2*

3.2K 118 55
                                    

Der frische Wind ließ mich lebendig fühlen, als ich das Fenster des Autos öffnete und hinaus blickte. Ein Lächeln beschlich meine Lippen, als ich die bekannte Brücke erkannte.

Mein Herz schlug um eine Nuance höher, weil ich feststellte, dass das wirklich real war. Ich war zurück. Zurück in meiner Heimat, bei meinen Freunden und doch hatte ich Angst. »Du erkältest dich noch, Liebes.«

Mein Blick schweifte zu meiner Mutter, die mich besorgt musterte und sich wieder der Straße widmete. »Ich weiß, aber ich passe auf.«, versicherte ich ihr und sie nahm es nickend hin.

Nachdem meine Mutter all meine Verletzungen sah, ging sie mit mir zum Arzt und zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Sie wusste inzwischen alles, was mir in den vergangen vier Jahren geschehen war und sie war schockiert.

Sie fühlte sich schuldig für das, was mir passierte und sie nichts, durch das viele Arbeiten, mitbekam. Sie mag inzwischen alles wissen, doch gab es noch ein Geheimnis, dass ich ihr nicht offenbarte.

Es war unser dreckiges Geheimnis, das ich nicht ausplaudern sollte, weil ich sonst büßte. Meine Mutter ahnte nicht, was ich verbarg und ich wollte ihr nicht noch mehr aufbürden.

Ihr genügte meine gebrochenen Rippen, meinem in Gips eingelegten Arm und mein wundes Gesicht.

»Dein nächster Arztbesuch ist nächste Woche.«, erwähnte meine Mutter erneut und ich vernahm Trauer in ihrer Stimme. Sie war traurig über die Tatsache, das ich ihr nie etwas sagte.

Aber viel trauriger und wütender machte es sie, dass mein Vater nie ein sterbendswörtchen erzählte - dass ich leidete, ohne ihr Wissen. Es war nur ein weiterer Grund, sich von ihm scheiden zu lassen.

Ständig bestand sie drauf, dass das alles ihre Schuld gewesen war und ich versuchte sie davon abzubringen, aber ich schaffte es nicht. Meine Mutter war hartnäckig, doch in Anbetracht dieser Schuldgefühle, war sie es nicht wert.

Sie hatte besseres verdient und sie hatte nicht verdient, sich schlecht zu fühlen. »Okay.«, ich strich mir eine Haarsträhne zurück und tippte danach auf mein Gips.

»Du wurdest auch schon auf der Oberschule angemeldet.«, wieder nickte ich und nahm einen tiefen Atemzug. Mir speite vor der neuen Schule, doch es fühlte sich an wie zu Hause. Ich war zu Hause. Zurück in meiner Heimat, die ich über alles liebte.

Nachdem wir vor einem Wohnblock zum stehen kam, stiegen wir aus und atmeten die kühle Luft in Shibuya ein. Es roch vertraut und im nu entkamen mir Tränen.

Mit offener Handfläche, ließ ich einige Schneeflocken, auf meiner Hand fallen. Sechs Jahre war es her, dass ich auf diesem Land stand. Vier lange Jahre, die ich mit Quälereien durchstanden hatte und ich war froh, wieder zurückgekehrt zu sein.

Jetzt musste ich mich nur noch überwinden, den anderen gegenüber zu treten. Mir war mulmig, denn ich wusste nicht, ob sie mich erkannten oder ob sie alle überhaupt noch miteinander auskamen.

Vielleicht waren sie alle, ebenso wie ich, verstreut und lange schon keine Freunde mehr. »Mom.«, meine Mutter wandte sich mir zu, als ich nach ihr rief. Sie war dabei den Kofferraum zu öffnen, während ich daneben stand.

»Darf ich eine Runde gehen?«, ich legte meinen Kopf schief und sah sie mit großen Augen an, damit sie nachgab. Sie seufzte. »Sei schnell wieder zurück und pass auf dich auf.«, sie hielt mir ein Schlüssel entgegen und ich nickte.

Noch ein letztes Mal, bevor ich ging, ließ ich mir zeigen, wo unsere Wohnung lag. »Ich werde auf mich aufpassen.«, versprach ich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Alles klar, sei vor Abendessen wieder zurück.«

Rauchwolken stiegen in den Himmel empor, während die kälte sich, wie ein Schleier um mich legte. Die kleine Schneeflocke, die vom Himmel fiel, schmälzte in meiner Hand zu einem Wassertropfen. Wie funkelnder Glitzer, schimmerte der Schnee in dem warmen Licht, des Mondes. Ich stieß einen weiteren Atemzug aus und schien schier von den herabfallenden Schneeflocken verzaubert zu sein.

Der Schnee knisterte unter meinen Füßen, wie leise Melodie. Ein Lächeln schlich sich auf meine Kirschroten Lippen, die sich durch das kühle Wetter eiskalt anfühlten. Aber es war Winter, die Zeit, in der Weihnachten nahte.

»Mikey, es ist arschkalt Mann. Lass uns endlich gehen.«, ich hielt in meiner Bewegung inne und starrte in die Ferne. Blondes, seidenes Haar, das exakt gleich mit dem Wind wehte und mir bekannt vorkam. Ich war angekommen, an meinem Lieblingsort, an unserem Lieblingsort und nun standen sie weit entfernt vor mir.

Größer, veränderter, erwachsener.

Die Angst drohte mich zu überschwemmen, während ich meinen Blick standhielt. »Seid ihr es wirklich?«, fragte ich mit einer viel zu heiseren Stimme, dass ich dachte, sie brach. Tränen quälten in meinen Augen auf, während mich die schwarzen Irden ansahen, als wäre ich das einzige auf dieser Welt.

»Hey, Kenny. Halluziniere ich oder siehst du sie auch?«

Ich traute mich, mich nicht zu bewegen. Nun starrte mich auch der größere von den beiden an, als wäre ich ein Geist und dazu bestimmt, sie heimzusuchen. Aber sie irrten sich nicht.

Der blondhaarige war der erste, der sich aus seiner Trance löste und auf mich zukam. Seine Schritte waren vorsichtig und mit bedacht gewählt, während unzählige Tränen meine Wangen hinab liefen. Seine Schritte beschleunigten sich, bis er vor mir stand und mich mit seinen Armen umwickelte. »Du bist hier.«, hauchte er unendlich leise.

Bestätigend nickte ich und umschlang ihn mit meinen Armen. Der himmlische Duft Honig umgab ihn, während mein Blick auf Kenny fiel, der mich entsetzt anschaute. Seine Augen wanderten über mein Gesicht, zu meinem begipsten Arm und zurück in meine Augen.

Er öffnete bereits seinen Mund, um mich darauf anzusprechen, als ich ihn mit einem schmerzerfüllten keuchen unterbrach. »N-Nicht so fest, M-Mikey.«

»Mikey.«, Kenny packte Mikey an der Jacke und zog ihn zurück, und doch ließ er, den letzten Zipfel meiner Jacke, nicht los.

Ich lächelte. Seit langem lag ein breites, ehrliches Lächeln auf meinen Lippen, das ich nicht zurückhalten konnte. »Ich dachte, ihr habt mich vergessen oder einen Hass entwickelt.«, brachte ich es verheult über meine Lippen.

»Ich bin froh, endlich wieder hier zu sein.«, sagte ich und wischte mir über mein benässtes Gesicht.

𝐓𝐡𝐞 𝐬𝐡𝐢𝐧𝐞 𝐢𝐧 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐞𝐲𝐞𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt