Kapitel 30

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Als wir am späten Nachmittag, nach einer mehrstündigen Fahrt in das Hotel eincheckten, staunte ich nicht schlecht. Erneut wurde mir in Erinnerung gerufen, dass Julia wohl einiges auf dem Konto haben musste.
Das Zimmer, bot einen grandiosen Ausblick auf die Stadt und den Fluss, der sich durch das gesamte Gebiet hindurchschlängelte und hatte außerdem ein großes, edles Bad im viktorianischen Stil. Fast schon zu vornehm für meinen Geschmack. Die Fahrt durch hatte Frau Lorenz nur knappe Antworten gegeben, was auch immer sie mit „mein Bruder steckt in der Klemme", gemeint hatte, schien sie ernsthaft zu beschäftigen. Langsam bekam ich den Verdacht, dass sie teil einer Mafia-Familie war und knietief in Pakten und Verbrechen steckte.

Bevor meine Lehrerin das Hotel wieder kurz nach unserem Eintreffen verließ, erinnerte sie mich ein letztes Mal an unsere Absprache und ich versicherte ihr gehorsam zu sein. Ich blieb somit im Zimmer und wartete zunächst geduldig, die Zeit mittels Netflix und Co totschlagend. Als es dann dunkel wurde, trat ich hinaus auf den Gang. Es konnte ja nicht schaden das Hotel zu erkunden, ich hatte nur versprochen im Gebäude zu bleiben. Auf meiner Erkundung, fand ich einen Wellnessbereich, durch dessen Türspalt ich jedoch eine Gruppe halbnackter Senioren erblickte und somit auf einen tatsächlichen Besuch lieber verzichtete. Es war bereits dunkel als mein Handy unerwartet anfing zu klingeln. Ein Blick auf das Display, auf dem Julias Name aufleuchtete und ich ging sofort ran.

„Hallo?", ich konnte den hoffnungsvollen Unterton meiner Stimme nicht unterdrücken.

„Hast du Hunger? Auf dem Erdgeschoss ist ein Restaurant, wenn du jetzt runter kommst, können wir zusammen essen", erklang ihre Stimme am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund konnte ich leises Stimmengewirr ausmachen.

„Ja, ich komme", sagte ich sofort und wir legten auf. Ich schnappte mir den Zimmerschlüssel und verließ das Zimmer.

Das Restaurant war einschüchternd luxuriös. Schwere Kronleuchter, dicke Vorhänge, am Rande spielte ein Pianist an einem großen Flügel, dessen polierte Oberfläche in dem matten Licht fast flüssig wirkte. Ich ließ den Blick suchend durch den Raum schweifen und entdeckte schon bald Frau Lorenz an einem Platz weiter hinten. Mein Herz hüpfte freudig während ich auf sie zusteuerte. Als ich mich ihr gegenüber auf den kunstvoll verzierten Stuhl niederließ, fühlte ich mich mit einem Schlag etwas underdressed.

„Esme", begrüßte sie mich lächelnd. Sie könnte Stunden meinen Namen aussprechen und ich würde mich nicht langweilen. „Wie war dein Tag?", ihre Augen funkelten schelmisch.

„Aufregend", sagte ich mit einem gequälten Grinsen. Sie lächelte wissend und legte die in Leder gebundene Speisekarte zur Seite um das Kinn auf ihre ineinander verschränkten Finger zu stützen und mich eingehend zu betrachten. „Und deiner?", fragte ich vorsichtig und lugte verstohlen über den Rand meiner Karte, rechtzeitig um zu sehen, wie ihr Lächeln etwas abblasste.

„Grauenvoll", seufzte sie.

„Hast du...ähm, also hast du das Problem lösen können?", ich fixierte aufs Neue die verschiedenen Gerichte auf dem Menü und schluckte beim Anblick des Preises.

„Natürlich", Julia grinste gewinnend, „hast du etwa daran gezweifelt?". Ich schüttelte den Kopf und lächelte, „Nein". Sie wirkte zufrieden, als sie sich mit den Fingern durch die dunklen Haare fuhr und dann aus dem großen Fenster nach draußen blickte. Nun konnte ich jedoch deutlich die Anzeichen ihrer Erschöpfung in ihren Zügen lesen. Ihre Augen sahen so gedankenversunken und verlassen aus.

Nach einigen Minuten kam der Kellner und wir bestellten beide unser Essen. Ich genoss unsere ungestörte Zeit. Hier war es möglich sich gemeinsam blicken zu lassen, hier würde man uns nicht erkennen. Julia ergriff meine Hand, die auf dem Tisch lag, sie strich darüber. Eine Weile schwiegen wir, versunken in unseren Gedanken und ich spielte abwesend mit dem Ring an ihrem Finger, indem ich ihn mit meinem Daumen drehte. Er war aus Silber und in der Mitte war ein kleiner, matter Jadestein eingelassen.

„Julia!", eine fröhliche Stimme hinter mir ließ uns auseinander schrecken. Ein großgewachsener Mann, im schicken, dunklen Anzug und Krawatte strahlte uns mit einem breiten Lächeln an.
„Hier treibst du dich also herum", seine Stimme hatte einen markanten französischen Akzent, er grinste sie verspielt an und ich blickte verwirrt zu meiner Lehrerin, die nun betont die Augen verdrehte. Der Fremde sah mich an und legte den Kopf leicht schief, „Und wer ist diese bezaubernde Dame?", fragte er freundlich an mich gewandt. Er legte eine Hand an meinen Oberarm und die plötzliche Nähe ließ mich erröten.

„Lass deine Pfoten von ihr, Simon", zischte Julia gereizt und er hob sofort beschwichtigend die Hände, sein Grinsen verriet ihn jedoch.

„Aha! So ist das also, na schön", pfiff er unbekümmert. Das war also Simon, jetzt konnte ich auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihm und Julia erkennen. Er hatte dieselben braunen Augen, auch wenn sein Blick lange nicht die gleiche Intensität hatte wie die seiner Schwester.

„Du musst etwas Besonderes sein, dass sie dich sogar hierhin mitschleppt", raunte er mir verschwörerisch zu. Julia runzelte bei seinem Getuschel verärgert die Stirn.

„Qu'est-ce que tu veux, Simon", fragte sie unterkühlt und er richtete sich wieder auf, um sie schlicht anzulächeln.

„Wie unhöflich von dir, auf Französisch zu sprechen", meinte er. Den Blick, den Julia ihm zuwarf, hätte mich augenblicklich tot umfallen lassen, doch er grinste nur selbstgefällig. „Und vorhin einfach zu verschwinden, ohne dich zu verabschieden!", fügte er entrüstet hinzu und plötzlich zog er einen Stuhl an unseren Tisch und setzte sich. Dass er unsere Zweisamkeit so prompt störte, konnte ich ihm nur schwer verzeihen. Er winkte einen Kellner herbei, dabei sah er so aus, als wäre er es gewohnt Menschen herumzukommandieren. Der schlaksige, bleiche Kellner trat eilig an unseren Tisch.

„Vin rouge, was Sie empfehlen. Bitte", sagte er und hätte er mir zuvor nicht seine scherzhafte, fast kindische Seite gezeigt, so hätte ich ihn spätestens jetzt vermutlich als arroganten Schnösel abgetan. Er wandte sich wieder mir zu und lächelte breit. Er war hübsch, das schien wohl in den Genen zu liegen.

„Also...wie habt ihr euch kennengelernt?", fragte er und beugte sich leicht vor um mich aus neugierigen Augen anzusehen. Ich blickte zögernd zu Julia, die mich beruhigend anlächelte, es war als würde sie sagen: Es ist okay, lass mich das regeln.

„Ça te regarde pas", fuhr sie also dazwischen und ich wusste, dass es so etwas wie „das geht dich nichts an" bedeutete. „Was willst du, Simon", sie sah ihn ernst an und nun schien auch er aufzugeben und unter ihrem Blick nachzulassen. Er seufzte theatralisch und lehnte sich in seinem Sitz zurück, den einen Arm hängte er dabei selbstbewusst über die Stuhllehne.

„Ich lasse mich nicht mit deiner Antwort von vorhin zufrieden", meinte er schließlich. Der Kellner kehrte zurück und schenkte in unsere Gläser den bestellten Wein ein, ich murmelte ein leises Dankeschön während die Zwei stumm einen Kampf mit ihren Augen ausfochten.

„Es ist auch nicht meine Aufgabe dich zufriedenzustellen", entgegnete Frau Lorenz gelassen. Simon schürzte seine Lippen, „Du weißt, dass es die richtige und vor allem bessere Entscheidung wäre, für alle", er sah sie ernst an und ich kam mir zunehmend fehl am Platz vor. Auch wenn Simon nach außen hin locker wirkte, so war die Spannung in der Luft doch zum zerreißen.

„Ich weiß, dass ich imstande bin selber zu urteilen, was die richtige Entscheidung ist", sie warf ihm einen kühlen Blick zu woraufhin Simon bedauernd mit der Zunge schnalzte.

„Wenn du das meinst. Dein kleiner Lehrerjob wird dich sowieso auf Dauer langweilen", er zuckte mit den Schultern bevor er aufstand. „Excusez-moi", meinte er noch bevor er fort ging. Daher wehte also der Wind, Simon wollte, dass sie ihre Arbeit als Lehrerin aufgab. Julia trank einen Schluck aus ihrem Weinglas und starrte in dessen Inhalt, nachdenklich und wenn ich sie richtig las, auch beunruhigt.

„Alles okay?", fragte ich rhetorisch. Sie sah auf und schenkte mir ein schwaches Lächeln, „Nein, aber darüber brauchst du dir nicht den Kopf zerbrechen", antwortete sie und ich nickte zögernd.

„Soll ich zurück ins Zimmer?"

Sie sah mich an, ihre Hand unter dem Tisch legte sich auf mein Knie und bewirkte in meinem Bauch ein warmes Kribbeln. „Nein, bleib noch etwas", ihr Tonfall war sanft und ein Lächeln breitete sich sofort auf meinen Lippen aus. „Natürlich".

Danke fürs Lesen :) votet wenn es euch gefallen hat und schreibt gerne eure Meinung zu der Geschichte in die Kommentare ❤️❤️

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now