Kapitel 27

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Bereits als träges Bewusstsein mich aus meinem Schlaf zog, spürte ich die schmerzliche Leere der anderen Betthälfte. Ich überwand mich die Augen zu öffnen und mich halbwegs aufzurichten. Zwischen den halb hinuntergelassenen Jalousien sah ich den strahlend blauen Himmel. Von dem trübseligen Grau, das vor einigen Wochen noch den Himmel verdeckt hatte, war keine Spur mehr zu sehen. Ich grübelte kurz, als sich das Gefühl einschlich, ich hätte etwas vergessen....Natürlich, Schule!

Ich strampelte mich schnell von den Laken frei und hastete ins Bad. Ein Blick auf die Uhrzeit verriet mir, dass es bereits nach 10 Uhr war. Wieso hatte Julia mich nicht aufgeweckt? Leise fluchend, machte ich mich notdürftig fertig und eilte aus dem Haus. Den Bus erwischte ich gerade so und kam nach etwa 20 Minuten an der Schule an. Ich sprintete die Treppen hoch, pauste einen Moment vor der Klassentüre um meinen Atem zu regulieren und trat dann ein.

Natürlich war es ihr Unterricht, natürlich.

Sie sah so fabelhaft aus wie immer während ich mir ziemlich sicher war, dass ein Abdruck meines Kopfkissens noch auf meiner Wange prangte. Julia hob den Kopf und blickte mich über den schwarzen Rand ihrer Brille an, um anschließend eine Augenbraue hochzuziehen.

„Esme...darf ich den Grund deines Zuspätkommens wissen?", fragte sie gelassen und klappte irgendein dämliches Anwesenheitsheft auf, um etwas hineinzuschreiben. Ich sah sie etwas irritiert an und trat näher heran bis ich vor ihrem Pult stand.

„Äh...Ich hab verschlafen", antwortete ich möglichst gefasst.

„So,so...", sie stützte ihr Gesicht auf eine Hand ab, um mich eingehend von unten zu betrachten „hast du wenigstens gut geschlafen?", fragte sie im freundlichen Tonfall während sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln formten. Etwas überrumpelt von einer Frage, die ich nicht hatte kommen sehen, spürte ich wie sich meine Wangen leicht röteten.

„Ähm...ich, also ja, schon", druckste ich herum und hatte Mühe ihren Blick standzuhalten. Sie schmunzelte belustigt und nickte, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.

„Du darfst dich setzen", sagte sie, während ihre Augen bereits über die Zeilen ihres Blattes flogen. Ich wandte mich dankbar ab und ging zügig zu meinem Platz.

Der Rest des Schultages verlief wie gewöhnlich, bis mir zu Ohren kam, dass wir aufgrund des warmen Wetters nun Sport im Hallenbad haben würden. Während sich die anderen Mädchen in der Umkleide alberne Szenarien ausdachten, die immer damit endeten, dass Herr Martin ins Wasser sprang, um sie zu retten, bereute ich nun langsam heute Morgen nicht Zuhause geblieben zu sein. Ich konnte nicht verstehen, wie Menschen es genossen in ein Schwimmbad zu gehen. Kaltes Chlorwasser, bei dem man nie genau wusste, worin man eigentlich schwamm, verdreckte Böden -als perfekte Krankheitsüberträger. Kenia teilte meine Abneigung und wir tauschten gequälte Blicke aus, sobald die Information bekannt gegeben wurde.

Zurückgezogen in der Ecke der Umkleide, zog ich mich schnell um und stieg in den schlichten, schwarzen Badeanzug. Ich fröstelte und wickelte mich schnell in ein Handtuch bevor ich mit nackten Füßen zum Pool tapste. Da Kenia sich noch umzog, stellte ich mich bereits zu meinen Klassenkameradinnen, die am Beckenrand standen.

„Also ich könnte das nicht. Allein aus dem Grund, dass man dann so hässliche Narben hat, warum macht man das auch? Ich versteh's echt nicht."

Ich horchte auf und blickte das Mädchen an, dass nun im Mittelpunkt der Gruppenaufmerksamkeit stand und es offensichtlich genoss. Sie verzog ihr Gesicht, als hätte sie einen ekligen Geschmack auf der Zunge und ihre Freundin neben ihr nickte zustimmend. Wenn meine Erinnerung mich nicht trog, war ihr Name Louisa.

