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»Hast du schon gehört? Sie soll sich Selbstverletzen.«

Es war nur ein weiterer Tag der Demütigung, die ich durchstehen musste. Mir war es egal, dass solche Gerüchte ihren Lauf machten. Dennoch war es mir unangenehm, weswegen ich umso mehr von hier fort wollte.

Aber dieser Ort schien mich, mit seinen Ketten bei sich zu behalten, als gäbe es nicht genug Idioten, die er hier halten könnte. Fest umgriff ich meine Tasche und verließ das Gebäude, dass sich würdevoll, eine gesunde Schule nennt.

Nichts an dieser Schule war würdevoll oder gar angenehm. Die Lehrer gafften jedem hinterher, der bei drei nicht auf den Bäumen war. Unterricht schien für sie nicht von Relevanz zu sein und mobbing interessierte sie erst gar nicht.

Es mangelte an Lehrkräften und benehmen, auch wenn ich einiges selbst gewohnt war. Doch die Lehrer, in Japan waren strikt, was die Bildung der Schüler anging und vor allem Mobbing. Vielleicht kam es auch einfach auf die Schule an.

Da ich als Ausländerin in dieser Klasse kam, war ich zum schwarzen Scharf geworden. Sie hatten jemand neues, den sie triezen konnten.

Ich war zum Sündenbock geworden und ließ es einfach über mich ergehen.

»Hey, Tusse!«, rief jemand laut über das Gelände, während etwas meine rechte Schläfe traf. Genervt seufzte ich und starrte zu dem zerknüllten Blatt Papier auf den Boden.

Ich warf einen Blick über meine Schulter, nur um festzustellen, dass es der Möchtegern Macho war. Der, der groß zu reden hatte, aber sein Elternhaus ein Chaos war. Er suchte nach Bestätigung, nach Aufmerksamkeit, die er bei sich zu Hause nicht bekam.

Nachdem ich mich augenrollend abwandte, lief ich weiter auf das Tor zu. Das Desaster von Schule zu verlassen, hatte höchste Priorität. »Hey!«, schmerzerfüllt keuchte ich auf, als er mich an den Haaren packte und gewaltsam zurückzog.

»Lass mich los!«, brüllte ich und zog aller Augen auf uns, die an uns vorbei zischten. Tränen bahnten sich den Weg zu meinen Augenwinkeln und drohten über meine Wangen hinab zu laufen. »Was hast du gesagt? Ich kann dich nicht verstehen, du mit deinem Ausländerblut.«

Gewaltsam riss er mich zu Boden, dass ich nun vor ihm hockte, wie ein erbärmlicher Bettler, der um sein Leben winselte. »Rassist.«, murmelte ich und versuchte mich auf zu rappeln. »Was?«, erneut packte er mich an meinem Haar und ließ mich in seine grünen Augen sehen.

»Wiederhole dich, Außenseiter.«

Ich spukte ihm ins Gesicht, weil ich genug von seinen Quälereien hatte. »Du Rassist.«, wiederholte ich meine Worte, dieses Mal lauter, damit es auch die anderen auf dem Hof verstanden.

Er ließ mich los, weswegen ich mich aufrappeln konnte, doch noch bevor ich weit kam, prallte ich gegen jemandes Rücken. Natürlich musste es einer seiner Handlanger sein, der ihn rächen wollte.

Da sie nichts besseres tun konnten, schlugen sie mich, so fest, dass ich den metallischen Geschmack von Blut in meinem Mund spürte. Eine Träne verließ mein Augenwinkel, bevor ich keuchend zu Boden fiel und bereute, was ich zuvor tat.

Mein Herz hämmerte um eine Nuance höher, denn ich wusste, dass ich Qualen erleiden würde. Wie sehr ich mir gerade wünschte, dass die anderen hier wären. Doch dieser Gedanke zeigte mir nur, wie schwach ich in letzter Zeit geworden war. Damals konnte mich so etwas nie außer Form bringen, niemand konnte mir etwas und ich brauchte nie Hilfe.

