Kapitel 37

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Köstlich. Das war alles, was ich zu dem Gericht sagen konnte, welches Kenias Mutter zum Abendessen gezaubert hatte. Ich war schon öfters zum Besuch vorbeigekommen und mit jedem Mal fühlte ich mich wohler. Obwohl mich fremde Umgebungen oft in Unbehagen versetzten, war dies dank Kenias Familie nicht der Fall gewesen. Die Mutter war Südkoreanerin während ihr Vater Deutscher war und beim Abendessen wurde meist ein buntes Gemisch aus Deutsch, Koreanisch und Englisch gesprochen, was zuweilen recht amüsant werden konnte. Das Essen war wundervoll, wenn gleich meine kaum vorhandene Schärfekompetenz mir manchmal einen Strich durch die Rechnung machte und mir die Tränen in die Augen trieb. Trotzdem...köstlich. Jetzt lag ich satt und zufrieden in Kenias Bett, während sie Anstalten machte ihr Zimmer aufzuräumen, über die letzten 15 Minuten sah ich dabei kaum eine Veränderung.

„...auf jeden Fall verstehe ich nicht wieso sie so ein Theater macht, ich wollte ihren scheiß Brief ja nicht mal", erzählte sie aufgeregt und wandte sich zu mir um. „Mhm", gab ich bestätigend von mir. Ein Stück Stoff segelte durch die Luft und klatschte gegen mein Gesicht, „Hey!", rief ich lachend und richtete mich halbwegs auf. „Ich hab dir doch zugehört", protestierte ich beleidigt. Kenia zuckte grinsend mit den Schultern, „Ja, aber du warst wieder dabei psychisch einzuschlafen". Ich verdrehte meine Augen, doch Kenia ließ sich nicht beirren und trat an das Bett, um das eben geworfene, hellblaue Shirt aufzuheben und mich kurz aufmerksam zu mustern.

„In letzter Zeit bist du aber auch unnormal verpeilt, also noch verpeilter als sonst und das muss schon was heißen!", meinte sie neckend, ich zuckte nur mit den Schultern doch langsam breitete sich ein wissendes Grinsen auf Kenias Lippen aus und sie zog beide Augenbrauen hoch, „Du verschweigst mir doch etwas...". Ich vermied ertappt den Augenkontakt und überlegte, ob ich es einfach abstreiten sollte, doch es war zu spät, meine Reaktion hatte ihren Verdacht nur bestätigt und ich wusste, dass es nun fast unmöglich war ihre Neugierde zu bremsen.

„Ich wusste es! Dass du mit Jonah so plötzlich Schluss gemacht hast, hat auch irgendwie keinen Sinn ergeben...also, raus mit der Sprache, ist da wer?", sie wackelte mit den Augenbrauen, "oh mein Gott ist es vielleicht dieser Typ aus der Parallelklasse, er schaut in der Pause immer zu dir rüber...wie war sein Name...Elias? Ist es Elias?!", sprudelte es euphorisch über die Lippen meiner Freundin während sie auf das Bett krabbelte und mich erwartungsvoll anblickte.

„Ähm...nein", sagte ich schließlich zögernd und wie ein Welpe legte sie den Kopf schräg, um mich abwartend anzusehen, "Wer dann?"

Ich zauderte, ich hatte nicht vorgehabt es Kenia in naher Zukunft zu erzählen, doch sie anzulügen behagte mir noch viel weniger.

„Es ist eine Sie...", verriet ich vorsichtig. Kenia machte kurz ein erstauntes Gesicht, dann legte sich wieder ein erwartungsvolles Grinsen auf ihren Mund. „Ok, wer ist Sie?", fragte sie gespannt und überging mein Comingout unbekümmert.

„Ähm...", druckste ich verlegen herum, Kenia unterbrach mich nicht. So gerne sie auch redete, wenn es darauf ankam, war sie eine der besten Zuhörerinnen die ich kannte und es war eine Eigenschaft, die ich an ihr unglaublich schätzte. Die Sekunden streckten sich in die Länge, „Lorenz", brachte ich nach einer gefühlten Ewigkeit hervor, sofort fingen meine Wangen an zu glühen.

