Kapitel 7

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Ein nervtötendes Vibrieren weckte mich aus meinem unerholsamen Schlaf und ich rollte mich auf die andere Betthälfte, um den Wecker meines Smartphones auszustellen. Ich ließ mich zurückfallen und hatte Mühe meine Augen im halbgeöffneten Zustand zu halten. Fahle Sonnenstrahlen drangen durch die halb geschlossenen Jalousien und tauchte mein Zimmer in schummriges Licht. In der einen Ecke wucherte meine Monstera in die Höhe, der ich es zu verdanken hatte, dass mein Raum noch einigermaßen stilvoll wirkte. Die Wände hatte ich mit Bildern und Postern zugekleistert, da sie mich sonst zu sehr an die Klinikwände erinnert hatten. Ansonsten gab es nicht viel zu betrachten, es war recht ordentlich gehalten -mein Vater hasste Chaos.

Ich fühlte mich sonderbar schwer als ich schließlich aufstand und zu meinem Kleiderschrank tapste, dessen Türen vorne gänzlich mit Spiegeln versehen waren. Ein graues Augenpaar blickte mir ausdruckslos entgegen, unter ihnen hatte die Schlaflosigkeit ihre Spuren hinterlassen. Als ich meine Arme überkreuzte und mit kalten Händen mein Shirt bis zu meinem Brustansatz hob, zeichneten sich die Konturen meiner Rippen leicht unter der blassen Haut ab. Ein erholsames Wochenende würde mir guttun, dazu musste ich aber noch den heutigen Freitag durchstehen und dieser fing nicht gut an, wie ich merkte, als ich mich umgezogen schließlich zur Küche begab. Die gestellte Stimme meines Vaters, drang mir bereits auf der Treppe entgegen und ich wusste sofort, mit wem er sprach. Carla, seine Freundin.

"Ja, natürlich mein Schatz, ich werde noch Mal mit ihr reden... ja...dann sehe ich dich morgen? Super! Ich liebe dich, tschüss", ich kam gerade richtig, um zu sehen, wie mein Vater einen Schmatzer auf den Telefonhörer drückte und ich nahm mir fest vor, diesen das nächste Mal wo ich das Festnetz benutzte, gründlich abzuwischen. Er bemerkte mich erst, als ich den Küchenschrank öffnete und eine Cornflakesbox herausholte, ich stieß aus Versehen mit der blechernen Box gegen die Granitplatte der Kücheninsel und mein Vater zuckte merklich zusammen und wirbelte herum. Seine Nerven waren auch so schon immer gespannt.

"Mein Gott! Esme! Schleich' dich doch nicht so an", sagte er und entließ ein nervöses Lachen, das dem Hecheln eines dehydrierenden Hundes glich. Ich versuchte entschuldigend zu lächeln und sammelte dann mein Geschirr zusammen. Ich nahm eine blaue Pillenbox aus dem oberen Regal und öffnete die Schachtel auf der 'Freitag' stand. Zwei kleine, rote Kapseln lagen darin, die ich direkt mit etwas Wasser hinunterschluckte. Dann ging ich an den Esstisch. Meine Ruhe wurde schlagartig gestört, als sich mein Vater mir gegenüber niederließ. Ich ignorierte ihn und aß schweigend weiter.

"Also...", er räusperte sich. "...wie läuft die Schule so?".

"Ganz ok", murmelte ich als Antwort und füllte etwas Milch in die Schüssel nach.

"Hast du äh... Freunde gefunden...?", er klang vorsichtig und hoffnungsvoll.

"Denke schon, ich habe eine Kenia kennengelernt, sie ist nett", sagte ich.

"Kenia...? Kenia Hais?", seine Stimme war bedeutungsschwanger und ich nickte als ich ihn fragend anblickte. Er entließ einen Seufzer, dann lachte er - aber nicht belustigt, viel mehr war es ein bitteres, ironisches Lachen und ich runzelte irritiert die Stirn. "Esme... ich glaube du solltest dir lieber, wie sage ich das am besten... dir Zeit lassen und dich nicht festlegen, was Freundschaften angeht", druckste er herum und langsam regte mich seine Art unheimlich auf. Wieso gab er nur so indirekte Andeutungen, hintenrum?

"Was meinst du?", fragte ich angespannt.

"Ich habe einiges über dieses Mädchen gehört und ich denke nicht, dass sie ein guter Umgang für dich ist", erklärte er schließlich.

"Was hast du denn gehört?"

"Sie ist... etwas labil. Eine Kollegin hat Narben auf ihren Oberschenkeln gesehen..sie verletzt sich vermutlich selber", er senkte dabei am Ende des Satzes seine Stimme, als würde er über etwas Verbotenes reden.

"Wieso sollte das ein Grund sein, sich nicht mit ihr anzufreunden?", frage ich ihn ungeduldig.

Er zögert. "Ich möchte nicht, dass sie dich zurückhält, Esme", der Fakt, dass er diesen pseudo besorgten, ja, fast mitleidigen Blick aufgesetzt hatte, trieb mich zur Weißglut.

"Aha. Gut, dass man sich selber aussuchen darf mit wem man befreundet sein möchte", sagte ich schroff.

"Ich möchte nur, dass es dir gut geht an deiner neuen Schule, das verstehst du doch Esme?", fragte er. Jetzt spielte er den Helden? Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ich konnte ihn nicht leiden -es war mir gleich, ob er mein Vater war. Ich konnte ihn nicht leiden. Ich starrte in seine wässrigen Augen. Manchmal fiel es mir schwer zu glauben, dass er wirklich mein Vater war, gab es doch aus meiner Sicht keinerlei Ähnlichkeiten zwischen uns. Fast waren wir gegensätzlich.

"Ja", ich schluckte meinen Ärger hinunter und stand auf. Mein Appetit war mir vergangen. Gerade als ich die Küche verlassen wollte, rief er mich wieder zurück, ich stöhnte innerlich auf.

"Ich wollte dich nur daran erinnern, dass ich ja bald wegen dem Seminar nach Hamburg fahren muss, für eine Woche und Carla hat sich bereit erklärt, dich bei ihr wohnen zu lassen". Mein Geduldsfaden war kurz davor zu reißen und ohne zu antworten, verließ ich den Raum und verbarrikadierte mich in meinem Zimmer. Ich hatte das Bedürfnis zu schreien.

"Ich hasse ihn", fluchte leise ich in die Stille.

Ein Jahr lang verweigerte er mich aufzunehmen. Und dann, nachdem er mich gezwungenermaßen akzeptiert hatte, tat er so, als wäre mein Wohl seine erste Priorität! Zwei Jahre lebte ich mit ihm, ich konnte ihn immer noch nicht leiden und er mich mit Sicherheit auch nicht. Ich sollte zurück zu Louis - meinem Halbbruder ziehen. Ich schmiss mich rücklings auf mein Bett und starrte eine Weile die Decke an. Ich war nicht gewöhnlich so leicht zu verärgern, doch er ließ mich Wut in einem Ausmaß fühlen, wie es mir bisher völlig fremd war.

Während der Autofahrt zur Schule, herrschte zwischen uns eisige Stille. Als er schließlich parkte sprang ich aus dem Auto, ohne ihm Zeit zu lassen weitere schlechte Nachrichten zu verkünden und ich 'flüchtete' in das Schulhaus. Mochte sein, dass ich mich recht kindisch aufführte, aber ich konnte meinem Vater momentan nicht in die Augen schauen und seine Stimme ertrug ich erst recht nicht.

Danke fürs Lesen :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now