Juni NE 226 - Kapitel 3

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Seit der offiziellen Bekanntgabe der Rektorin zu meinem Studium als Grundbesitzerin hatte sich das Verhalten mir gegenüber geändert. Dozenten siezten mich, Kommilitonen hielten respektvoll Abstand, wenn ich durch die Gänge ging und vermieden es, mich anzusprechen. Mein geheimes Studium als Grundlose war jetzt das meistdiskutierte Gesprächsthema auf dem Campus und ich überlegte, ob ich Luis und Klaus zur Entschädigung nun Blumen schicken sollte, da ich ihnen den Rang abgelaufen hatte.

Meine Freunde hatten sich zum Glück nicht abgewendet, sondern behandelten mich eigentlich wie immer. Natürlich musste ich ihnen jede Menge Fragen beantworten, aber sie standen wiederum allen Kommilitonen Rede und Antwort, da sich niemand traute, mich direkt anzusprechen.

Eigentlich gab es nur eine Sache, die mich wirklich störte: durch die ganze Aufmerksamkeit traute ich mich nun nicht mehr, mich mit Vasili zu treffen. Hatten wir in den Monaten zuvor jede Möglichkeit für ein Date genutzt, so achteten wir nun darauf, dass sich bei unseren Treffen andere Kommilitonen in der Nähe aufhielten. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass irgendwer Verdacht schöpfte.

Immerhin würden wir nun nicht mehr lange in Nürnberg sein. Die schriftlichen Prüfungen waren schon vorher ausgewertet worden, in den zwei Wochen nach dem Abgabetermin bewerteten die Dozenten und externen Prüfer noch die Abschlussarbeiten. Danach wurden die Diplome verliehen, ein Abschlussball gefeiert und dann würde jeder seiner Wege gehen.

In der Zeit zwischen dem Abgabetermin der Abschlussarbeit und der Diplomübergabe veranstalteten manche Dozenten Vorlesungen, die wir freiwillig besuchen konnten. Gerade kam ich von einem Hörsaal, in dem uns einer der Dozenten, der jahrelang als Journalist gearbeitet hatte, von seinem Start in den Beruf erzählt hatte. Noch in Gedanken an seine netten Anekdoten, ging ich langsam durch einen der stillen Flure.

Plötzlich sagte jemand leise: „Hey, Prinzessin." Irritiert drehte ich mich um. Ein Student, den ich vom Sehen kannte, kam hinter mir den Flur entlang. Er war einen Kopf kleiner als ich und im Semester unter mir. Seine Körpergröße kompensierte er mit übertrieben viel Muskelmasse. Immerhin war das mal einer der Mutigeren, der sich traute, mich anzusprechen. Aber sein Ton gefiel mir nicht und ließ mich daran denken, dass der Flur bis auf uns beide leer war.

„Hast du mir deshalb einen Korb gegeben? War ich dir nicht reich genug?", fragte er und kam angriffslustig näher.

Verwirrt hob ich die Augenbrauen. Konnte gut sein, dass ich ihm irgendwann mal einen Korb gegeben hatte, so wie ich stets alle Annäherungsversuche abgeblockt hatte. Das Gespräch mit ihm konnte nicht gerade eindrucksvoll gewesen sein, wenn ich mich nicht mal mehr daran erinnerte.

„Was willst du?", fragte ich ihn barsch.

„Jetzt gib dich nicht so wiederborstig, wir sind hier unter uns", raunte er, „Mir ist nun klar, warum du keine Beziehung möchtest, aber das heißt doch nicht, dass wir nicht trotzdem ein bisschen Spaß haben könnten?"

Mir brach der Schweiß aus. Oh Hilfe, ein Trophäen-Jäger! Bisher hatte ich nur von Grundbesitzeral gehört, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, einmal im Leben einen Grundlosenal ins Bett zu kriegen.

„Nein, danke." Ich wich einen Schritt zurück. Ich wollte nur noch weg und allein meine guten Manieren hielten mich davon ab, einfach loszurennen.

„Es muss ja niemand erfahren", führte er sein merkwürdiges Werben fort. Offensichtlich schätzte er meine Beweggründe falsch ein.

Zum Glück öffnete sich in diesem Moment eine Tür und eine Gruppe Kommilitonen, die sich lebhaft miteinander unterhielt und uns nicht weiter beachteten, trat auf den Flur.

„Nein, danke, wirklich nicht", bekräftigte ich nochmal und bemühte mich um ein freundliches Lächeln, bevor ich mich umdrehte und den Gang entlangeilte.

„Nicht mal hier hat man seine Ruhe vor diesen Parasiten", sagte Felix laut und deutlich, als ich ein paar Tage später mit Jana auf dem Weg zur Mensa an ihm und seinen Freunden vorüberging. Er hatte es auf Esperanto gesagt, damit ich es auch ganz sicher mitbekam.

