BeimAbendessen, das sie im Garten einnahmen, saßen sie schweigendnebeneinander und Alexandra mied seinen Blick. Der einzige Grund,warum sie immer näher an ihn heran rutschte war Greg, der von deranderen Seite immer näher an sie heran rutschte. Die Blicke, mitdenen er sie bedachte, erinnerten Alexandra an den Betrunkenen ausder Bar und verursachten ihr Unbehagen, obwohl sie wusste, dass Gregihr nichts tun würde. Er war nur ein harmloser junger Mann, der aufeinen Flirt aus war und sich von ihren Abweisungen nicht beeindruckenließ. Als er an ihr vorbei zum Salat griff und dabei ihre Wangestreifte, zuckte Alexandra zurück und stieß dabei an ChristiansSchulter. Zum ersten Mal seit Beginn der Mahlzeit sah er sie an. Siekonnte seinen Blick nicht deuten. War das Kummer? Schmerz? Sie spürteeinen seltsamen Stich in ihrer Magengegend. ,,Alles in Ordnung?",fragte er leise. Alexandra öffnete den Mund, brachte jedoch keinWort über die Lippen. Schließlich nickte sie nur und rückte wiederein Stück von ihm ab. Sie war heilfroh, dass niemand die Spannungzwischen ihnen zu bemerken schien. Nur am Rande bekamen sie mit, wiedie anderen die Pläne für den kommenden Tag besprachen, wie IreneChristian von der anderen Seite des Tisches her anschmachtete, wieKate und Ashton miteinander flirteten wie frisch Verliebte und wieGrace in ihre Richtung sah und den Mund bewegte. Die Worte kamen erstSekunden später bei Alexandra an. ,,Entschuldige, Grace, ich habeSie leider nicht verstanden." ,,Geht es Ihnen gut, Alexandra?",wiederholte Grace. ,,Sie wirken so abwesend." Alexandra zwang sichzu einem Lächeln. ,,Mir geht's gut. Es ist nur ... es war einanstrengender Tag." Grace lächelte mitfühlend. ,,Das kann ichverstehen."

Nachdem Essen half Alexandra Grace und Kate beim Abräumen. Als siewieder nach draußen ging, schwebten ihr Gitarrenklänge entgegen. Zuihrer Überraschung war Christian es, der die Gitarre spielte und dieanderen saßen in einem Kreis um ihn herum und lauschten ihm.Christian schlug ein paar Takte an, die Alexandra als die erstenAkkorde von CountryRoads erkannte unddann begann Christian zu ihrem Erstaunen zu singen. ,,Almost heaven..." Alexandra lehnte sich an das Geländer der Veranda, schlossdie Augen und lauschte. Christians Stimme wie das dunkle, sanfteSchnurren eines Löwen, eine sanfte, laue Brise, die mit ihrem Haarspielte, in der Luft der Geruch von Sommer und dem Zwitschern derSchwalben und Nachtigallen. Mit einem letzten gesungenen CountryRoads verklangChristians Gesang und Alexandra öffnete fast schon wehmütig dieAugen. Christian sah sie an, mit klaren, tiefen, reinen Augen, indenen keine Spur von Spott oder Hohn lag, sondern ein Ausdruck, derso sehr schmerzte, als hätte man ihr ein Messer ins Herz gerammt.Alexandra schnappte nach Luft, so stark zerrte der Schmerz an ihr,ihr ganzer Unterleib verkrampfte sich. Verwirrt, wütend über sichselbst und auf unerklärliche Weise zutiefst betroffen und traurig,stürzte sie davon. Sie rannte über den Rasen, immer weiter undweiter, bis ihre Seiten brannten und sie stehen bleiben musste, umnach Luft zu schnappen. Ganz in der Nähe stand eine riesige bunteZielscheibe, an einem Beistelltischchen lehnte ein Köcher mitPfeilen und der Bogen, mit dem Timothy am Nachmittag geschossenhatte. Aus einem inneren Impuls griff Alexandra nach dem Bogen. Inihr rangen die Gefühle miteinander. Sie war wütend. So wütend. Aufsich selbst. Weil sie nicht wusste, was auf einmal mit ihr los war,warum sie sich so seltsam verhielt. Sie war verwirrt. Verwirrt überdie Gefühle, die auf einmal in ihr aufstiegen, in Christians Nähein ihr aufstiegen. Er war ihr Feind? Oder nicht? Sie hatte ihngehasst, abgrundtief. Aber tat sie das immer noch? WOLLTE sie dasüberhaupt noch? Warum brachte er sie so aus dem Konzept, verwirrtesie so sehr? Woher kam diese unerklärliche Traurigkeit undSehnsucht? Sie hatte doch alles, was man sich nur wünschen konnte.Einen festen Job. Erfolg. Bekanntheit. Reichtum. Sie sollte wunschlosglücklich sein. Warum war sie es nicht? Nicht mehr, so wurde ihrklar, nicht mehr, seit sie hier war. Etwas hatte sich verändert undobwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, machte diese Veränderungihre Angst. Sie wusste nicht, ob sie gut oder schlecht war, wie siedamit umgehen sollte, was sie tun sollte. Mit einem lauten,frustrierten Seufzen ließ Alexandra den Pfeil von der Sehneschnellen. Er bohrte sich weit von der Zielscheibe entfernt ins Gras.Genau wie die anderen, die sie unwissentlich und unwillkürlich schonverschossen hatte. Seufzend lief sie los, um die Pfeile wiedereinzusammeln. Sie nahm einen, legte ihn an, zog die Sehne zurück,entschlossen sich dieses Mal besser zu konzentrieren und die ganzenlästigen Gedanken auszublenden. ,,Warte!" Beim Klang vonChristians Stimme zuckte sie heftig zusammen. Langsam ließ sie denBogen sinken und drehte den Kopf, obwohl sie das Gefühl hatte, eswäre keine gute Idee. Sie bereute es fast sofort. Er hatte dasfeuchte Hemd, das er aus reiner Höflichkeit während des Essenswieder übergezogen hatte, wieder ausgezogen und sein Anblick trugnicht gerade dazu bei, dass sie mit ihren Gedanken und Gefühlen insReine kam. ,,Jetzt sag nicht, du bist einer von diesen lästigenTypen, die nicht nur gut aussehen, sondern auch noch alles können."Er lachte leise. ,,Das hast du jetzt gesagt. Aber Bogenschießen kannich tatsächlich. Ich habe mal für einen authentischen Artikel dreiMonate lang unter Lakota gelebt." ,,Wie schön, wenn du so indeinem Job aufgehst", witzelte Alexandra, doch als er noch näherkam, verging ihr das Lachen ganz schnell wieder und ihr Herzschlagbeschleunigte sich. ,,Ich könnte dir zeigen, wie es richtig. DerRasen hat schon genug gelitten." ,,Von mir aus", murmelteAlexandra und bemühte sich verzweifelt seine Körperwärmeauszublenden, als er so dicht hinter sie trat, dass sie sich nur einpaar Zentimeter zurückbeugen müsste, um an seiner Brust zu lehnen.Als er nach ihrer linken Hand griff und sie mit seinen Fingernumschloss, versteifte sie sich. ,,Entspann dich", murmelte er sodicht an ihrem Ohr, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Hautspürte. ,,Und vergiss nicht zu atmen." ,,Klappe, Don Juan",murmelte Alexandra. Fest und zärtlich zugleich umschloss seine Handdie ihre und sie erinnerte sich, wie er ihre Hand beim Flugzeugstartam Morgen gehalten hatte. Kaum zu glauben, dass das nur ein paarStunden her war. Es kam ihr vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen.,,Atme mal tief durch und entspann dich", raunte er. ,,Du bisttotal verspannt." ,,Ich bin die Ruhe in Person", fauchteAlexandra. ,,Natürlich." Sein leises, tiefes Lachen klang wie eindunkles, grollendes Schnurren. Trotzdem schloss Alexandra die Augenund versuchte sich zu entspannen. ,,Lachst du etwa über mich?",,Das würde ich nie tun." Sie konnte nicht erkennen, ob dasironisch oder ernst gemeint war. ,,Arm und Schulter weiter runter.Benutz' deinen Mund als Stütze." Als er sich streckte, um ihreandere Hand zu erreichen, wurde Alexandras Rücken gegen seine feste,warme Brust gepresst. Ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle und einbittersüßer Schmerz durchzuckte ihren Unterleib. Als Christianseine Hand über die ihre legte und die Sehne zurückzog, streiftenseine Finger ihre Lippen. Ein elektrisierender Schauer durchfuhrAlexandra und sie bekam eine Gänsehaut. Ihr ganzer Rücken war derLänge nach an Christian geschmiegt. Sie spürte die kräftigen,geschmeidigen Muskeln durch den dünnen Stoff ihrer Bluse, spürte,wie seine Brust sich rhythmisch hob und senkte, die Wärme seinerHaut. Überall dort, wo er sie berührte, schien sie in Flammen zustehen. Und sie hatte nicht die geringste Lust sich wieder von ihm zulösen. ,,Ich wusste, ich hätte es eh nicht geschafft", murmelteer an ihrem Haar. ,,Was nicht geschafft?", murmelte Alexandra kaumhörbar. Sie kämpfte mit aller Macht gegen den Drang an, ihren Kopfgegen die Brust jenes Mannes zu lehnen, den sie eigentlichverabscheuen sollte, und einfach nur die Augen zu schließen. Statteiner Antwort zog er die Sehne noch weiter zurück, dann ließen sieden Pfeil los. Zitternd und bebend blieb er direkt im Schwarzenstecken. ,,Oh!", entfuhr es Alexandra seltsam ergriffen. ,,Und? Wiehat sich das angefühlt?" Seine Stimme dicht an ihrem Ohr, seinwarmer Atem auf ihrem Hals rissen sie prompt aus ihrer Euphorie undin die verwirrende Wirklichkeit zurück. ,,Das war sehr ... das warsehr schön." Ihre Stimme bebte leicht. Als sie mit einer rechtenHand nach dem Bogen griff, bemerkte sie, dass noch immer seine Fingerüber linken Hand lagen. Sie atmete zittrig ein. Bleib wodu bist!, keifte ihrekleine innereGöttin. Wehe, dugehst weg! Doch da hatteAlexandra sich auch schon losgemacht und war ein paar Schrittezurückgewichen. Ihre kleine innere Göttin trat ihr mit voller Wuchtmental gegen das Schienbein und begann Zeter und Mordio zu kreischen.Die Verwirrung und der ... Schmerz?, die für einen Sekundenbruchteilin Christians Augen aufblitzten, versetzten Alexandra einen scharfenStich. ,,Was tust du hier? Ich ... ich wollte alleine sein." IhreStimme klang schroffer, als sie beabsichtigt hatte. ,,Ich ... ähm."Christian schüttelte den Kopf. ,,Du wirktest so aufgelöst undwütend und ich wollte nur sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist und..." ,,Mir geht es gut", unterbrach Alexandra ihn scharf. ,,Ichbin mein Leben lang gut alleine zurecht gekommen und ich brauchejetzt niemanden, der mich beschützt. Schon gar nicht meinen Pseudo-Verlobten." Jetzt gelang es Christian nicht länger Verwirrung undSchmerz zu verbergen. Ihn so tief betroffen zu sehen riss tief inAlexandra etwas in zwei, aber ehe sie es sich anders überlegenkonnte, sprach sie weiter. ,,Ich tue das hier nicht, weil es mir Spaßmacht, sondern weil es mein Job ist." Der Kummer darüber ihn soerschüttert zu sehen schlug in Wut um. Warum tat er das? Er konntesie schließlich auch nicht leiden! Ihm ging es nur ums Geld, ihr umsGeschäft. Sie waren beide hier, weil sie aufeinander angewiesenwaren, mehr nicht. Warum spielte er jetzt den besorgten,mitfühlenden, verletzten Verlobten? Wollte er sie verwirren? Undwarum verdammt, war es ihr nicht völlig egal, dass ihre Worte ihnverletzten. Es SOLLTE ihr egal sein. Mit dem Gefühl sie würdegleich explodieren, drehte Alexandra sich um und stürzte davon.


Lovers like to tease each otherOù les histoires vivent. Découvrez maintenant