Kapitel 8

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Als Kenia und ich die Umkleide betraten, war diese noch leer. Erstaunt bewunderte ich die überraschend schöne Räumlichkeit, bestehend aus modernen Duschen und den angrenzenden, für eine Schule ziemlich sauberen Toiletten. Als ich mich umzog, war ich froh, dass wir die Ersten waren. Nachdem ich meine Alltagskleider in ein lockeres, weißes Shirt und eine kurze Hose gewechselt hatte, nahm ich meine Wasserflasche und wir gingen in die Halle. Wir durchquerten einen Gang und ich konnte durch die Fenster in die Schwimmhalle blicken. Das Becken war riesig und bei dem Gedanken an das vermutlich eiskalte Chlorwasser, bekam ich Gänsehaut.

Wir betraten die Halle und setzten uns auf einer der langen Bänke. Es dauerte einige Minuten, bis die Schüler eintrudelten, da wir zu früh waren und schließlich trat auch Frau Lorenz durch die gläserne Türe. Sie hatte das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, ein enganliegendes Top gepaart mit kurzen Shorts betonten ihre schöne Figur und zum ersten Mal fiel mir auf, wie athletisch sie doch war. Ihre Muskeln waren zwar nicht auffällig, aber sie waren definiert wie ich feststellte, als mein Blick wie automatisch zu ihren langen Beinen fand. Unser zweiter Sportlehrer, Herr Martin folgte ihr. Kenias Erzählungen zufolge, hatte er etwas für Frau Lorenz übrig. Er war noch recht jung, hatte dunkle, etwas längere Haare und einen Dreitagebart. Für mich sah er unerklärlicherweise so aus, als würde er teures Parfum auftragen.

Der Unterricht begann und wir wurden nach draußen geschickt, um ein paar Runden zum Aufwärmen zu laufen. Ich war froh, dass ich nicht viel gegessen hatte, denn meine Ausdauer war so besser als sonst. Nach der 5. Runde hörte ich leises Pfeifen aus meiner Lunge, doch ich biss die Zähne zusammen und zwang mich weiterhin durch die Nase zu schnaufen. Frau Lorenz stand abseits, wechselte das ein oder andere Wort mit Herrn Martin, ab und zu hörte ich einer der beiden auflachen. Als ich auf der diagonalen Seite der Laufstrecke war, blickte ich zu meiner Lehrerin und stellte fest, dass diese mich ebenfalls fokussiert hatte. Plötzlich war gerade laufen nicht mehr so mühelos wie zuvor, denn zu wissen, dass sie mich beobachtete, lenkte mich unsagbar ab... und Zack! Schon stolperte ich über meine eigenen Füße und schlitterte stracks über den rauen Sportplatz. Beschämt rappelte ich mich auf und blickte auf mein brennendes Knie. Eine Schürfwunde bildete ein winziges Rinnsal Blut. Nichts Ernstes, aber lästig.

"Esme"

Verdammt

Plötzlich hockte sie schon vor mir. Wie war sie so schnell zu mir gekommen, sie war doch am anderen Ende des Turnplatzes gewesen? Frau Lorenz blickte kurz prüfend in meine Augen, bevor sie die Wunde genauer inspizierte.

"Ich werde es vorsichtshalber desinfizieren, komm mit", forderte sie mich auf und ich traute mich nicht zu widersprechen. Ihre Hand griff nach meinem Arm und sie zog mich wie selbstverständlich auf die Beine. Etwas überfordert folgte ich ihr in die Halle zurück. Neben den Umkleiden gab es ein kleines Zimmer, genau darauf ging meine Lehrerin zu und hielt mir die Türe auf. Sie trat an mir vorbei und ging zu einem Wandschrank, aus dem sie eine rote Tasche herausholte. Als sie zu mir blickte, wurden ihre Züge weich und sie lächelte mich aufmunternd an.

"Na komm", sagte sie in einem etwas sanfteren Tonfall.

Ich ging unschlüssig auf sie zu, bis sie mit ihrer flachen Hand auf einen Tisch neben ihr klopfte und ich ihrer Aufforderung folgte und mich auf dessen Platte setzte. Frau Lorenz zog einen Stuhl heran, und platzierte sich so, dass sie gut an mein Knie dran kam.