„Ja schon so...voll krass, dass die sich nicht schämt, aber ich meine, typisch Kenia", sie kicherte gehässig und mein eben neugieriger Ausdruck fiel augenblicklich von mir ab als ich verstand. Die Mädchen um sie herum stimmten in ihr Lachen ein und biss die Zähne zusammen.

„Was ist eigentlich euer Problem?", meine Stimme klang viel ruhiger als ich mich innerlich fühlte. Louisa musterte mich von Kopf bis Fuß bevor sie den Kopf hochreckte und mir ein „Huh?", entgegenrief.

„Ich hab gefragt, was euer scheiß Problem ist"

Das Mädchen richtete sich zur vollen Größe auf, als müsste sie sich nun ihren Freunden beweisen und warf die geglätteten Haare hinter ihre rechte Schulter. „Sorry, das ist halt nur unsre Meinung und 'mal ganz ehrlich, wenn ich das Mal so sagen darf, wenn dein Vater nicht Schuldirektor wäre, wärst du niemals an dieser Schule", sagte sie konfrontativ. Was hatte denn das damit zu tun?

„Vielleicht solltet ihr zuerst Ahnung haben, bevor ihr euch eine Meinung bildet", sagte ich genervt woraufhin das Mädchen ihr Kinn erzürnt vorschob und ich war mir sicher, dass sie mich gleich wieder angiften würde, doch ihre Freundin trat anstelle an mich heran. Sie war einen Kopf größer als ich und baute sich vor mir auf im Versuch mich einzuschüchtern.

Das war nichts im Vergleich zu Frau Lorenz und ich musste mich fast beherrschen, um mich nicht über sie lustig zu machen. Ich sah im Augenwinkel wie Kenia nichtsahnend aus der Umkleide kam und verwundert zu uns blickte.

„Alter was willst du eigentlich?", fragte das Mädchen vor mir provokativ und trat noch einen Schritt auf mich zu. Louisa griff nach ihrer Hand und zog ihre Freundin überraschender Weise von mir weg.

„Ey lass lieber... ich hab gehört die kommt auch aus der Klapse, kein Wunder, dass die sich mit Kenia so gut versteht."

Ich blickte kurz in Louisas hochmütiges Gesicht. Im nächsten Augenblick trat ich schon vor und schubste sie in einem plötzlichen Impuls, in den Pool.

Die anderen Mädchen schnappten erschrocken nach Luft als eine große Wasserfontäne aufspritzte und alle wichen etwas vom Beckenrand zurück, um trocken zu bleiben. Meine Augen weiteten sich, als ich realisierte, was ich soeben getan hatte.

Fuck.

„Oh mein Gott, spinnst du?!", die schrille Stimme des Mädchens neben mir schallte in meinen Ohren als ich in das Wasser starrte, wo Louisa nun prustend wieder auftauchte und ihre klatschnassen Haare aus dem Gesicht wischte.

„Was ist hier los!?", donnerte es hinter mir. Herr Martin kam in großen Schritten auf uns zu. Mit seinen Badeschlappen hatte er etwas von einer zornigen Ente. Sein Blick fiel auf Louisa die nun halb aus dem Becken kletterte, halb von ihren Freundinnen herausgezogen wurde.

„Esme hat einfach Louisa ins Wasser geschuckt!", klagte ihre Freundin und ich unterdrückte den Impuls meine Augen zu verdrehen. Herr Martin warf mir einen strengen Blick, zu den ich herausfordernd quittierte und er verengte die Augen zu Schlitzen.

„Du bleibst nachher da", fuhr er mich grob an.

„Was geht hier vor sich?"

Ihre Stimme durchschnitt glasklar die Luft und ich versteifte mich in meiner Haltung. Unbewusst zog ich das Handtuch etwas enger um mich, als Frau Lorenz sich zu uns stellte. Sie musterte kurz Louisa die bibbernd hinter Herrn Martin stand, als hätte sie Angst, dass ich sie gleich anspringen würde.

„Wie es aussieht, hat Esme Louisa in den Pool gestoßen", erklärte Herr Martin die Situation. Ich spürte sofort Julias eindringlichen Blick auf mir und ich schaute auf. Aus ihren Augen war jegliche Wärme verschwunden, sie waren kalt, unnahbar und vor allem, enttäuscht. Ich schluckte hart und sofort spürte ich wie sich mein Gewissen einschlich.

„Wir regeln das später, nicht wahr Esme?", ihre monotone Stimme ließ mich innerlich zusammenzucken bevor ich meine Statur etwas straffte und auf den Boden blickte.

„Ja, Frau Lorenz"

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