Oktober NE 226 - Kapitel 4

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Als sich die Haustür öffnete, gingen wir schnell hinein und sie schloss sich hinter uns. Plötzlich fand ich mich in absoluter Dunkelheit wieder. Welcher Stümper hatte denn einen Eingangsbereich ohne Fenster geplant?

Vasili legte vorsichtig von hinten seine Arme um mich. „Nach dem Sonnenschein draußen brauchen unsere Augen ein wenig, bis sie sich darauf eingestellt haben." Er gab mir Halt und kurze Zeit später erkannte ich erste Umrisse. Durch den offenen Durchgang uns gegenüber kam etwas Licht herein.

„Wir sollten hier so wenig wie möglich anfassen", erinnerte er mich. Dann durchquerten wir vorsichtig den Eingangsbereich und gingen durch den Torbogen. Wie vermutet führte er ins Wohnzimmer, das hatten wir schon bei unseren Beobachtungen vom Garten aus sehen können. Von dort ging eine Tür ins Arbeitszimmer mit einem Terminal zum Zentralrechner des Hauses.

Während Vasili mit der Hand im Ärmel seines Pullis vorsichtig die Schränke öffnete und einen Blick hinein warf, trat ich vor den Terminal. Mit dem in Stoff verpackten Finger navigierte ich zu den Mails und suchte nach Stichworten wie Russland, Baby und Übergabe. Schließlich hatte ich ein paar interessante Mails gefunden. Ich nahm mir aber nicht die Zeit, sie im Detail durchzulesen. Stattdessen überspielte ich sie per Datentransfer auf mein Niki. Dann kopierte ich noch einen Ordner mit Dateien zum Baby.

„Ich habe hier was", meldete Vasili und zog vorsichtig einen Ordner aus dem Schrank. Er machte sich daran, die Seiten abzufotografieren.

„Ich schau mich noch etwas um", informierte ich ihn und ging zurück in den Eingangsbereich. Ich wollte mir unbedingt noch das Kinderzimmer ansehen. Deshalb ging ich die Treppe nach oben.

Welche Tür zum Kinderzimmer führte, war nicht schwer zu erkennen. Sie war mit bunten Holztieren beklebt worden. Ich stupste die angelehnte Tür weiter auf und blieb im Türrahmen stehen. Ich kannte mich mit Kindern nicht aus, aber mit dem was ich im Kinderzimmer von Vasilis Nichte gesehen hatte konnte man das hier nicht vergleichen. Das Zimmer war riesig und wirkte wie einem Innenarchitektur-Prospekt entsprungen. Möbel wie Gitterbettchen, Schrank und Wickelkommode von einer Designserie, alles vom Teppich bis zu den Tiermotiven auf den Vorhängen in aufeinander abgestimmte Farben, dazu der Inhalt einer ganzen Spielwarenabteilung. Hier hatte jemand ein Vermögen ausgegeben.

Ich trat ein. An einer Wand entdeckte ich Familienfotos. Glücklich lächelnde Eltern, ein Baby das seinen zahnlosen Mund präsentierte. Die üblichen, süßen Fotos eben. Als ich eine Bewegung an der Tür wahrnahm, riss mich das aus meinen Betrachtungen.

Vasili kam herein. „Wir sollten gehen."

Ich bat ihn, Bilder vom Zimmer und von den Fotos an der Wand zu machen. Dann schloss ich die Tür wieder so weit, wie ich sie angetroffen hatte und wir gingen die Treppe hinunter.

„Haben wir alles?", fragte ich zur Sicherheit nochmal nach, „Der Ordner steht wieder am Platz, die Schränke sind geschlossen? Die Türen stehen so wie sie waren?" Vasili brummte zu allem bestätigend und so öffnete ich die Haustür und wir traten wieder ins Freie. Hinter uns fiel die Tür ins Schloss. Wir gingen am Haus entlang zur Rückseite und quetschten uns durch die Büsche auf die Straße. Dort stiegen wir schnell in das wartende Auto und ließen es losfahren. Wir hatten es tatsächlich geschafft!

Einer spontanen Eingebung folgend, ließ ich uns in die Garage von Lorenz fahren. „Wir kehren erst bei Dunkelheit ins Hotel zurück", sagte ich, „In unserem Aufzug wäre es viel zu auffällig, dort auszusteigen. Hier können wir uns am unauffälligsten verstecken." Wir hatten unseren Plan für einen Einbruch bei Dunkelheit gemacht. Jetzt war gerade mal halb vier und somit noch hell.

Wir hockten also im Auto, in der Garage im Untergeschoss des Ärztehauses. Die Anspannung fiel von mir ab und hinterließ Erschöpfung. „Frau Riederwald ist vielleicht sogar noch hier im Ärztehaus oder hat es gerade erst verlassen", überlegte ich laut, „Das fühlt sich alles so unwirklich an."

Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now