Jana wollte mich weiterziehen, doch ich konnte diese Provokation nicht ignorieren. Ich ging zu ihm hinüber und baute mich in meiner vollen Grundbesitzerinnen-Größe vor ihm auf. „Willst du mir irgendetwas sagen?"

Er funkelte mich wütend an. „Dies ist eine Universität für Grundlose. Deinesgleichen hat hier nichts zu suchen."

Da hatte er nicht so ganz unrecht, aber das würde ich niemals zugeben. „In der Satzung der Uni steht nichts davon, dass hier nur Grundlose studieren dürfen", konterte ich und bedankte mich in Gedanken bei Rektorin Lea für ihre Recherche.

„Ihr habt eure eigenen Elite-Universitäten! Ist euch denn das noch immer nicht genug?", schleuderte mir Felix entgegen und ballte die Fäuste.

Seine Freunde warfen mir beunruhigte Blicke zu und redeten leise auf ihn ein. Ich hatte den Eindruck, sie hatten Angst, dass ich ihm Schwierigkeiten bereiten würde, wenn er mich gegen sich aufbrachte.

Doch das hatte ich nicht vor. Mir war klar, dass es hier nicht wirklich um mich als Person ging. „Ich habe dir nichts getan, also lass die Wut auf deine Grundbesitzer gefälligst nicht an mir aus."

Er schrie: „Du hast dafür gesorgt, dass Marie rausgeworfen wurde! Egal wo ihr Grundbesitzer auftaucht, ihr macht uns Grundlosen das Leben schwer!" Dann machte er einen Schritt auf mich zu, wurde aber von seinen Freunden zurückgehalten, die weiter beruhigend auf ihn einredeten.

„Komm jetzt!", forderte mich Jana auf und zog mich wieder am Arm. Diesmal ließ ich mich von ihr fortziehen. Felix Haltung gegenüber Grundbesitzeral würde ich vielleicht nie ändern können und schon gar nicht mit einem Streit auf dem Gang.

„Nimm es ihm bitte nicht übel", flüsterte Jana, während wir weiter in Richtung Mensa gingen.

„Was hat er denn gegen Grundbesitzeral, dass er mich so angreift?", fragte ich.

Jana erzählte: „Ich habe gehört, dass seine Grundbesitzer-Familie es ihm nur erlaubt hat, Journalismus zu studieren, weil er zu einem geburtenstarken Jahrgang gehört. Die Grundbesitzer hatten genug andere junge Menschen, um die freien Ausbildungsstellen zu besetzen." Ich blieb überrascht stehen und sah Jana an. Sie fuhr fort: „Seine zwei älteren Brüder hätten auch gerne studiert, aber es wurde ihnen nicht erlaubt. Sie arbeiten jetzt als Buchhalter und Schreiner soweit ich weiß."

„Aber das ist doch gar nicht erlaubt? Eine Grundbesitzer-Familie darf das doch gar nicht bestimmen?"

Jana schnaubte. „Bei uns in der Gruppe reden wir nicht über unsere Grundbesitzer. Wir haben es alle ganz gut getroffen. Aber einige unserer Kommilitonen hatten echt Pech. Hast du eine Ahnung, was sich diese Möchtegern-Monarchen alles rausnehmen!"

Amüsiert registrierte ich, dass die graue Maus definitiv der Vergangenheit angehörte. Zu Studienbeginn hätte Jana niemals über Grundbesitzer hergezogen. Vermutlich hätte sie bei mir keinen Ton rausbekommen, wenn sie mein Geheimnis gekannt hätte. Doch hier ging es nicht um Janas Entwicklung. Hatte ich irgendwie nicht mitbekommen, warum manche Studierende eine gerechtfertigte Wut auf Grundbesitzeral hatten? Jetzt rächte es sich wohl, dass ich mich stets aus dem Staub gemacht hatte, wann immer die Sprache auf Grundbesitzeral gekommen war. Ich hatte Durst, Lernen oder einen Termin vorgeschoben, um nicht Gefahr zu laufen, mich durch einen unbedachten Kommentar oder Gesichtsausdruck zu verraten. „Aber es gibt doch Gesetze, an die sich alle halten müssen?"

„Als ob die Familie Petuchow sich immer an alle Gesetzte halten würde!", ätzte Jana.

Ich sah beschämt zu Boden. Meine Familie und ich waren sogar stolz darauf, dass wir durch unseren Einfluss und unser Vermögen über den Gesetzen standen. Ich hatte das nur nie von der anderen Seite aus betrachtet, der Seite der machtlosen Grundlosen.


Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now