September NE 225 - Kapitel 2

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Ein paar Wochen nach dem Beginn des dritten Semesters stand ich etwas verschlafen an der Essensausgabe in der Mensa und wartete auf den Roboter, der meine Bestellung im Schneckentempo auf ein Tablett richtete. Ich überlegte gerade, ob ich mal wieder meinen Frust an ihm auslassen sollte, indem ich diese traurige Ansammlung von schlechten Schaltkreisen zum Durchdrehen brachte. Wenn man mehrere Dinge bestellte und wieder abbestellte, führte das nach kurzer Zeit zu einem Systemabsturz. Mit einem Produkt von Petuchow Robotico wäre das nicht passiert!

Doch dann sah ich Vasili auf mich zukommen und der wollte schließlich auch noch Frühstück. Also riss ich mich zusammen.

„Du hast dich über mich erkundigt?", fragte er, während er auf dem Display sein Frühstück zusammenstellte.

„Meine heimlichen Nachforschungen waren wohl nicht so geheim wie erhofft", stellte ich trocken fest, „Da sollte ich vielleicht noch dran arbeiten, wenn ich mal eine gute Journalistin werden will."

Er brummte zustimmend. Ich nahm mein nun endlich fertig gerichtetes Frühstück auf einem Tablett entgegen und wartete auf ihn. Wir gingen gemeinsam zu meinem üblichen Tisch am Rand.

„Du hättest mich einfach nur fragen brauchen", setzte er das Gespräch nahtlos fort, als wir uns an den leeren Tisch gesetzt hatten, „Ich hätte dir auch sagen können, dass ich zwei Jahre älter bin als du."

Ich sah ihn verlegen an. „Tut mir leid. Ich kam mir blöd vor, dich so etwas zu fragen. Das hört sich gleich so an, als ob..."  Ich stockte. Ja, als ob was?

„Als ob du an mir interessiert wärst? Wenn du hinten rum Erkundigungen über mich einholst, hat das gleichen Effekt, oder?"

Ich musterte Vasili. Sein Gesicht zeigte kaum Emotionen, aber ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um ein belustigtes Funkeln in seinen Augen wahrzunehmen. Es amüsierte ihn! „Ich wollte nicht, dass es so aussieht, als wollte ich etwas von dir."

„Also findest du mich interessant."

Ich seufzte. „Da komm ich nicht mehr raus, oder?"

Er brummte verneinend und sein Mundwinkel zuckte.

Wenn ich bei der Befragung wenigstens Antworten erhalten hätte! Aber die anderen wussten auch nicht viel mehr über ihn als ich. Hätte ich nicht so bohren müssen, wäre es auch nicht aufgefallen. Aber wenn ich nun schon aufgeflogen war, konnte ich ihn wenigstens selbst befragen.

„Was hast du in den zwei Jahren zwischen deinem Schulabschluss und dem Beginn des Studiums gemacht?"

Er kaute noch langsam fertig und erklärte dann: „Wie auch bei dir, arbeiten Eltern der meisten Studierenden hier als Verwalter oder in anderen leitenden Position, vorzugsweise in großen Stadt. Meine Mutter ist Försterin, mein Vater baut unser eigenes Obst und Gemüse an. Wir wohnen in Dorf an westlichen Ausläufern des Uralgebirges. Die beiden können mir kein Studium finanzieren, und schon gar nicht im Ausland. Hast du eine Ahnung, was allein Esperanto-Intensivkurs kostet?"

Das war rhetorisch gemeint, aber ich schüttelte trotzdem den Kopf. Die Kurse für unsere Angestellten bezahlte ich schließlich nicht persönlich. Ich hatte keine Ahnung von so was.

Er fuhr fort: „Nach meinem Schulabschluss bin ich für zwei Jahre nach Moskau gezogen, um Esperanto zu lernen. Abends habe ich in Restaurant für Grundbesitzer gearbeitet, als Küchenhilfe. Mein Plan ging aber leider nicht auf. Leben in Moskau ist so teuer, dass mein Grundgehalt als Bürger und das, was ich im Restaurant verdiente zwar für Esperanto-Kurs und zum Leben ausreichte, aber ich konnte nur wenig für Studium ansparen."

Er aß eine Weile schweigend weiter und ich dachte darüber nach, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, mir einen Job zu suchen. Vielleicht hätte ich meinem Vater damit drohen sollen. Dann hätte er mir sicher sofort das nötige Geld gegeben. Als Küchenhilfe hätte ich einen Grundlosen als Vorgesetzten. Das war sogar in meinen Augen undenkbar. Da wäre meinem Vater mein Job als Journalistin viel attraktiver vorgekommen.

„Wie zahlst du nun dein Studium?", fragte ich.

„Ich habe in der Zeit in Moskau viel fotografiert und habe mich mit einer Auswahl an Bildern um ein Stipendium beworben. Ich hatte Glück und wurde angenommen", antwortete er, „Jetzt bekomme ich Studiengebühren und Zimmer im Wohnblock bezahlt. Von meinem Grundgehalt kann ich leben und Reisen zu meinen Eltern bezahlen. Ich musste meiner Mutter versprechen, in den Semesterferien heim zu kommen, sonst hätte sie mich nicht gehen lassen." Kurz umspielte ein warmes Lächeln seine Lippen. Dann widmete er sich wieder voll und ganz seinem Frühstück.

Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now