September NE 226 - Kapitel 3

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Wenige Tage nach der Zusage der Nachrichtenagentur, meinen Artikel zu drucken, war es endlich soweit: ein Kurier hatte einen dicken Umschlag von Lorenz im Hotel für mich abgegeben. Ich setzte mich an den Esstisch unserer Suite und las alles Seite für Seite durch, während Vasili mir mit seinem Rechner gegenübersaß und seine neu fotografierten Bilder bearbeitete.

Meine Testergebnisse waren unbedenklich. Lorenz hatte mir bestätigt, dass ich kerngesund war und die Krebsvorsorge-Tabletten nicht angepasst werden mussten. Vasilis Testergebnisse waren wesentlich umfangreicher und ich studierte sie intensiv. Er war ebenfalls kerngesund und seine genetischen Risikofaktoren waren alle nichts Außergewöhnliches.

Seine Fruchtbarkeitswerte waren beneidenswert, was mir einen kleinen Stich versetzte. Dann stutzte ich. „Du hast eine Spermaprobe abgegeben?", fragte ich verwundert.

Er brummte zustimmend. „Für dich mache ich fast alles, aber ich würde es vorziehen, über diesen Teil der Untersuchung nicht zu sprechen", verkündete er, ohne vom Bildschirm aufzusehen.

„Der Test wird normalerweise bei Säuglingen gemacht. Da wird keine Fruchtbarkeit gemessen."

Nun hatte ich Vasilis volle Aufmerksamkeit. „Was genau denkt dieser Dr. Grüneburg, was du mit mir vorhast?"

Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. „Ich habe keine Ahnung, aber Lorenz hat uns außerdem zum Abendessen eingeladen."

Erstand auf und kam zu mir. Besorgt legte er mir die Hand auf die Schulter. „Der will wissen, wen du mit mir betrügst. Er will deinen nicht existenten Grundbesitzer-Freund kennen lernen. Oder er ist neugierig, wem du ein Kuckuckskind unterjubeln möchtest."

Ich reichte ihm den Zettel, der bei den Unterlagen im Umschlag dabei gelegen hatte. Auf ihm stand: Falls ich die Krebsvorsorge für Vasili bestellen soll, müssen wir das nicht in der Praxis besprechen. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam Essen gehen würden.

„Vielleicht will er uns ins Gesicht sagen, wie viel es kostet, dass er schweigt", sagte Vasili. Wir sahen uns angsterfüllt an.

Ich holte tief Luft. „Ob wir hingehen oder nicht wird nichts ändern. Die Frage ist nur, ob du die Krebsvorsorge möchtest?" Ich hatte ausführlich mit ihm darüber gesprochen und wir hatten ausgemacht, dass wir das entscheiden würden, sobald die Ergebnisse vorlagen.

„Nicht an Krebs zu sterben ist fast so attraktiv wie du", sagte er und schmunzelte, „Wer kann da schon nein sagen, wenn ihm so etwas angeboten wird?"

Wir hatten lange darüber diskutiert, was wäre, wenn wir uns trennen würden. Er wollte nicht, dass ich irgendwann das Gefühl haben würde, dass er nur wegen den Tabletten bei mir blieb. Eine gute Lösung hatten wir noch nicht gefunden, aber ich würde einfach erst mal jeden Monat seine Tablette kaufen.

„Dann sage ich also zu und wir hören uns an, was Lorenz zu sagen hat", beschloss ich, nahm mein Niki und schrieb eine Nachricht an Lorenz.

Schon am nächsten Abend trafen wir uns in einem Restaurant in der Innenstadt, das sich als Business-Lokal herausstellte. Als ich meinen Namen nannte, wurden wir in eines der Separees geführt, ein schalldichter Raum, der für Geschäftsessen gedacht war, bei denen man nicht belauscht werden wollte. Egal was Lorenz uns mitteilen wollte, es war nicht für fremde Ohren bestimmt. Das erhärtete meinen Verdacht der Erpressung und ich setzte mich mit einem unguten Gefühl an den Tisch.