"Das brennt jetzt etwas", murmelte sie, als sie ein Fläschchen nahm und etwas von dessen Inhalt auf die Wunde sprühte. Ich war noch nie so nah an ihr gewesen. Mein Puls raste und mein Gesicht war heiß. Wegen des Laufens, Esme!

Jetzt, da ihr Fokus auf der Versorgung meiner Verletzung lag, konnte ich sie in Ruhe betrachten. Ich bemerkte wie sanft und ebenmäßig ihre Haut war und die scheinbar perfekte Struktur ihrer Wangen- und Kieferknochen, die zwar definiert waren und dennoch ihrem Antlitz etwas Weiches verliehen. Ihre vollen Lippen, mit denen sie mir schon so oft dieses belustigte Grinsen gezeigt hatte, waren nun minimal aneinander gepresst als sie konzentriert das Pflaster ausrichtete und schließlich über die Wunde klebte. Ihre Finger strichen federleicht über meine Haut und ich hielt den Atem an. Doch schon ließ sie ihre Hände sinken und die zärtliche Berührung hinterließ nur noch ein leichtes Kribbeln.

"So, ich denke das...", als sie ihren Blick wieder hoch in meine Augen lenkte, stockte sie prompt mitten in ihrem Satz. Wir starrten uns stumm an und ich sah, wie sich ein Herzschlag lang, verschiedene Ausdrücke in ihren dunklen Augen widerspiegelten.

Erstaunen... Erkenntnis, möglicherweise? Dann Verzückung und kindliche Freude, die sich durch ein begeistertes Leuchten in ihrem Blick verriet. Es geschah nur in Millisekunden, doch ich hatte es genau gesehen, bevor sie sich wieder gefasst hatte und nun leicht in sich hinein schmunzelte.

"Esme?", sprach sie mich an.

"Hm?", gab ich nur abwesend von mir, nicht in der Lage meinen Blick aus diesen alles verschlingenden Augen zu reißen.

"Bei deiner ganzen Träumerei wundert es mich nicht, dass es dich hingehauen hat", tadelte sie mich und ich senkte endlich meinen Blick beschämt auf meine Hände, die zusammengefaltet in meinem Schoß lagen. Sie hatte ja recht. Verträumt war noch die nette Ausdrucksweise, vielmehr war ich verpeilt.

"Ich weiß", gab ich kleinlaut zu und es folgte ein kurzes Schweigen.

"Kannst es weiter gehen?", fragte sie dann.

"Ja"

Sie lächelte zufrieden und hielt mir ihre Hand hin. "My Lady", raunte sie und ich hoffte, dass sie nicht merken würde, wie sehr meine Wangen vor Hitze glühten angesichts ihrer Geste. Ich legte meine Hand behutsam in ihre und ließ mich vom Tisch gleiten. Als wir draußen waren, kam mir eine besorgte Kenia entgegengeeilt.

"Alles ok?? Ich hab gesehen wie du hingefallen bist, ist alles wieder in Ordnung? ", fragte sie in Aufruhr. Ich lächelte sie beruhigend an. "Mir geht's gut", versicherte ich ihr.

"Das freut mich...", sie plapperte darauf los und erzählte mir etwas davon, dass sie durch ihre Tollpatschigkeit abgehärtete sei, sich aber bei einem, wie sie es nannte "zarten Püppchen" wie mir Sorgen gemacht hatte, während ich schon wieder im Tunnelblick den Rücken meiner Lehrerin betrachtete, wie sie sich entfernte.

Was war eben passiert? Ich konnte nur sagen, dass diese Frau es vermochte in mir Gefühle auszulösen, die mir völlig neu waren. Ihre Worte und Taten hatten einen solch starken Effekt auf mich, dass es mich verunsicherte, denn ich konnte sie absolut nicht einschätzen. Das Schlimme war, sie schien zu wissen welchen Einfluss sie hatte und genoss es offensichtlich auch. Vielleicht sollte ich Abstand nehmen.

Leichter gesagt als getan Esme, sie ist deine Lehrerin!

Dankeschön fürs Lesen, ich hoffe, ihr habt alle einen schönen Start in die Ferien :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now