Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 101

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  Sheppard kaut nervös auf seiner Zunge. Entweder ist seine Lippe an der Reihe oder seine Zunge, wenn der deutlich nervös ist, unsicher oder Gefühle verbergen will. Er hasste Krankenhäuser, Kliniken und Ärzte. Er ist zwar selbst ein unsterblicher Vampir, ein Urvater, allmächtig und vielwissend, aber diese Leute in weißen Mänteln und ihrem Studium der Medizin habe selbst ihm einen Schauer über den Rücken gejagt. Ihm waren viele menschliche Ängste abhanden gekommen im Laufe der Jahrhunderte, aber gewisse Dinge ändern sich nie. Er könnte es sich nicht vorstellen, krank zu werden und drei Wochen in sterilen weiß eines Krankenhauses zu liegen und auf die erhoffte Heilung sowie die Erlösung der Langeweile zu warten. Wenn man Glück hat, dann ist der Zimmergenosse halbwegs brauchbar und weißt keine psychischen Erkrankungen oder markante Geruchsmerkmale auf. Sechs Monate ist es nun schon her. Vor Sechs Monaten hatten Davis Machenschaften sein Ende gefunden. Die Schüsse aus Carmillas Waffe hatte nicht nur ein Leben zerstört, auch nicht zwei oder drei. Sondern viel mehr, als Sheppard anfänglich vermutet hatte.
Den Weg kennt er mittlerweile. Oft war er hier, zu oft. Aber er hielt es für nötig. Es war das mindeste, was er tun konnte. Seine Gedanken gelten Elisabeth Bathory, welche glücklich mit Cloe ihren Club leitet. Das unsterbliche Lieben der beiden beneidet er mehr als. Was hatte er nicht alles aufgegeben, um es auch anderen zu ermöglichen? Gerade Anna, Sophias Schwester, warf ihm heute noch vor, der schlechsteste Vater der Welt zu sein und ein absolut grausamer Schuldirektor, ein Mann ohne Herz. Seine eigene Tochter verkauft, nur um einen Mann zu stürzen und die Welt in Frieden zu bringen. Sheppard argumentierte dann damit, dass es immer Opfer gäbe, welche die Welt voranbringen, aber davon wollte die junge Jefferson nichts hören. Die Polizei unter Jeffrey Jefferson stellte den Fall nach der Fahndung von Elisabeth Bathory und ihrer Tochter ein, nachdem ein paar Bestechungsgelder geflossen waren. Viel ist geschehen, sehr viel. Melissa war oft mit Samantha unterwegs und auch sie teilen ein unsterbliches Schicksal. Anna selbst vergnügte sich ab und an mit Carmilla, wobei sich diese beiden auf die Jagd abtrünniger, bösartiger Vampire spezialisiert haben. Wohl pflegen die beiden eher eine Freunschaft-Plus Beziehung. "Oder was auch immer", murmelt er vor sich her. Elisabeth und Cloe leiteten den Club weiterhin und liebten und lachten.
Und was tut er selbst? Er ist ein attraktiver Mann und selbst sein eigenartiger Bart wirkte anziehend. Doch hatte er nie mehr geliebt. Für Elisabeth hatte er damals alles getan, auch wenn er wusste, dass diese Frau ihn nie lieben würde. Sein ganzes Leben hat er auf die Vernichtung von Davis gerichtet. Nun ist er am Ende seiner Reise angelangt und hat Nichts. Lilith, die Schwester Fina's war irgendwo verschwunden. Vermutlich beobachtete sie alles und jeden, aber sie hat sich seitdem nie wieder blicken lassen. "Kann ich etwas für sie tun?" Eine Dame spricht Sheppard an, aber sogleich lächelt diese. "Sie sind es nur, Herr Sheppard. Wo es entlanggeht, wissen sie ja, oder?" Er nickt nur knapp, schenkt ihr aber kein lächeln. Er hatte versagt. Jeder ließ ihn allein. Er arbeitete eng mit Samira zusammen, welche sich aber kurz nach dem Tod von Davis freiwillig das Leben nahm. Selbst sie hatte ihn allein gelassen. Niemand redete mit ihm oder suchte Kontakt mit ihm. Er ist Direktor einer mächtigen Schule, die absolute Elite des Landes. Er hat Geld, sehr viel Geld, ein riesiges Anwesen und ist unsterblich. Und doch ist er allein wie nie zuvor. Es nagt an ihm und er kann sehr gut verstehen, weshalb vor vielen tausenden Jahren sich einst einer der Urväter das Leben nahm. Vampire konnten eiskalt werden, aber wenn sie sich zu sehr den Gefühlen hingaben, wurden sie menschlich. Die Welt dahinscheiden zu sehen, während man selbst von Strahlung, Krankheiten und dem unvermeindlichen Tod verschont bleibt, kann einem den Verstand brechen. Die Hände hatte er nachdenklich in den Seitentaschen seines Anzugs vergraben, während er auf seiner Zunge kauend langsam auf jene Tür zugeht, welche sein Ziel ist. Er hatte diese Art der Besuche. Nicht, weil er keine Lust hatte, aber die Fehler all seiner Taten werden ihm hier immer wieder aufgezeigt. Er starrt die Tür an, als würde er sie zum ersten Mal sehen und hätte Angst, hindurchzuschreiten. Dennoch löst er die rechte Hand von seiner Seitentasche, um an die Tür mehrmals zu klopfen. Zögerlich öffnet er sie dann, um einzutreten. Und wieder würde er sich mit den langen Fehlern seiner Vergangenheit konfrontiert sehen. Wieder und wieder. Vielleicht ist dies eine gute Möglichkeit zu büßen für seine Taten, wenn er dann an so etwas glauben würde. Die Wahrheit ist jedoch, dass er sich selbst nie verzeihen kann.

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