Mai NE 227 - Ende

86 14 10
                                    

„Baby-Entführungsfall in Russland nach sechs Monaten abgeschlossen: Der Grundbesitzer, der wegen der Entführung und dem Verkauf von acht Babys vor Gericht zu einer hohen Geldsumme verurteilt worden war, war gezwungen, einen Teil seines Grundbesitzes zu verkaufen", las ich eine Schlagzeile laut vor, die ich gerade auf einer Nachrichten-Seite auf meinem Niki gefunden hatte. Der Abschluss des spektakulären Falls ging seit Tagen durch die Medien.

Dann legte ich mein Niki beiseite und lehnte mich auf meiner Sonnenliege zurück. Ich hatte für die Dauer unseres Aufenthaltes in Peking ein Apartment in der Nähe des Sommerpalastes angemietet. Ich ließ meinen Blick über den Kunming-See schweifen, den man von der Dachterrasse aus sehen konnte. Es war einfach wunderbar, viel Geld zu haben! Neben meinen Anteilen am Familienunternehmen, die einen hübschen Gewinn abwarfen, erhielt ich für meine Artikel inzwischen ebenfalls stattliche Summen.

Zum Glück war meinem Vater die Familienehre so viel wert, dass er den Grund für unsere Zerwürfnis niemals öffentlich machen würde. Er hatte mir zwar gedroht, mich zu enterben, doch laut meinen Anwälten stünde mir mindestens ein Drittel des Gesamterbes zu, egal was vorfallen würde.

Mein Vater und ich gingen uns aus dem Weg. Meine Mutter hatte meine Beziehung zu einem Grundlosen ebenfalls nicht gutgeheißen, hatte den Kontakt aber nicht abgebrochen und wir telefonierten regelmäßig.

Mein Bruder hatte die Nachricht recht entspannt aufgenommen und wir trafen uns immer mal wieder, da er ohnehin viel in der Welt unterwegs war. Auch, um seine Suzume zu besuchen, die aber von meiner Beziehung zu Vasili nichts erfahren durfte. Aleksandrs einzige Bedingung. Er war noch immer glücklich mit ihr und vermutlich nervten ihn meine Eltern bereits wegen Enkeln. Der Arme!

„Den Fall Lenevka noch bis zum Ende als Journalistin zu verfolgen wäre schon schön gewesen", sagte ich etwas wehmütig, „Aber es ist einfach besser, wenn wir uns länger nicht in Russland, also im Einflussgebiet meines Vaters, blicken lassen."

Vasili sah von seiner Liege aus zu mir herüber. „Dafür hast du seit dem spektakulären Enthüllungs-Artikel einige andere spannende Aufträge angenommen. Vor einem Gerichtssaal rumlungern kommt mir dagegen nicht so erstrebenswert vor", sagte er und angelte nach seinem Glas mit einem selbstgemixten Litschi-Cocktail.

Da wir uns nie Bedienstete leisteten, um unsere Beziehung geheim halten zu können, hatten wir uns einige Fertigkeiten einfach selbst angeeignet. Vasili war inzwischen recht geschickt im Cocktails mixen.

„Nach den neuesten Entwicklungen im Fall Lenevka habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für dich und deine Sippe, Vasili", eröffnete ich lächelnd.

Dieser sah mich missmutig an. „Lenevka musste doch die hohe Strafe zahlen. Ein Käufer war wohl schnell gefunden. Ich habe vorhin mit meinen Eltern telefoniert: das Gebiet, auf dem meine Sippe wohnt, wurde verkauft. Die gute Nachricht ist also, dass wir die Familie Lenevka los sind. Die schlechte ist, dass wir stattdessen einer anderen Familie gehören."

„Fast. Die gute Nachricht ist, dass das Gebiet mit dem Dorf deiner Sippe nun mir gehört", erklärte ich breit grinsend, „Deine Sippe kann also nun wirklich tun und lassen was sie möchte, ich werde mich da nicht einmischen."

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Du hast das Gebiet aufgekauft?"

„Ich habe Niocovat Lenevka über einen Mittelsmann eine so unverschämt hohe Summe dafür geboten, dass er nicht ablehnen konnte. Er hat keine Ahnung, an wen er verkauft hat, und das lassen wir auch besser so."

„Wow. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke."

„Das Danke hat schon genügt", antwortete ich lächelnd, „Alles was ich verlange ist, dass ich dort weiterhin als Anna Urlaub machen kann."

„Das lässt sich sicher einrichten. Ich muss das jetzt erst noch etwas setzen lassen, dann rufe ich meine Eltern nochmal an." Er legte sich auf der Liege wieder zurück und wir schauten eine Weile stumm auf den See hinaus.

„Während unseres Studiums hast du gesagt, du willst nach Südamerika? Ich habe ein Angebot aus Brasilien bekommen", eröffnete ich ihm, „Der Artikel, den ich schreiben soll, ist nichts Spektakuläres, aber wir wären eine Zeitlang auf dem Amazonas unterwegs und du könntest im Regenwald fotografieren. Hast du Lust?"

„Du bist verrückt, meine Liebe. Natürlich bin ich dabei."

✩ Ende ✩






Journalistin der GrundlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt