Kapitel 30

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"Hope", sagte ich und riss sie anscheinend aus ihren tiefen Gedanken heraus, denn sie blickte leicht erschrocken zu mir rüber.

"Ja?", fragte sie leicht verwirrt und schenkte mir ihre volle Aufmerksamkeit, dabei legte sich ein kleines Lächeln an ihre Lippen.

"Wann hast du zuletzt mit deinen Eltern geredet?", wollte ich interessiert wissen.

Das Lächeln, was vor einigen Sekunden noch in ihrem Gesicht erschien, verschwand augenblicklich und sie senkte langsam ihren Blick. Sie vermied es mir in die Augen zusehen und begann leicht nervös ihre Hände zu kneten, als ob sie sich so davon ablenken würde oder versuchte mehr Zeit zu gewinnen, um nicht zu antworten. Vielleicht wollte sie auch überhaupt nichts dazu erwidern und nur still bleiben. Es würde mich nicht sehr wundern, wenn sie gerade das Schweigen bevorzugte.

Ihr Anblick machte mich traurig.

Beim genauerem Betrachten viel mir auf, wie tief und dunkel ihre Augenringe waren, die sie anscheinend vergeblich versucht hatte mit dem Concealer zu verdecken. Ihre Haare, dessen Farbe schon längst draußen war und man nun ihre richtige Naturhaarfarbe erkannte, sahen so leer aus.

Die Blondine schaute auch so wunderschön aus, aber die bunten Farben ließen sie anders strahlen.

Mir war vollkommen bewusst, dass ich sie an ihrer Wunde berührt hatte, die noch sehr frisch und schmerzvoll war. Ich musste ihr aber diese Frage stellen, denn ich hatte sie damit alleine gelassen. Die letzten Tage hatte sie sich nämlich nur mit meinen Problemen beschäftigt. Sie unterstützte mich bei allem, jedoch war ich nicht für sie da gewesen und hatte sie vergessen, wofür ich mir am liebsten selbst eine Ohrfeige verpassen würde.

"Hope", begann ich, aber wusste ehrlich gesagt nicht, wie ich weiter sprechen sollte.

"Das ist im Moment ein unwichtiges Thema", meinte sie daraufhin, worauf ich ungläubig den Kopf schüttelte und sie leicht wütend ansah.

"Unwichtig? Das ist doch nicht unwichtig. Hope dir geht es-", wollte ich die Situation von ihr auf den Tisch legen, jedoch ließ sie mich nicht weitersprechen.

"Mir geht es gut", stritt sie es ab und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.

"Wen willst du hier verarschen? Dir geht es überhaupt nicht gut! Ich weiß, dass ich für dich nicht da sein konnte, aber bitte verschließe dich jetzt nicht mir gegenüber. Es tut mir Leid", entschuldigte ich mich und klang zum Ende hin verzweifelt.

"Warum entschuldigst du dich? Man Aria", lachte Hope leicht und setzte sich neben mich auf die Couch, um mich seitlich zu umarmen.

"Ich bin eine schlechte Freundin", murmelte ich, worauf sie mir auf den Hinterkopf schlug.

"Aua! Wofür war der?", fragte ich überrascht und mit schmerzverzerrtem Gesicht, dabei löste ich mich wieder von meiner besten Freundin, die mich mit einem strengen Blick beobachtete.

"Du bist keine schlechte Freundin! Hör auf sowas dummes zu sagen", verlangte sie.

"Wer war an meiner Seite, als ich heulend am Boden war? Du! Wer hat mich aufgenommen? Du! Wer hat sich um mich gekümmert? Du!", erinnerte sie mich daran, worauf ich nichts erwidern konnte.

"Jetzt bin ich an der Reihe bei dir zu sein und das wird für immer so weitergehen. Wir beide sind nämlich immer für einander da, meine fürsorgliche beste Freundin", grinste sie mich an, weswegen ich leicht lachte und ihr schließlich zustimmte.

"Ich hab dich lieb du Verrückte", murmelte ich und diesmal umarmte ich sie.

"Ich weiß", sagte sie arrogant, weswegen ich ihr spielerisch auf den Rücken schlug und sie darüber amüsiert zum Lachen begann.

"Ich dich auch Ari", flüsterte sie letztendlich und schlang ihre Arme fester um mich, als ob sie diese Umarmung gerade wirklich brauchte.