Kenia wandte den Blick grübelnd zur Decke, „Lorenz...ist das nicht ein Jungenname?", fragte sie verwirrt. Dann fiel ihre nachdenkliche Miene mit einem Schlag ab und sie riss den Kopf herum, sodass ihre Ohrringe klimperten, um mich mit blankem Unglauben anzusehen.„Warte...Lorenz?! Frau Lorenz?!", rief sie etwas zu laut und ich zuckte zusammen, bevor ich leicht nickte. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Karpfen, bis sie wieder ihren Mund schloss. In ihrem Gesicht las ich, wie sie das Gesagte versuchte zu begreifen und sich die einzelnen Stränge verknüpften. „Und läuft da was?", fragte sie dann interessiert, erneut schoss die Hitze in mein Gesicht und sie machte große Augen, in denen sich die reine Fassungslosigkeit widerspiegelte, „Ich will alles wissen!".

Und so kam es dazu, dass ich ihr alles erzählte. Na ja nicht alles, einige Details ließ ich aus, die ich mich dann doch nicht traute über die Lippen zu bringen, trotzdem berichtete ich von jedem Moment der sich zwischen mir und Julia ereignet hatte. Wie sie im Café aufgetaucht war, meinen Kratzer im Sportunterricht versorgt hatte, mich im Regen nach Hause gefahren hatte, wie wir zusammen gewohnt hatten und sogar von dem kurzweiligen Ausflug in die fremde Großstadt. Geduldig folgte Kenia meinen Schilderungen, von Zeit zu Zeit klappte ihr Mund in Unglaube auf oder sie zog mir die Informationen mit gezielten Fragen aus der Nase. Als ich schließlich zum Ende kam, herrschte für eine Minute Stille.

„Oh Mann Esme...", sie schüttelte immer noch fassungslos den Kopf, „Du hast das wohl zu ernst genommen, als ich dir gesagt habe, dass du sie um deinen Finger wickeln sollst", meinte sie scherzhaft und ich verdrehte die Augen musste jedoch bald darauf über die Absurdität der Situation lachen. „Ich denke sie hat eher mich um ihren Finger gewickelt", meinte ich, Kenia sah mich ernst an. „Ernsthaft, Esme? Die Frau steht voll auf dich!", sagte sie dann und ich setzte mich etwas verlegen um, „Meinst du?". Nun war es Kenia die mit ihren Augen rollte, „Meine Fresse Esme, natürlich tut sie das, schon allein das „was wir haben ist besonders" und „Du gehörst mir" sagt das doch schon aus", argumentierte sie mit einem Hauch von Empörung und ich lächelte beschwichtigend.

„Aber das macht es auf jeden Fall komplizierter, wenn die falsche Person es erfährt, könnte die Lorenz ihren Job loswerden", grübelte sie und mir wurde wieder etwas schwerer ums Herz. Wie viel einfacher könnten die Dinge sein....

"Aber wenn ihr euch bei ihr trefft...wozu sie dich ja sowieso eingeladen hat...", fuhr sie fort und hielt dann inne um mich prüfend anzusehen, „...bist du denn zu ihr gefahren?". Ich schüttelte den Kopf und Kenia seufzte melodramatisch, als hätte sie es mit einem kleinen Kind zu tun. „Sie lädt dich ein und du lässt sie einfach abblitzen?", tadelte sie mich.

„Ich weiß ja nicht einmal, ob sie es ernst gemeint hat, außerdem ist das irgendwie komisch, einfach so vor ihrer Haustüre auftauchen und so...", rechtfertigte ich mich doch meine Freundin packte kurzerhand meine Schultern und schüttelte mich. „Boah dir muss man auch echt alles erklären, natürlich hat sie es ernst gemeint und weißt du was? Es wird schleunigst Zeit, dass du sie mal besuchst, ich würde sogar sagen: es ist jetzt Zeit! Es ist Freitag Abend es gibt kein besseres Zeitfenster", und mit diesen zuversichtlich geflöteten Worten zerrte sie mich von ihrem Bett. „Was machst du denn?", widerwillig stolperte ich ihr hinterher auf den Flur, Kenia drehte sich zu mir um und schenkte mir ein süßes Grinsen.

„Ich schmeiß dich aus dem Haus!".

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