Nachdem unsere Getränke gebracht worden waren, trat Lorenz ein. Er begrüßte mich wieder formell mit aneinander gelegten Handflächen, was ich erwiderte. Vasili hatte sich erhoben und sich gebührend verbeugt. Doch statt wie erwartet ihm schlicht zuzunicken reichte er ihm die Hand. Lorenz war in Begleitung einer hübschen, blonden Grundlosen, die neben dem hoch aufgeschossenen Lorenz nahezu winzig wirkte. Er stellte sie uns als Bea vor, die als Kinderärztin in seinem Ärztehaus arbeitete. Sie verbeugte sich leicht vor mir, während ich ihr freundlich zunickte. Dann reichte sie Vasili die Hand.

Ich fragte mich, was Bea hier zu suchen hatte und sobald sie und Lorenz ebenfalls Getränke bestellt hatten, fragte ich Lorenz: „Nur weil der Test eigentlich bereits beim Säugling gemacht wird muss doch nicht gleich eine Kinderärztin anwesend sein?"

„Oh, ich bin heute nicht als Ärztin hier", sagte Bea und lächelte mich fröhlich an. Ich war irritiert, dass sie antwortete, obwohl ich sie nicht angesprochen hatte.

„Offiziell schon, damit ich das Essen als Geschäftsessen absetzen kann", sagte Lorenz und lächelte. Ich war kein bisschen schlauer. Hatte Lorenz sie etwa aus steuerlichen Gründen mitgenommen?

Ein Gong ertönte und kurz darauf wurde die Tür geöffnet und weitere Getränke gebracht. Lorenz bestellte mehrere Gerichte für uns und erklärte, dass diese für alle in die Mitte gestellt würden und jeder konnte sich von allem etwas nehmen. Diese kleinen Buffets waren gerade angesagt und ich freute mich, dass dadurch beide Grundlosen ohne viel Aufhebens das gleiche essen konnte wie Grundbesitzer.

„Es ist also beschlossene Sache. Vasili soll ab sofort jeden Monat eine Krebsvorsorge-Tablette einnehmen", sagte Lorenz, „Ich werde die Daten für die Rezeptur bei seinen Gesundheits-Daten hinterlegen. So könnte er theoretisch in jeder Apotheke weltweit die passenden Tabletten bestellen. Das würde aber mit Sicherheit komische Fragen aufwerfen. Ich schicke ihm gerne Neue zu, wenn die Packung leer ist."

Ich nickte bestätigend. Damit hatten wir ja eigentlich schon alles geklärt, weswegen wir uns getroffen hatten. Beklommen wartete ich darauf, was nun als nächstes kam.

Lorenz fuhr fort: „Für einen Grundlosen hat noch nie jemand den kompletten Test bei mir angefragt. Selbst für einen Bettgespielen wird meist nur der Comfort-Test gewählt." Mir wurde der Mund trocken und ich trank einen Schluck, doch ich bemühte mich weiterhin um ein Pokerface. „Keiner ist bereit, die 20 Teuro im Monat auszugeben", sagte Lorenz.

Ich hörte, wie Vasili neben mir scharf die Luft einsog. „Ich habe ihm nicht gesagt, wie teuer das ist", sagte ich. Lorenz sah mich entschuldigend an. Aber es war nicht mehr zu ändern. Vasili würde mir nun Vorhaltungen machen, dass das zu teuer war. Ich fixierte Lorenz. „Worauf willst du hinaus?". Egal was es war, ich wollte es nun einfach hinter mich bringen.

„Wenn du nervös bist, flüchtest du dich immer in sachliche Vorträge. Lass mich das machen", sagte da Bea mit sanfter Stimme und berührte mit ihrer Hand leicht Lorenz Schulter. Diese Geste war so außergewöhnlich, dass ich mich dazu zwingen musste, den Blick davon zu lösen. Hat sie Lorenz etwa gerade geduzt?

Bea lächelte mich an und sagte: „Was Lorenz eigentlich sagen möchte ist, dass wir hoffen, ein Paar gefunden zu haben, das in der gleichen Situation ist wie wir. Das trotz der großen Unterschiede eine Partnerschaft auf Augenhöhe führt."

Journalistin der GrundlosenWhere stories live. Discover now