht für deren Tochter da sein, sie ist definitiv nicht alleine '' beendete ich meine Rede.

Wieso Molly und Mason? Molly hatte, wie man es sich schon denken konnte, die Nacht im Krankenhaus nicht überlebt. So fanden wir uns nun auf deren Beerdigung wieder. Alysa war nicht dort und das  fand ich auch gut so. Das wäre definitiv zu viel für ein fünfjähriges Mädchen gewesen.

Was Alysa anging, wussten wir, dass sie im Kinderheim nun wohnte und sich Monica Stanford um sie kümmerte. Wir hätten Alysa wirklich gerne bei uns aufgenommen, jedoch war das nicht möglich.

Sie brauchte nämlich ein familiäres Umfeld. Vater, Mutter, eventuell sogar noch Geschwister. Sie wäre bei uns vermutlich untergegangen. Wir waren alles nur drei junge Männer, die gerade einmal so ihr eigenes Leben auf die Reihe bekamen. Wir würden aber zu hundert Prozent für sie da sein - sie gehörte für uns zur Familie.

Am nächsten Tag gingen George und Nick normal arbeiten, ich blieb jedoch Zuhause. Die Kraft dazu hatte ich einfach nicht. Mein Beruf war sowieso nicht so wichtig, wie es die von ihnen waren.

Ich war alleine Zuhause und lag auf dem Sofa, während ich fernsehen schaute. Plötzlich klingelte es an der Haustüre.

Ich öffnete sie und sah Monica Stanford vor mir stehen. George hatte mir von ihr erzählt, ich hatte mit ihr aber auch auf der Beerdigung einmal gesprochen, sie war nämlich auch dort.

,,Hallo, was kann ich für Sie tun?'' entgegnete ich ihr.
,,Es gibt Neuigkeiten, darf ich hereinkommen?'' fragte sie. Ich machte Platz und bat sie herein. Wir liefen ins Wohnzimmer, wo wir beide auf den Sofas Platz nahmen.

,,Was sind es für Neuigkeiten?'' fragte ich sie.
,,Es geht um Alysa'' sagte sie. Nun wurde ich hellhörig und aufmerksam.
,,Okay und was genau?'' fragte ich.

,,Ich habe mit Alysa eine Weile gesprochen, um herauszufinden, warum sich ihre Eltern überhaupt gestritten haben'' fing sie an zu erzählen.
,,Sie sagte, dass sie ihre Mutter dabei beobachtet hätte, wie sie einen Brief versteckt und ihr Vater diesen später gefunden hatte'' sie machte eine kurze Pause und sprach weiter.

,,Während der Autofahrt wollte ihr Vater anscheinend sie daraufhin konfrontieren, es ging wohl um etwas Ernstes. Alysa meinte nämlich, dass ihr Vater immer wieder zu ihr geschaut hätte und besorgt aussah''
,,Und um was ging es genau bei dieser Konfrontation?'' fragte ich. Ich hatte wirklich keine Ahnung, warum sie mir das erzählte und was ich damit zu tun haben sollte.

Sie kramte aus ihrer Tasche einen alten Brief, der schon ziemlich abgenutzt ausschaute und gab ihn mir. Verwirrt nahm ich ihn entgegen, hatte ihn jedoch noch nicht geöffnet.
,,Was ist das?'' fragte ich.
,,Der Brief, um den es beim Streit ging'' antwortete sie.
,,Öffnen Sie ihn und lesen Sie sich bitte aufmerksam durch, was dort steht'' fügte sie hinzu.

Unsicher öffnete ich langsam den Brief und fing an zu lesen.

Sehr geehrte Frau Young,
es tut uns aufrichtig leid, ihnen etwas Bedauerliches mitteilen zu müssen. Vor fünf Jahren haben Sie und Herr Clay Ruel einen Vaterschaftstest angefordert. Es wurde Ihnen damals mitgeteilt, dass dieser mit einem zu der Zeit Mason Wallace vertauscht worden sein soll, was nicht der Fall ist. Das hat heute Morgen ein Mitarbeiter zufälligerweise im System gesehen, woraufhin wir sie sofort mit diesem Schreiben benachrichtigt haben.
Wir können Ihnen gar nicht sagen, wie leid uns das tut und bitten um Ihr Verständnis. Wir wissen, dass wir die verlorenen Jahre nicht zurückholen können. Wir hoffen aber, dass wir hiermit neue beginnen können.
Bei weiterem Anliegen oder Fragen können Sie uns gerne kontaktieren.

Es fühlte sich an, als hätte mein Herz aufgehört zu schlagen. Als hätte sich mein Leben innerhalb von zwei Minuten komplett gewendet. Als würde alles, wie ich es befürchtet hatte, in sich zusammenfallen.

Alysa war meine Tochter. Die ganze beschissene Zeit war sie meine und nicht Mason's Tochter. Fünf Jahre...fünf verdammte Jahre, in denen Mason sie wie seine Tochter aufgezogen hatte und es dabei gar nicht seine Tochter war.

Ich konnte mir vorstellen, was für ein Schlag ins Gesicht das für ihn gewesen sein musste. Nicht das er sie dadurch aufgehört haben würde zu lieben, sondern Molly deshalb konfrontieren wollte. Wissen wollte, warum sie es vor ihm geheim halten wollte.

,,Ich bin hier, da sich somit nun herausgestellt hat, dass Alysa's eigentlicher Vater noch lebt und somit die Vormundschaft für sie bekommen kann. Das heißt, dass sie nicht in eine Pflegefamilie müsste, sondern bei ihrem Vater leben könnte - bei Ihnen'' hörte ich Monica sagen.

,,Ich kann das nicht...ich bin kein Vater...'' murmelte ich.
,,Herr Ruel, ich kann mir vorstellen, wie schockierend das für Sie sein muss, aber versuchen Sie bitte auch an Ihre Tochter zu denken'' fing sie an. Bei den Worten Ihre Tochter überkam mich eine unheimliche Gänsehaut.

,,Sie hat gerade die zwei wichtigsten Menschen aus ihrem Leben verloren und fühlt sich dementsprechend alleine und einsam. Sie weiß noch nicht, dass Sie ihr biologischer Vater sind. Wir möchten gerne, dass Sie dabei sind, wenn es ihr gesagt wird und Sie auch somit anfangen können eine Bindung zu ihr zu schaffen'' fuhr sie fort.

Ich vergrub mein Gesicht in meiner linken Hand, während ich in der Rechten noch den Zettel hielt.
,,Ich...kann ich bitte darüber nachdenken? Das ist gerade einfach alles zu viel für mich...'' entgegnete ich ihr.

,,Das verstehe ich. Lassen Sie sich Zeit, aber bitte nicht zu viel, denn die Zeit bleibt nicht stehen. Wenn Sie nicht das Sorgerecht für Ihre Tochter erhalten wollen, kann sie, wie es eigentlich abgemacht wurde, in eine Pflegefamilie'' antwortete sie und stand auf. Ich begleitete sie zur Haustüre.

Ich wollte ihr den Zettel wieder geben, doch sie nahm ihn nicht an.
,,Behalten Sie den ruhig'' sagte sie. Ich nickte ihr zu und schloss die Haustüre.

Noch immer geschockt und wie gelähmt rutschte ich die Türe mit meinem Rücken herunter und saß nun auf dem Boden.
Ich fuhr mir durch die Haare und verharrte auch mit meiner Hand dort.

Was sollte ich tun? Ich konnte doch nicht von heute auf morgen den Vater eines Kindes spielen? Wie zur Hölle sollte ich das George beichten können? Ich konnte das nicht - ich konnte nichts von all dem.

Alle meine Sorgen und Befürchtungen von damals holten mich schlimmer als dort wieder ein. Es fühlte sich wie das Ende an. Das Ende meiner glücklichen Beziehung, das Ende meines Lebens, der Beginn des Versagens...

Stepbrother?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt