Kapitel 41

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Verwirrt trat ich durch die offen stehende Türe ein, ich nahm mir nicht die Zeit, um meine Schuhe auszuziehen und ging geradewegs in das geräumige Wohnzimmer. Ich hielt in meiner Bewegung inne. Er stand so da, mit dem Rücken zu mir an der Kücheninsel, den Kopf halb gesenkt. Bevor mein Vater anfing zu sprechen, wusste ich bereits was geschehen war.

"Du bist wirklich ganz nach deiner Mutter", das Beben in seiner Stimme verriet, wie sehr es sich zusammenreißen musste, um nicht vor Wut zu explodieren. Seine Worte drangen kaum zu mir durch, alle Farbe war vermutlich aus meinem Gesicht gewichen. Mein Vater drehte sich um, die Feindseligkeit gepaart mit der so offen gezeigten Abscheu in seinem Blick ließ mich schlucken. Er hatte mich schon immer heimlich nicht leiden können, ich war immer das Überbleibsel seiner tragisch missglückten Ehe. Das Ebenbild zu der Frau, die ihm die Zukunft mit einer heilen, glücklichen Familie genommen hatte und das Gesicht, welches ihn jeden Tag an seinen womöglich größten Fehler erinnerte.

"Auch wenn er es jemandem erzählen würde....es würde wie eine völlig absurde Anschuldigung klingen."

Meine Gedanken überschlugen sich und verursachten pochende Kopfschmerzen. "Was meinst du?", entkam es mir, bis auf einen fast unmerkbaren Bruch in meiner Stimme hatte ich den Satz gefasst hervorgebracht. Ein hysterisches Lachen durchschallte den Raum. Der irre Ton, der darin mitschwang, jagte mir Angst ein und unbewusst bohrten sich meine Nägel in die Handfläche als ich meine Hände hinter meinem Rücken zu Fäusten ballte.

"Ich kann nicht fassen, dass du...für wie bescheuert hältst du mich eigentlich, Esme?!", die letzten Worte schrie er und ich zuckte zurück. Jegliche Alarmsirenen gingen in meinem Kopf los, die Ader an seiner Schläfe trat deutlich hervor und ich hatte ihn bisher noch nie so wütend erlebt.

"Wenn du wirklich dachtest, du könntest die kleine Affäre mit deiner Lehrerin führen, ohne dass jemand dahinter kommt, dann bist du wirklich noch wahnhafter als deine Mutter!", spuckte er angewidert.

"Wer...", brachte ich schließlich mit kratziger Stimme hervor, selbst wenn ich wusste, wer es gewesen war. Und bei dem Gedanken an ihn verknotete sich mein Inneres. "Es gab einen anonymen Anruf", sagte er herablassend, bevor er mit der Hand verzweifelt über sein Gesicht strich, "Hast du eigentlich irgendeine Ahnung davon, in was für eine Lage du mich gebracht hast?! Die Schule? In was für eine Lage du dich selbst gebracht hast??"

Ein schmerzhafter Kloß bildete sich in meinem Hals und ich musste zitternd die Luft ausatmen, um mich zu sammeln. Alles würde zugrunde gehen. Was würde Julia tun? Was würde aus uns geschehen?

"Ich habe mit ihr geredet. Ihr werdet euch nicht mehr sehen."

Ich sah ihn aus glasigen Augen an, dann drehte ich mich um und lief. Die wütenden Rufe meines Vaters drangen nur noch wie durch eine dicke Wattewand zu mir hindurch. Wie gehetzt, verließ ich das Haus und rannte den Weg zur Bushaltestelle. Erst als mir eine ältere Dame vor mir im Bus ein Taschentuch reichte, merkte ich wie Tränen unaufhörlich über meine Wangen rollten. Den Rest des Weges war ich wie in einem Tunnelblick, nahm kaum etwas um mich herum wahr. Mein Herz hämmerte fast schmerzhaft, als ich schließlich vor ihrem Haus stand und es absolut verlassen aussah. Kein Licht. Nichts. Es fühlte sich so an, als würde sich mein Inneres umkehren, als ich in Erwägung zog, dass sie bereits fort war. Mich verlassen hatte, ohne einem Wort.

