März NE 225 - Kapitel 3

84 16 20
                                    

Es war ein herrlich sonniger Tag Ende März. Ich ließ es mir nicht nehmen, gleich nach der letzten Vorlesung in Shirt und kurzer Hose in den Park zu gehen. Einen Vorteil musste es ja haben, im Süden zu studieren! Als ich die Liegewiese erreichte, war sie bereits gut besucht.

Unbewusst hatte ich mal wieder nach Vasili gesucht und ihn auch bald entdeckt: er lag mit geschlossenen Augen in der Sonne und döste. Nur mit Shirt bekleidet war deutlich mehr zu erahnen und ich konnte seine muskulösen Arme begutachten. Ich legte mich neben ihn und schloss ebenfalls die Augen. Er brummte fragend.

„Hast du an meinen Abzug von der Fotografie gedacht?", fragte ich.

Er brummte genervt und setzte sich auf. Ich öffnete meine Augen wieder und setzte mich ebenfalls auf. Vasili wirkte irgendwie angepisst.

„Was ist los?", fragte ich, „Deine schlechte Laune liegt doch nicht an mir, oder?" Er brummte verneinend. „Rück raus mit der Sprache, Brummbär!", neckte ich ihn.

„Wir sollten Themen für nächste Fotografie-Projekt vorschlagen", sagte er leise und wechselte dann ins Russische, damit uns die anderen ringsum nicht verstehen konnten. „Ich wollte etwas Systemkritisches machen. Künstlerisch an die nicht vorhandene Gleichberechtigung zwischen Grundlosen und Grundbesitzern herangehen."

„Oh", sagte ich wenig geistreich und sah ihn verwundert an. Mit so einem tiefgreifenden Gesprächsthema hatte ich nicht gerechnet.

Er fuhr fort: „Es gibt Gerüchte, dass sich in Norddeutschland eine Widerstandsgruppe gebildet hat. Ich dachte, gerade in Deutschland wäre man da offener. Aber mein Vorschlag wurde abgelehnt! Zu heikel. Ich verstehe das nicht." Er hatte ein Gänseblümchen gepflückt und riss ihm wütend ein Blütenblatt nach dem anderen aus.

„Ich habe noch niemanden hier etwas Kritisches über die Gesellschaftsordnung sagen hören", antwortete ich, ebenfalls auf Russisch, „Das hat mich ehrlich gesagt schon gewundert. Alle scheinen zufrieden zu sein. Neue Ideen werden doch gerade unter Studenten eifrig diskutiert, oder nicht?"

Er nickte. „Das Totschlagargument ist immer Der Menschheit ging es nie so gut wie heute. Dabei wird völlig übersehen, dass es uns eigentlich noch besser gehen könnte, wenn die Grundbesitzer nicht so gierig wären und uns mehr vom Kuchen abgeben würden."

Ich berichtete ihm von meinem alten Schulaufsatz, in dem ich die Argumente der körperlichen Unterschiede, die von Wissenschaftlern zur Untermauerung der Gesellschaftsordnung genutzt wurden, kritisch hinterfragt hatte. Damals, mit 16, hatte ich vor allem meinen Vater provozieren wollen. Doch als ich nun Vasili nochmal davon berichtete wurde mir klar, dass es zwischen Grundlosen und Grundbesitzern bis auf den Reichtum tatsächlich keine Unterschiede gab. „Nach deinem Bericht frage ich mich, warum ich mit dieser Bewerbung überhaupt hier zugelassen wurde, wenn so eine Meinung hier nicht geäußert werden darf."

Er musterte mich kurz mit hochgezogenen Augenbrauen, dann richtete er seinen Blick wieder in die Ferne. „Das Problem sind nicht die Dozenten", erklärte er, „Ich habe von meinen Kommilitonen gesprochen. Wir sollten das Thema unter uns ausmachen und sie haben meines einstimmig abgelehnt." Er starrte grimmig geradeaus.

„Vielleicht könnt ihr mal ein Thema völlig frei wählen", versuchte ich ihn aufzumuntern.

Er seufzte. „Ich muss jetzt noch zum Esperanto-Kurs", sagte er, stand auf und machte sich auf den Weg zum Hörsaal.

Ich hatte mich gerade wieder auf die Wiese gelegt, als Mona und Lisa neben mir auftauchten und sich zu mir setzten.

„Du und Vasili also, oder wie?", fragte Mona und grinste breit.

„Ihr seid ja so süß zusammen", ergänzte Lisa und strahlte übers ganze Gesicht.

„Wie kommt ihr denn jetzt darauf?", fragte ich entgeistert, „Nur weil wir beide die einzigen Russen auf dem Campus sind, heißt das nicht, dass wir gleich heiraten müssen."

„Oh, und wie er das Gänseblümchen gepflückt hat", redete Mona einfach weiter und schlug sich übertrieben schmachtend an die Brust.

„Das habt ihr jetzt völlig aus dem Zusammenhang gerissen", versuchte ich sie zu überzeugen.

„Und dann hat er die Blütenblätter einzeln ausgezupft", schmachtete da nun auch Lisa.

Mona fragte: „Und? Kam sie liebt mich dabei raus?"

„Ihr spinnt doch!" Ich stöhnte gequält und schloss die Augen. Den beiden war das schöne Wetter wohl zu Kopfe gestiegen.

Journalistin der GrundlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt