36 - Klappmesser

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Ich glaube, ich war lebensmüde. Ja, das war ich definitiv. Mein Zielort war die Hölle in Augen mancher Menschen.
Ich hatte jetzt schon Gänsehaut bekommen. Aber um die Fragen in meinem Kopf zu lösen, musste ich den Schritt wagen. Alles, was mir passiert war, war sowieso wegen diesen dummen Fragen passiert!
Ich musste Demir finden. Langsam drehte ich durch. Ich brauchte mein Bruder, um zu leben. Ohne ihn fühlte sich das Leben leer und unsicher an. Ich hatte meine größte Sicherheit verloren: die Nähe meines Bruders. Und endlich musste ich etwas für ihn tun. Seine hinterlassenen Spuren könnten mir bei der Suche helfen.

Mein Herz verengte sich, als ob es unter meiner Rippe zerquetscht wurde. Ich war wirklich in Beyoğlu im Stadtteil Tarlabaşı angekommen. Das Stadtteil, das unter Ruinen liegt. Dass es hier ein sozialer Brennpunkt war, machte sich schon von der Ferne bemerkbar. Die Gebäuden waren alt und runtergekommen. Abgemagerte Gesichter kamen mir entgegen. Menschen, die Stoff in sich zogen, standen in einer Ecke. Selbst die Polizei hatte aufgegeben, Ordnung in diese Gegend zu bringen. Das waren die vergessenen Straßen Istanbuls, die das Leben mancher Menschen zerstörten.
Es war kurz vor Sonnenuntergang. Die Sonne glühte goldgelb zwischen den Ruinen.
Ich parkte an einer Seitenstraße ein und saß zunächst reglos im Auto. Dass ich nicht von hier war, bemerkte man auf Anhieb. Passanten blicken verwirrt meinen Neuwagen an.

Nervös tippte ich mit den Fingerkuppeln am Lenkrad. Ich sammelte den Mut in mir zusammen. Aus dem Handschuhfach holte ich mein Klappmesser, dann ging die Suche los. Ich war auf der Suche nach einem Jungen. Besser gesagt: Behzat İzci.
Ob das eine richtige oder falsche Entscheidung war, wusste ich nicht. Mein Kopf wollte nur eins: Antworten zum Verschwunden vom Kriminalpolizisten Demir Bayraktar.
Während ich mich unauffällig umschaute, begann mein Handy zu klingeln. Henker las ich ab. Er hatte die Gabe immer zur falschen Zeit anzurufen. Seit dem gescheiterten Einbruch sahen wir uns nicht mehr. Seitdem er mir den geheimen Besprechungsraum gezeigt hatte.

Ich ignorierte den Anruf und ging weiter. Doch es klingelte erneut. Als das Klingeln nicht aufhörte, wurde mir bewusst, dass Devran nicht aufgeben würde, bis er mich erreichte. Seufzend nahm ich ab.
„Damla?", fragte er, nachdem ich nichts sagte.
„Was?", antwortete ich kalt.
„Wir müssen reden. Komm zu mir."
„Kann jetzt nicht. Hab was zu tun."
„Das war eine Forderung, keine Bitte.", vergewisserte er.
„Das ist mir egal! Ich kann jetzt nicht."
„Was machst du so Wichtiges?", gab er mit einem genervten Ton von sich.
„Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?"
„Antworte doch einfach meiner Frage!", wurde er ungeduldiger.

„Ich bin in Beyoğlu Tarlabaşı und suchte Behzat! Okay?", gab ich die Antwort, die er hören wollte.
„Was!", schrie er förmlich am Hörer.
„Bist du noch bei dir? Was machst du alleine um diese Uhrzeit dort? Du weißt doch, wie gefährlich es dort ist!", schimpfte er fassungslos mit mir.
„Das kann dich doch nichts angehen!", regte ich mich auf. Ständig mischte er sich in mein Leben ein.
„Ich brauche dich noch lebend Madam Sturkopf! Schick mir sofort dein Standort und rühre dich nicht vom Fleck, bis ich komme.", forderte er und legte auf.
Wieso hat er mich so angemotzt? Was geht Devran meine Sicherheit an? Ich kann doch machen, was ich will! Ich war sowieso schlecht gelaunt.
Genervt schickte ich mein Standort an Devran. An einer ruhigen Ecke wartete ich ihn. Wie lange würde der Herr zum Kommen brauchen?
Ich wollte noch heute Behzat suchen...

Nach einer viertel Stunde traf Devran ein. Seine Miene war streng angelaufen. Mit harten Gesichtszügen stieg er aus und ging auf mich zu. An seiner rechten Hand hatte er einen Verband. Was er wohl angerichtet hatte? Ich rollte mit den Augen und wandte meine Blicke von ihn ab.
„Was zur Hölle machst du hier, Mädchen!", funkelte er mich an und stütze plötzlich seinen gestreckten Arm neben mein Kopf an die Wand. Enttäuscht blickte er zu mir runter. Ich konnte nicht verneinen, dass ich mich eingeengt von seiner nahen Stellung fühlte. Starr schaute ich in seine dunklen Augen. Im Licht leuchteten sie bräunlich auf. Dass seine Pupillen einen schwarzen Umriss hatten, fiel mir erst jetzt auf. Danach rutschte mein Blick zu seinen zusammengezogenen Brauen, die seiner Miene eine Strenge gaben. Die Kieferknochen traten bei der wütenden Geste hervor. Seine zu den Gesichtszügen passenden, leicht vollen Lippen warteten wohl darauf Worte auszusprechen, die mir nicht gefallen würden. So verbittert wurde ich angeguckt.

Die Wunde der VergangenheitHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin