62 - Lebenszeichen

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Als die Pause vorbei war, fingen wir mit Messerwurf an. Ersin packte unterschiedliche Messer aus, die sogar beim Anschauen gefährlich wirkten. Die scharfen polierten Klingen spiegelten den Himmel wider.
„Damit fangen wir an.", nahm Devran die rechts liegende in die Hand und warf sie in die Höhe, dass sie sich einmal um die Achse drehte und er sie unverletzt auffing. Überrascht von der Bewegung, schaute ich ihm zu. Ich hätte mich schon längst geschnitten, wenn ich den Wurf nachahmen würde.
„Beim Werfen ist das wichtigste, den Ellenbogen so wenig wie möglich zu bewegen. Sonst wird der Wurf schief."
Zum Messerwurf folgte auch eine Einführung.

„Also dann fangen wir an.", ließ mich Devran an die Sache ran. Zunächst betrachtete ich das hochwertige Klappmesser in meiner Hand. An der Klinge war ein Schriftzug eingraviert.
Veni, vidi, vici.
„Ich kam, sah und siegte.", übersetzte ich den lateinischen Spruch von Julius Caesar.
„Es gibt nur siegen - verlieren gibt es nicht.", blickte mich Devran bestimmt an.
Ich bereitete mich auf den Wurf vor und schloss das linke Auge zu. Mein Fokus lag auf dem roten Punkt in der Mitte des Aufstellers. Innerhalb von Sekunden, landete die Spitze des Messers fast über dem roten Punkt.
Voller Überraschung richteten sich Devrans Augen auf mich.
Ich nahm das zweite Messer in die Hand und traf dieses mal genau die Mitte des Zieles.
„Wie ist das möglich?", versuchte Devrans zu verstehen.
„Sagen wir, dass dir manchmal unwichtige Menschen gute Dinge für die Zukunft weitergeben können."
Meine Antwort schien nicht verstanden zu sein, aber Devran fragte auch nichts Weiteres nach.
Das erste mal konnte ich etwas Positives von meiner Beziehung mit Görkem berichten. Ein paar Mal hatten wir uns in einer Spielehalle getroffen, in der man Packman und alte Videospiele spielen konnte. Techniken zu Dart, hatte er mir damals gezeigt.
„Wie lang wird die Übung noch dauern?", fragte ich mich umschauend. Die Abenddämmerung näherte sich.
„Solange, wie ich noch will."
Ich konnte es nicht ausstehen, wenn ich offene Antworten bekam.
„Das heißt?"
„Eine Stunde noch ungefähr.", ertönte nach einem flüchtigen Blick auf die protzige Uhr an seinem Handgelenk.
Weitere 60 Minuten musste ich mit einer Person verbringen, die mich quälte, an einem Ort, wo ich nicht sein wollte.

Das Training endete früher als gedacht. Nach der Pause verhielt sich Devran distanzierter zu mir und berührte mich kein einziges Mal. Kälte zeichnete sein Gesichts aus. Eine Spur von Wut konnte ich fühlen. Manchmal würde ich wissen, was in Devrans Kopf abging. Es war sicherlich anstrengend Devran Atahan zu sein. Er war noch so jung und trug große Lasten auf seinen Schultern. Trotzdem sah ich ihn nie scheitern. Vielleicht konnte er seine Angst einfach nur gut überspielen. War er manchmal nicht dem Zerbrechen nah? Ich glaube, ich dachte zu gefühlvoll. Devran konnte eiskalt sein, auch wenn er vieles zu sagen hatte.

Malerisch verfärbte sich der Himmel in unterschiedliche Farben, während mich Devran Heim fuhr. Die Straßenlaternen glühten bereits. Die Wege nassen Wege spiegelten die bunten Lichter der Stadt wider.
Wir beide schienen nicht gesprächig zu sein und bewahrten die Ruhe. Ich sprang von Gedanke zu Gedanke, während wir durch die immer voller werdenden Straßen fuhren.
„Was ist heute los mit dir?", riss mich Devrans Stimme von meinen Gedanken weg. Verwirrt wandte ich mich ihm, der starr auf den Weg fixiert war.
„Wie meinst du das?"
„Etwas bringt dich ins Grübeln."
Seine Vorsicht und Feinfühligkeit überraschte mich. Meine bedrückte Stimmung war ihm nicht entgangen.
„Wieso willst du mein Anliegen wissen?"
Stille traf erneut ein.
„Antworte.", gab er befehlerisch von sich und schaute mich an. Seine Miene war emotionslos und verkrampft.

„Mein bester Freund ist in Schwierigkeiten."
„Wer ist das?", ging die Umfrage weiter und er begab sich der Strecke.
„Umut. Seine Hackergeschäfte treiben ihn zur Flucht. Er muss von hier verschwinden, weil sie ihn sonst umbringen werden.", wurde meine Stimme immer zittriger. Seine Hand klammerte sich fester am Lenkrad.
„Wer?"
„Irgendwelche Drogenbosse. Er hat einen Auftrag bekommen, dass er ein gestohlenes Laptop aufknacken sollte. Umut hat etwas über Karacans gesagt."
„Über wen!", machte er auf einmal eine Vollbremsung.
„Über Karacans!", wiederholte ich erschrocken.
Was war plötzlich in ihn gefahren? Fluchend fuhr Devran über sein Bart.
„Was hat Umut gefunden?"
„Ich weiß es nicht."
„Bring mich sofort zu ihn!",
„Was ist los?"
„Das sind meine Feinde! Sag mir jetzt, wo ich Umut finde!", schrie er beinahe. Feinde? Die Ader an seiner Stirn schwill an.
„Beruhige dich! Ich rufe ihn schon an.", zückte ich mein Handy raus.

Die Wunde der VergangenheitWhere stories live. Discover now