Und doch kamen sie immer zur rechten Zeit, um mit einzusteigen und jedes Mal gabs von mir eine Standpauke, wenn sie dies taten, und ich bekam eine, weil ich solche Situation geradezu immer anzog, wie ein Magnet.

Einige Minuten verstrichen, in denen ich es zuließ, wie sie mit mir umgingen, während ich mir vorstellte was ist, wenn.

Warme Tränen kullerten über meine Wangen, derweil ich zum Himmel hinauf sah. Zusammen gekauert lag ich hinter der Schule, wie ein Häufchen Elend. Etwas kühles traf auf meine Wange, weswegen ich erstaunt fest stellen musste, dass es anfing zu schneien.

Die Flocken fielen, wie schimmernde Diamanten, vom Himmel und ließen meine Tränen fließen. Es waren die Erinnerungen an damals, die mich einholten und wieder einmal feststellen ließen, dass ich alleine war.

Ich erinnerte mich an unser Winter, an Weihnachten, das unser liebster Tag im Jahr war.

Mit meiner Hand wischte ich mir über meinen Mund, damit das Blut unter meiner Nase weg war. Ich lehnte mich an die Wand und starrte in den grauen Himmel.

Verloren blickte ich starr in den endlos grauen Himmel, der mich mit weißen Schneeflocken bescherte. Doch ich wusste, dass ich nach Hause musste, denn sonst gab es noch mehr Ärger. Also rappelte ich mich auf und ignorierte die aufkommenden Schmerzen.

Schwer seufzte ich und atmete die kühle Luft wieder ein.

»Mom! Dad! Ich bin wieder zu Hause.«, rief ich durch das Haus, das ich nicht mein zu Hause nennen konnte. Auch das war mir fremd und unangenehm. »Komm her!«

Die Stimme meines Vaters hielt mich davon ab, die Treppen hinauf zu steigen, um mein Elend im Spiegel zu betrachten. Schwer schluckte ich und ließ meine Tasche auf der ersten Stufe zurück, bevor ich mich ins Gefecht stürzte. Es klang nie gut, wenn mich mein Vater von sich aus rief, aber dieses Mal beklagte mich noch ein weiteres Gefühl, dass sich an mich klammerte.

Als ich das Wohnzimmer betrat und meine Mutter sich einen Blick erhaschte, weiteten sich ihre Augen erschrocken. Sie japste auf und sprang vom Sofa auf, nur um auf mich zu stürmen und mit ihren Händen, mein Gesicht zu umfassen. »Sieh doch!«, zischte sie ihren Mann an.

»Sieh sie dir an.«, meine Mutter starrte mir in die Augen und ich sah, wie sich Tränen in ihren wunderschönen Augen bildeten. »Mom.«, krächzte ich. Zum ersten Mal sah sie mich so, sonst tat es nur mein Vater, der mich je so sah. »Das ist unser Kind! Wie kannst du es zu lassen, dass sie jeden Tag so dermaßen schikaniert wird?«

Ich schloss meine Augen und hatte keine Lust mehr. Mein Körper wollte nachgeben, doch mein Verstand war stärker. »Sie wird mit mir mitkommen, damit das klar ist!«, ruckartig öffnete ich meine Augen und sah sie fragend an. »Was? Wohin, Mom?«

Meine Augen schweiften zwischen beiden hin und her, auf der Suche nach Antworten, die ich schon bald bekommen sollte. Nicht ein Blick würdigte mein Vater mir oder meiner Mutter, die verzweifelt ihren Blick auf meine Verletzungen hielt. »Zurück, mein Liebling.«, sie nahm mich in ihren Armen.

»Zurück nach Japan, nach Shibuya.«

𝐓𝐡𝐞 𝐬𝐡𝐢𝐧𝐞 𝐢𝐧 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐞𝐲𝐞𝐬Where stories live. Discover now