Ich betätigte die Klingel und die Übelkeit stieg in mir mit jeder Sekunde.

Doch dann, die Tür schwang auf. Ein in einem schwarzen Anzug gekleideter Mann trat heraus, in seiner Hand trug er eine große Tasche, er grüßte mich höflich und schob sich dann mit gesenkten Kopf an mir vorbei. Verwirrt sah ich ihm nach und sah erst jetzt den schwarzen Wagen vor dem Haus, mit dem geöffneten Kofferraum.

"Esme!"

Ich riss meinen Kopf herum und erblickte sie. Ohne etwas zu sagen, warf ich mich ihr um den Hals und eine unglaubliche Erleichterung überkam mich. Sie war noch da, sie hatte mich nicht einfach so verlassen. Ihre Arme schlangen sich um meinen Körper und sie drückte mich nah an sich. Doch als ich über ihre Schulter späte, sah ich einen Koffer und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.

"Bitte geh nicht", meine Stimme klang so schwach und zerbrechlich doch ich erreichte sie. Ich spürte wie sie tief Luft holte und über mein Haar strich. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie sprach.

"Esme...", flüsterte sie. Ich presste mich näher an sie als ich leise meine Bitte wie ein Mantra wiederholte. Ich krallte mich in ihre Schulter als könnte das allein sie aufhalten. Als würden alle Probleme in Luft auflösen, wenn sie mich nur lange genug in ihren Armen hielt.

"Ich liebe dich"

Ihre Finger die über meinen Rucken strichen, hielten kurz inne und ich meinte zu hören wie sie den Atem anhielt. "Also bitte... nimm mich mit dir", wisperte ich kaum hörbar.

"Das kann ich nicht Esme...", sie löste sich behutsam aus unserer Umarmung, mit dem Daumen wischte sie meine Tränen fort. Verzweifelt sah ich in das Braun ihrer Augen, "Aber, du hast gesagt...er hat keine Beweise....", brachte ich stockend zwischen mühvoll unterdrückten Schluchzern hervor. Julia schluckte und kurz sah ich wie die Wut in ihren Augen aufflammte, "Simon hat sie."

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Simon. Erinnerungen, an den Abend im Hotel als ich diesem Mann begegnet war, spielten vor meinem inneren Auge ab. Wie er nach meinem Namen gefragt hatte, hatte er damals schon etwas geahnt? Sie betrachtete meinen Sinneswandel, ein trauriger Glanz in den Augen.

"Ich liebe dich", flüsterte ich. Es war ein Flehen, so eindringlich wie ich konnte. Sie zog mich an sich, ihre Lippen küssten mich so sehnsüchtig, verzehrend und doch so sanft und liebevoll. Auf ihren Lippen lag der salzige Geschmack meiner Tränen. Sie lehnte ihre Stirn gegen meine, um mich aus sanften, braunen Augen anzublicken. "Bitte", flüsterte sie kaum hörbar und für diesen Augenblick gewährte sie es mir und ich blickte, auf den Grund ihrer Seele. Wie kann ein Mensch so einsam sein....und doch, auch wenn sie es nicht über ihre Lippen zu bringen vermochte, war ich mir in diesem Augenblick mehr als jäh gewiss, dass sie mich liebte.

"Gib gut auf dich Acht, Esme", ihre Stimme war brüchig, mit Mühe aufgebaut.

Dann ließ sie von mir ab und ich ließ sie. Ihre Hand strich ein letztes Mal über meinen Handrücken als sie an mir vorbeitrat. Ein letzter Windhauch ihres eigenen Duftes, der zu mir getragen wurde. Kirschblüte...kurz hing es in der Luft. Ich schloss meine Augen, sie stand bestimmt noch hinter mir, sie konnte nicht gehen, sie stand bestimmt noch genau hinter mir.... nein, sie war fort.

Danke fürs Lesen :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now