"Ohne mich?", erklang die Stimme von Jayden, worauf wir uns voneinander lösten.

"Eifersüchtig?", nervte Hope ihn.

"Kein bisschen", antwortete er und hatte ein Grinsen im Gesicht, was er nicht unterdrückte.

"Macht Platz, Mädels", forderte er uns auf und quetschte sich zwischen uns, weshalb ihm Hope einen vernichtenden Blick zuwarf.

"Du bist fett Junge", klagte sie und war eingeengt.

"Kein Fett, sondern Muskeln", zwinkerte er ihr zu, worüber sie nur die Augen verdrehte.

"Hast du hier übernachtet?", wollte ich wenige Sekunden später wissen, da ich mich nicht erinnern konnte, dass ich ihm die Tür geöffnet hatte.

"Jap", antwortete er gelassen.

"So langsam solltest du dir vielleicht überlegen von jedem einen bestimmten Betrag an Geld zu verlangen", kam es plötzlich von Daniel, der sich auf eines der Sessel fallen ließ.

"Warum das?", fragte ich.

"Naja, weil Hope, Liam, Jayden und ich sozusagen hier fast schon wohnen", erklärte er grinsend, worüber ich nur kopfschüttelnd lachte.

"Liam? Wann ist er denn gekommen?", interessierte es Jayden.

"Gestern Nacht. Er schläft noch in meinem Zimmer", informierte ich den braunhaarigen Jungen.

"Morgen Jack", wünschte ich dem Lockenkopf, als er sichtlich verschlafen ins Wohnzimmer eintrat und sich anschließend auf die gegenüberliegende Couch von uns müde fallen ließ.

"Morgen Cousinchen", murmelte er und schloss seine Augen direkt wieder.

"Niemand kann so richtig schlafen wie es aussieht", bemerkte Hope, womit sie Recht hatte.

Wir waren alle aufgewühlt und müde zugleich, aber konnten kaum schlafen. Es fühlte sich so an, als ob jeden Augenblick etwas passieren könnte und solch ein Gefühl raubte einem wortwörtlich den Schlaf. Der Körper war so schwer und ausgepowert, jedoch gelang es einem nicht dagegen etwas zu unternehmen und das machte alles schwerer.

Meine Angst war mit Ace verbunden, denn ich wusste nicht, ob er mich vor jemanden schützte oder ob dies ein Spiel war und er uns somit in die Falle lockte. Liam vertraute ihm auf irgendeiner Weise, aber ich konnte es nicht tun. Alle schienen sich verdammt sicher zu sein, dass es sich um ihn handelte, aber ich glaubte daran nicht und es gab keinerlei Erklärung dafür, warum ich so dachte. Diesen Gedankengang wollte ich auch mit niemanden teilen, denn sie würden mich nicht versuchen zu verstehen.

Das alles musste nur ein böser Alptraum sein, jedoch wollte dieser nicht mehr enden.

Vergeblich blickte ich mich um und alle saßen noch an ihren Plätzen. Jack sorgte sich weiterhin um Fleur und Hope hatte noch immer Probleme mit ihren Eltern, die sie nicht lösen konnte. Rein gar nichts änderte sich an unserer Lage, denn es war die Realität und leider kein dummer Traum.

Ich zuckte leicht zusammen, als es auf einmal an unserer Haustür klingelte. Da sich niemand rührte, stand ich seufzend auf und schaute nach.

Vor mir erblickte ich einen fremden jungen Mann, der mich eindringlich durch seine braunen Augen ansah, die im Sonnenlicht leicht zum Glänzen begannen. Seine Haare hatten dieselbe Farbe, nur etwas dunkler und waren perfekt gestylt. Außerdem trug er einen dunkelblauen Anzug, was mich nur noch mehr verwirrte. Sein Gesichtsausdruck war streng, jedoch umspielte seine Lippen nun ein charmantes Lächeln, worauf ich nur die Augenbrauen verengte.

Etwas unsicher krallte ich meine Hand fester an den Türgriff, die ich nicht losgelassen hatte und fühlte mich sehr unwohl unter seinen Blicken.

"Aria Evans?", fragte er schließlich nach.

"Ja", bestätigte ich zögerlich.

"Mein Name ist Dale Allen", stellte er sich mir vor und reichte mir seine Hand.

Der VerstandWhere stories live. Discover now