Juli NE 226 - Kapitel 2

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Leise schloss ich die Tür zu Besprechungsraum 42 hinter mir. Vasili stand von seinem Stuhl auf und kam zögernd auf mich zu. Da ich nicht in den Flügel für Bedienstete konnte und er nicht in den Familienflügel kommen konnte, blieb uns nur noch eine Möglichkeit, uns zu treffen: Ich musste eine Besprechung ansetzen.

Eigentlich hatte ich ihm sofort von meiner Besprechung mit meinem Vater berichten wollen, doch als ich ihn so vor mir sah, beschloss ich, dass es dringenderes gab als Reden. Ich legte ihm die Hände auf die Schultern, zog ihn an mich und wir küssten uns stürmisch.

„Also keine Kameras hier drin", stellte er erleichtert fest, als wir uns außer Atem wieder voneinander lösten.

„Ich habe den Besprechungsraum sorgfältig ausgewählt", erklärte ich schmunzelnd, „Keine Kameras, dafür ein Sofa und ein höhenverstellbarer Tisch."

Er stutzte kurz, grinste dann süffisant und brummte zustimmend. Ich zog ihn aber erst mal zum Sofa. Während er sich setzte, löste ich mit geübten Handgriffen meinen Unterrock und ließ ihn zu Boden fallen. Damit hatte der Rock meines Kleides wesentlich weniger Volumen und ich konnte mich enger neben ihn setzen. Ich kuschelte mich an ihn und schob meine Hand unter seinen Pullover.

Er legte vorsichtig einen Arm um mich. „Alles an dir sagt fass mich nicht an", sagte er leise, „Deine Haare kann man nicht berühren, ohne die Frisur zu zerstören. Dein Kleid ist so kompliziert verschlossen, das krieg ich nie auf."

Ich sah an mir herunter. Um vor meinem Vater am Morgen eine gute Figur zu machen hatte ich eines der teureren und damit kompliziert gearbeiteten Kleider ausgewählt und eine kunstvolle Hochsteckfrisur machen lassen. „Ich sehe nicht jeden Tag so aus", versicherte ich ihm, „Morgen denke ich beim Anziehen ein bisschen mehr an dich, in Ordnung?"

„Und heute?", beschwerte er sich gespielt und begann, meinen Nacken zu kraulen.

„Du vergisst, dass dieses Kleid wie alle anderen unten offen ist", sagte ich aufreizend, raffte meinen Rock und schwang mich auf seinen Schoß.

Er brummte zustimmend und flüsterte: „Das ist das einzig Praktische an diesen Dingern."

Als wir eine halbe Stunde später wieder nebeneinander auf dem Sofa saßen, erzählte ich Vasili von dem Treffen mit meinem Vater am Vormittag.

„Vielleicht war dieses Versprechen etwas voreilig", sagte er, „Was meint dein Vater mit niemals gegen deine Familie arbeiten? Im schlimmsten Fall darfst du kein schlechtes Wort über Grundbesitzer schreiben."

Erschrocken setzte ich mich im Sofa auf. „So kann er das doch nicht gemeint haben."

„Nun, ihr seid Mitglied bei den Goldenen Sieben. Was jemand aus deiner Familie öffentlich sagt, kann große Auswirkungen haben. Vielleicht solltest du deinen Vater nochmal fragen, wie er das genau gemeint hat?"

Ich ließ den Kopf hängen. „Das geht nicht, ich kann Vater unmöglich nach meinem Versprechen fragen, was ich da genau versprochen habe. Wie sähe das denn aus? Das käme bei ihm gar nicht gut an. Dabei täte ich gut daran, ihn weiterhin bei Laune zu halten."

„Hast du Angst vor deinem Vater?" Er legte beschützend den Arm um mich.

„Ja, manchmal schon. Mein Vater hat zwei Gesichter. Privat ist er liebevoll und fürsorglich. Doch im Business-Modus kann er wirklich beängstigend sein. Die Familienehre ist ihm sehr wichtig. Unser Name steht für unsere Produkte. Negative Schlagzeilen könnten verheerende Folgen für uns haben."

Nachdenklich wollte ich den Kopf auf seiner Schulter ablegen, dachte aber im letzten Moment an das Kunstwerk auf meinem Kopf und richtete mich wieder auf. „Blöde Frisur", grummelte ich.

„Wie macht ihr Grundbesitzer das nur? Das ist doch alles total unbequem?"

Ich schmunzelte und erklärte ihm: „Wenn ich mich mit einem wildfremden Grundbesitzer in einem Besprechungszimmer treffe und danach mit zerzausten Haaren und übersät mit Knutschflecken herauskomme, sagt auch niemand etwas. Ich gehe meine Haare richten, die Flecken abdecken und fertig."

„Du sprichst da hoffentlich keine wahre Begebenheit an?", fragte er und es war ihm sichtlich unbehaglich zumute.

„So schlimm bin ich nun auch wieder nicht", antwortete ich würdevoll. War ich wirklich nicht, es war damals nur ein einziger Knutschfleck gewesen.

„Lass uns mal noch besprechen, wie es nun weitergehen soll", lenkte ich vom Thema ab, „Als freie Journalistin muss ich mir erst mal einen guten Ruf verschaffen. Unser gemeinsamer Artikel war ein grandioser Start. Aber ich sollte bald nachlegen, sonst gerate ich wieder in Vergessenheit."

„Du hast deine Karriere generalstabsmäßig geplant?", fragte er amüsiert.

„Aber natürlich. Wie gutes Marketing funktioniert, bekommt man in meiner Familie schon mit der Muttermilch eingeflößt. Als nächstes müssen wir also einen ebenfalls genialen Artikel schreiben."

„Kein Problem. Fang einfach gleich damit an."

„Witzig, witzig. Ich brauche erst mal eine Idee für ein Thema."

„Du möchtest hoffentlich nicht bei deinen Eltern bleiben, bis dir ein Thema zufliegt? Ich für meinen Teil würde als nächstes gerne meine Sippe besuchen und hoffe, du kommst mit?"

Ich kaute unschlüssig auf meiner Unterlippe herum. „Die haben den Artikel sicher gelesen, oder?"

„Sie haben ihn zwar nicht verstanden, da sie kein Esperanto können, aber ich habe ihnen am Telefon erklärt, um was es geht", gab Vasili zu.

Ich hatte nach dem Bekanntwerden meiner wahren Identität so viel um die Ohren gehabt, dass ich Vasilis Eltern vollkommen vergessen hatte. Ich knetete nervös meine Hände. „Wie haben sie es aufgenommen?"

„Damit hatten sie nicht gerechnet", erzählte er amüsiert, „Aber sie haben sich schnell an den Gedanken gewöhnt. Dadurch ist ihnen auch klar geworden, warum ich im Winter alle zur Verschwiegenheit verdonnert hatte. Meine ganze Sippe weiß nun Bescheid, wir können in meinem Dorf als ganz normales Paar auftreten."

Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich lächelte ihn erleichtert an. Das Wissen, einen Ort zu haben, an dem wir uns nicht verstellen mussten, hatte etwas tröstendes. „Lass uns noch ein paar Tage in Petersburg bleiben, danach fahren wir zu deinen Eltern", beschloss ich, „Ich hoffe, auf der Reise neue Ideen für einen neuen Artikel zu bekommen." Er brummte zustimmend.

Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now