Kaptiel 4

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Mit dem beinahen Ende der ersten Woche, konnte ich nun mit Sicherheit sagen, dass diese Schule ihrem Ruf in jeder Hinsicht gerecht wurde. Abgesehen von der modernen Einrichtung oder dem großen Schulgelände, das eine Tennisanlage und sogar ein Hallenbad umfasste, hatte die Schule ebenso erfahrene und kompetente Lehrer eingestellt. Einige waren Professoren, andere Doktoren und mir wurde immer mehr bewusst, wie reich die Elternhäuser mancher Mitschüler doch waren, dass sie diesen "Elite-Bildungsweg" für ihre Kinder ermöglichen konnten. Der Druck machte mir manchmal etwas zu schaffen, doch ich war fest entschlossen Anschluss zu finden und die Lehrer, allen voran Frau Lorenz, halfen mir und waren noch recht nachsichtig. Frau Lorenz ließ mich öfters nach Unterrichtsende warten, um sich zu erkundigen, ob ich mitkam und um mir zusätzliche Blätter zu reichen. Jedes Mal, wenn sie mir neue Aufgaben entgegenstreckte, stöhnte ich zwar innerlich auf, doch ich war gleichzeitig auch irgendwie dankbar, denn sie machte sich tatsächlich Gedanken um ihre Schüler. Trotz allem verwirrte mich ihr Verhalten zuweilen. Ihre offene, sogar verspielte Art, mit der sie mich manchmal ansprach, strafte den kalten Blicken und der gebieterischen Tonlage in manchen Unterrichtsstunden, Lügen. Wie konnte sie von dieser autoritären Figur in wenigen Sekunden zu solch einer charmanten und freundlichen Frau wechseln? Sie hatte krasse Stimmungswechsel, in dem einen Moment würde sie noch über das Verhalten mancher Schüler witzeln und mir dann verschwörerisch zuzwinkern, im Nächsten war sie plötzlich wieder ganz ernst und distanziert. Und ich wusste nicht, was ich von ihr halten sollte.

"...wenn ihr etwas vortragen wollt, tragt euch bitte in die Liste ein", Herr Messner musste zum Ende des Satzes seine Stimme erheben, da die Schüler bereits aufstanden und das Klappern von Stühlen und Tischen durchhallte das Klassenzimmer.

Ich blinzelte etwas irritiert und stellte fest, dass ich wieder komplett in meinen Gedanken versunken gewesen war. Verdammt. Mein Blick fand zur Tafel auf der mit großen Lettern "50 jähriges Jubiläum" stand. Mein Vater hatte mir bereits erzählt, dass die Schule bald ihren 50en Geburtstag feiern würde, doch ich hatte es fast wieder vergessen.

"Willst du etwas vortragen, Esme?", fragte mich Kenia heiter. Sie hatte sich zu mir gedreht und spielte nun mit ihren schwarzen Haaren, in die sie heute bunte Steine geflochten hatte.

"Ähm.. eher nicht"

"Also wenn du willst, ich mache ein Glasharfen-Konzert, du kannst mir gerne assistieren", schlug sie aufgeregt vor.

"Danke aber ich glaube ich wäre keine gute Assistentin", ich grinste verlegen und sie nickte verständnisvoll.

"Ich wärs auch nicht! Früher hat mich meine Mutter nicht in die Küche gelassen, weil ich immer das Geschirr umhauen würde", erzählte sie kichernd und ich unterdrückte ein Lachen. Die Frage, ob es denn eine gute Idee war, dann ein Glasharfen-Konzert zu veranstalten, stellte ich lieber nicht und wir verließen beide das Klassenzimmer. Der Sportunterricht würde ausfallen und ich war dankbar, denn nach dieser Woche war ich mehr als nur erschöpft. Kenia fiel mir um den Hals und verabschiedete sich hastig, um die Treppen zum Ausgang buchstäblich halb hinunterzuspringen, da sie gleich ihre Fahrschulstunde hatte und ich blickte ihr schmunzelnd hinterher. Normalerweise mochte ich es nicht, wenn mir noch fremde Menschen zu nahe kamen, doch sie hatte diese kindliche Leichtigkeit und Begeisterung, mit der sie es immer vermochte meine Laune ein Stück weit zu heben.

Ich atmete gedehnt aus. Die erste Woche war überstanden. Erleichtert und etwas stolz fing ich an die Treppen hinabzusteigen stoppte jedoch abrupt, als sich von hinten eine Hand auf meine Schulter legte. Ich wirbelte erschrocken herum und mein rechter Fuß rutschte dabei unglücklich von der Treppenstufe. Ich verlor augenblicklich mein Gleichgewicht und kippte nach hinten.

"Achtung", erklang eine mir bekannte Stimme. Eine Hand umfasste sanft und dennoch bestimmt mein Handgelenk und zog mich mit Leichtigkeit zurück nach vorne. Ich blickte geradewegs in ein paar brauner Augen, die mich belustigt anfunkelten und augenblicklich schoss die Hitze in mein Gesicht. Frau Lorenz stand weniger als nur einen Meter vor mir, das Haar zu einem Dutt hochgesteckt und einer Brille auf ihrer geschwungenen Nase, ihr rechter Mundwinkel zuckte vor Belustigung.

"Tschuldigung!", polterte es endlich unbeholfen über meine Lippen, wobei ich nicht wusste, wofür ich mich eigentlich entschuldigte. Schmunzelnd schüttelte sie leicht den Kopf.

"Traust du dir zu wieder alleine zu stehen, oder soll ich dir dabei helfen."

Entsetzt stellte ich fest, dass ich mich während dem Fall an ihrem Jackenärmel festgekrallt hatte und ich riss meine Hand weg, als hätte ich mich verbrannt während ich mit Gewissheit sagen konnte, dass meine Wangen vor Scham glühten. "Tut mir leid! Na...Nein es geht wieder, danke ", stotterte ich. Ein amüsiertes Kichern drang an meine Ohren und ich wäre am liebten im Erdboden versunken.

"Keine Ursache Liebes", säuselte sie in ihrer melodiösen Stimme und es schien mir fast so, als würde sie genießen wie sehr sie mich aus der Fassung gebracht hatte. Das war doch nicht normal!

"Du weißt Bescheid über das Jubiläum?", fragte sie mich.

"Ja"

"Unsere Klasse ist für den Dekor im Eingangsbereich zuständig, wir treffen uns also nächsten Freitag um 15 Uhr. Sei pünktlich", sagte sie und klang dabei wieder ganz seriös.

"Ok", ihre dunklen Augen scannten mein Gesicht und ich fürchtete unter ihrem eindringlichen Blick einzuknicken.

"Gut, dann bis Montag, komm gut nach Hause Esme", meine Lehrerin lächelte und zwinkerte mir zum Abschied vielsagend zu bevor sie an mir vorbei die Treppen hinabstieg. Als sie an mir vorbei trat, nahm ich ihren Duft wahr. War das Parfum, oder Shampoo? Es roch unfassbar gut. So fruchtig, frisch und sanft. Ich beobachtete, wie ihre Gestalt, in einem beigen Mantel gekleidet, die Stufen bis nach unten hinab stieg und ich beneidete sie einen Wimpernschlag dafür, wie mühelos und elegant sie sich in ihren Absatzschuhen bewegen konnte. Verträumt verfolgte ich sie mit meinen Augen, bis sie schließlich durch die große Glastür das Gebäude verließ.

Sie verwirrte mich über alle Maßen.

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now