November NE 224 - Kapitel 2

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Ich war gemeinsam mit Jana in den Medienraum gegangen, um für einen weiteren Artikel zu recherchieren, den ich noch vor den Semesterferien abgeben musste. Als uns Mona, Lisa und Mauerblümchen zu sich winkten, setzten wir uns dazu. Allerdings lenkten mich deren Gespräche immer wieder ab und nach einer Weile beschloss ich, meine Recherchen auf später zu verschieben.

Stattdessen suchte ich mir Maries neuesten Artikel im Intranet heraus. Unser Dozent hatte in der Vorlesung am Vormittag die Noten mitgeteilt, damit waren die Arbeiten nun für alle Studierenden der Universität verfügbar. Die Aufgabe war gewesen, ein Interview zu führen. Natürlich konnte ich den Text nicht lesen, dafür waren meine Deutschkenntnisse zu gering. Ich ließ mir den Artikel vom Computer auf Esperanto übersetzen. So ging zwar der Schreibstil verloren, aber mir ging es nur um die Fakten.

Marie hatte mit Mechthild Rückenscheid gesprochen, die wie meine Mutter im wohltätigen Bereich der Goldenen Sieben engagiert war und die Vergabe der Stipendien in Deutschland leitete. Natürlich kannte ich diesen internationalen Verein für Grundbesitzer, meine Familie war dort Mitglied. Um in diese elitäre Gruppe aufgenommen zu werden, musste man steinreich sein. Der Verein kümmerte sich nur um Dinge, die ihre Mitglieder glücklich machten. Arme Grundlose waren ihm egal. Ich hatte den Verdacht, dass die Stipendien für Künstler vor allem deshalb vergeben wurden, weil sich Grundbesitzer gerne ein schönes Gemälde an die Wand hing oder eine Skulptur in den Garten stellten. Aber solange beide Seiten davon profitierten war der Grund letztendlich egal.

Marie hatte mit Mechthild vor allem über die diesjährige Stipendiatin gesprochen, eine begnadete Bildhauerin, der ein Atelier finanziert wurde. Ein wirklich interessantes Interview mit Einblicken, die ich aus den Erzählungen meiner Mutter bestätigen konnte.

Doch dann stutze ich. Das darf doch nicht wahr sein! „Hast du das Interview von Marie gelesen?", fragte ich aufgeregt, griff blind neben mich und packte Jana am Arm, die daraufhin erschrocken die Luft einsog. Ich ließ ihren Arm schnell wieder los. Auch die anderen waren nun aufmerksam geworden und sahen mich gespannt an. „Sie hat Mechthild Rückenscheid von den Goldenen Sieben interviewt", sagte ich und musste nach Luft schnappen.

Mauerblümchen zuckte nur mit den Schultern.

„Die Frau die sie interviewt hat übt ihr Amt seit dem Sommer nicht mehr aus. Ihre Tochter ist in Spanien verheiratet und bekam ihr erstes Kind. Mechthild hat ein Sabbatical genommen, um sie in den ersten Monaten unterstützen zu können", erklärte ich und blickte dabei in vier fragende Gesichter.

Mona räusperte sich. „Und das weißt du woher?"

Gute Frage! Meine Mutter kannte Mechthild und hatte mir davon erzählt. Aber das konnte ich hier schlecht sagen.

„Lass dich bloß nicht erwischen, wie du Frau Rückenscheid respektlos mit dem Vornamen ansprichst, wie eine Ebenbürtige", raunte mir Jana ängstlich zu und sah sich ängstlich um, als hätte sie Angst, dass uns gleich jemand verpfiff.

Damit hatte sie mir genug Zeit verschafft, eine Notlüge zurechtzulegen: „Meine Eltern arbeiten für die Familie Petuchow, die ebenfalls Mitglied bei den Goldenen Sieben ist. Frau Petuchow ist im Gremium für die Vergabe der Stipendien in Russland und ist mit Frau Rückenscheid befreundet. Ich habe zufällig mitbekommen, dass sie bei der Stipendien-Vergabe im Herbst nicht dabei ist." Diesmal hatte ich sogar auf die korrekte Ansprache einer Grundbesitzerin durch eine Grundlose geachtet.

Die Mädels gaben sich zum Glück damit zufrieden. Mauerblümchen hatte sich das Interview ebenfalls auf den Bildschirm geholt. „Das Interview hat Marie angeblich im Oktober geführt. Wenn Frau Rückenscheid da tatsächlich in Spanien bei ihrer Tochter war..." Sie sah bedeutungsvoll in die Runde.

Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now