Kapitel 5

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"Schönen Tag noch", die kleine Klingel an der Ladentüre bimmelte leise, als der Kunde nach draußen trat. Ich rieb mir müde die Augen. So schleppend die erste Woche gewesen war, umso schneller verging die Zweite. Es war Donnerstag, das Wochenende hatte mir gefühlt noch mehr Kraft geraubt und an das übermorgige Jubiläumsfest zu denken, bereitet mir nur Kopfschmerzen. Dennoch, besser als die Klinik. Mein Leben schien sich endlich zu normalisieren und nicht nur ich, sondern auch mein Vater hatte es wahrgenommen. Hatte er mich doch tatsächlich am Mittwoch zum Abschied umarmt, ich war zwar nur dagestanden wie eine Salzsäule, doch das hatte ihn wohl kaum gestört. Dieser offensichtliche Versuch eine normale Vater-Tochterbeziehung aufzubauen, missfiel mir gewaltig. Aber so sehr sich meine Umstände augenscheinlich normalisiert hatten, fand ich mich doch immer wieder in Situationen, in denen ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Vorgestern war Kenia krank gewesen und anstatt mit ihr zu unserem gewöhnlichen Pausenplatz zu gehen, hatte ich den Parkplatz umrundet und einen versteckten Ort hinter dem Schulgebäude entdeckt. Es war ein freier Platz, mit einer vernachlässigten Tischtennisplatte und zwei Bänken. Ich genoss dort für eine Weile die Ruhe, bis plötzlich eine Stimme erklang und ich die Augen aufriss.

"Wie ich sehe, hast du meinen Lieblingsplatz gefunden", Frau Lorenz lehnte sich an die Tischtennisplatte und zwinkerte mir freundlich zu. Ich starrte sie überrascht und sprachlos an. Sie zog schmunzelnd eine Zigarettenpackung aus ihrer Manteltasche und ich beobachtete mit großen Augen, wie sie mit schlanken Fingern eine Kippe herauszog und sie zwischen ihre vollen Lippen klemmte. Die kleine Flamme des Feuerzeugs, beleuchtete einen kurzen Moment ihre makellosen Züge, dann nahm sie die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger und blies den Rauch aus ihren Lungen. Ich hatte bis dato noch nie in meinem Leben eine Person gesehen, die es vermochte so anmutig und sexy zugleich eine Zigarette zu rauchen. Oh Gott, was dachte ich da?!

"Du versteckst dich doch etwa nicht?", fragte sie mich neckend.

"Könnte ich Sie auch fragen", entfuhr es mir, bevor ich mich besann. Meine Lehrerin zog belustigt eine Augenbraue hoch. Sie hob ihre Finger, um einen erneuten Zug zu nehmen verharrte jedoch für wenige Sekunden. "Das? Nein, ich genieße nur die Ruhe...jedenfalls war es hier bisher immer sehr ruhig..."

Autsch. Frau Lorenz wandte ihren Kopf zur Seite und schien irgendetwas auf dem Schulgelände nachdenklich zu beobachten, während sie hin und wieder ihre Kippe nebensächlich weiter rauchte. Als ihr Blick schließlich wieder zu mir wanderte, erwachte ich aus meiner Trance und lief etwas rot an, da sie mich auf frischer Tat beim Starren erwischt hatte.

"Wenn du einen Zug möchtest, kannst du auch einfach fragen, anstatt so sehnsüchtig zu schauen", meinte sie, ein schalkhaftes Grinsen kräuselte ihre Mundwinkel. Es dauerte einen Moment bis ich sie verstand.

"N...nein, ähm...ich rauche nicht", stammelte ich hastig. Sicherheitshalber, denn ich wusste nicht so recht, ob sie mich eben auf den Arm nahm oder es ernst meinte.

"Hätte mich auch überrascht"

Ich runzelte fragend die Stirn. "Wollen Sie damit sagen, ich bin langweilig?". Sie drückte ihre Zigarette an der Tischtennisplatte aus und betrachtete mich dann kurz ernst.

"Nein...aber vernünftig", ihr darauf folgendes Zwinkern ließ mich erröten und sie grinste wissend.

"Heißt das, Sie sind es nicht ?", stellte ich fest und ein kleines Grinsen stahl sich auf meine Lippen, während ich mich innerlich für den Mut bewunderte, diese Worte an Frau Lorenz zu richten. Sie zog eine perfekt geformte Braue in die Höhe und beäugte mich mit einer Mischung aus Belustigung und Skepsis. Unter ihrem kritischen Blick, wurde mein Mut geradewegs im Keim erstickt und ich hatte sofort das Bedürfnis, mich zu entschuldigen.

"Tut mir leid! Ich wollte Sie nicht..ich wollte ihnen wirklich nicht zu nahe treten...!", sprudelte es aus mir heraus, doch ein helles, klares Lachen unterbrach mich und erleichtert atmete ich aus. Es war das erste Mal, dass ich sie lachen hörte und es war schlicht weg wunderschön.

"Nein, vermutlich bin ich es nicht, aber man sagt ja: Gefühl kann man nicht durch Vernunft ersetzen. Außerdem, hilft es meine Nerven zu beruhigen, wenn ich wieder mit der Frechheit mancher Schüler konfrontiert werde", sie blickte mich vielsagend an und ich zog schuldbewusst den Kopf etwas ein.


"Hallo!"

Ich wurde abrupt aus meinen Tagträumen gerissen, als Jonah seine Hände auf die Theke abstützte und sich vorbeugte, um mich besorgt unter die Lupe zu nehmen.

"...Hi", sagte ich etwas überrumpelt.

"Alles ok? Du hast nicht mal bemerkt, wie ich hereingekommen bin", sagte er.

"Ja alles in Ordnung. Ich bin nur müde", ich schenkte ihm mein bestes Lächeln welches er erwiderte, bevor er sich vorlehnte und mir einen Kuss auf die Lippen gab. Als wir uns lösten, verharrte er einen Augenblick und raunte mir dann leise zu: "Ich hätte da eine Idee, wie ich dich aufwecken könnte". Mein leises Kichern und unser intimer Moment wurde jäh unterbrochen, als die Ladentür aufschwang. Kurzzeitig fuhr ein Windstoß durch den Raum und man hörte, wie draußen ein Auto vorbeifuhr, dann schloss sich die Tür wieder und es trat Stille ein. Jonah grinste mir spitzbübisch zu und trat dann einen Schritt zurück, um mich meine Arbeit machen zu lassen. Schmunzelnd wandte ich meine Aufmerksamkeit dem eingetretenen Kunden zu und mein Herz setzte einen Schlag aus.

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Where stories live. Discover now