Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 85

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Anna wird aus ihrem Schlaf gerissen, als jemand ungeduldig an ihrer Tür klopft. „Was ist denn? Kann ich mal ausschlafen bitte?" Genervt schaltet sie ein Licht ein und öffnet die Tür zu ihrem privaten Zimmer, welches ihr zur Verfügung gestellt wurde.
„Ja? Was ist?" Genervt blickt sie in das Gesicht. „Oh, Schwesterchen. Hat das nicht bis morgen Zeit? Ich bin verdammt müde. Oder gibt es etwas, dass dich so sehr beschäftigt?"
Sophia schaut sie an. Ihr Gesicht ist weiß, bleich, genau wie ihr gesamter Körper. Sie steht nur in Unterwäsche da und schaut Anna mit schief gelegtem Kopf an.
„S...Sophia? Ist alles in Ordnung?" Auf diese Frage lächelt ihre Schwester breit. Spitze, weiße Eckzähne haben die zwei leeren Plätze besetzt.
Sie sieht königlich aus. Ihre Schwester war vorher schon schön, aber jetzt sieht sie noch hübsch aus, was Anna allerdings nicht so gefällt.
Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihre Schwester an, die mit ihrer Hand über Annas Hals streichelt.
Sie ist wie hypnotisiert, außer Stande, sich zu bewegen. Ihr Körper schreit danach, wegzurennen, aber sie ist dazu nicht in der Lage. Etwas hält sie hier fest.
„Alles gut, Schwesterchen", flüstert sie ihr zu. Ihre Stimme hat sich verändert. Ein Verlangen liegt darin, welches besänftigt werden muss. Hunger. Durst. Anna schließt ihre Augen vor Angst.
So hat Sophia also überlebt. Es kann nur Fina gewesen sein, die sie nicht hatte gehen lassen wollen. Verübeln kann sie es ihr nicht, sie hätte sicher gleich gehandelt.
„Bitte tu mir nicht weh", bringt sie schwach hervor. Sie ist ängstlich. Würde ihre Schwester sie töten? Aus Hunger und Durst, die ihren Verstand beherrschen?
Sie hört, wie ihre Schwester den Mund öffnet, ihre Zähne bleckt und sich ihrem Hals nähert.
Es schmerzt sie etwas und sie hält die Augen geschlossen. Das ist im Moment nicht ihre Schwester. Sie ist wie Fina, als sie wochenlang ihren Durst verdrängte. Sie wird von dem Willen zu überleben gesteuert. Blut rennt aus auf ihrem Hals. Anna fühlt ganz deutlich, wie ihre Schwester es aufleckt, es genießt, darunter aufstöhnt. Trotz, dass Sophia sich freut, hat Anna Angst. Das ist im Moment nicht ihre Schwester. Hoffentlich würde sie nicht sterben.
Plötzlich lässt Sophia los. Etwas knurrt und faucht wild.
Erschrocken stellt sie fest, dass Carmilla und Fina ordentlich Schwierigkeiten haben, ihre Schwester festzuhalten, aber es gelingt ihnen.
„In den Keller. Sie muss von ihrem ersten Rausch herunterkommen. Ach Anna, keine Angst, die Ader hat sie verfehlt, aber du wirst einige Zeit damit herumrennen... Halt doch mal still Sophia. Gott Fina, dein Blut ist ja furchtbar. Man, hat die eine Kraft." Carmilla versucht diese Situation aufzulockern und zu verdecken, dass solch eine Kraft bei neugeborenen Vampiren so gut wie unmöglich ist.
Sie beide sind mehrere Jahrhunderte alt und haben Schwierigkeiten, sie festzuhalten und Sophia ist gerade mal ein paar Minuten in der neuen Welt erwacht.
Ihre Schwester ist nicht wiederzuerkennen. Sie faucht, knurrt und schaut Anna mit hilflosem Blick an. Sie läuft auf Sophia zu, um ihr Handgelenk für sie zu geben. „Anna, schau ihr nicht in die Augen verdammt. Schau mich an!" Fina schreit sie an, was zu der erzielten Wirkung führt.
Anna hat keine Ahnung, warum sie gerade ernsthaft ihren Arm ihr geben wollte. Klar, es ist ihre Schwester, aber ist das nicht ein bisschen gefährlich, wenn sie in Rage ist? Eine Art Zauber oder ähnliches muss auf ihr gelegen haben, sie schaut Sophia nicht mehr an, aus Angst, in den Bann zu fallen, welchem sie gerade unterlag.
Das ist nicht ihre Schwester, wiederholt sie immer wieder im Kopf, um sich zu beruhigen.
„James, wach gefälligst auf!" Sie schreit durch das halbe Haus, was die Aufmerksamkeit aller Gäste erregt. „Geht rein. Später", faucht Carmilla sie an. Niemand wagt es, ihr nachzugeben.
Die beiden alten Vampire schleifen sie irgendwie die Treppe hinunter. Sophia wehrt sich immer noch, in ihren Augen funkelt der Blutrausch. „Sie wünschen?" James öffnet zum perfekten Zeitpunkt die Kellertür. „Mach Platz." Er tritt zur Seite, ungeachtet der schnippischen Art seiner Herrin. James erkennt die nächsten Schritte. „Ms. Jefferson benötigt also Blut." Er eilt den beiden in den Keller, holt aus dem Schrank zwei Blutspenden und gibt sie Fina in die Hand. Diese packt schnell zu und hält den ersten vor Sophias Nase, die gierig den halben Liter ihrer Freundin aus der Hand reißt und hastig das Blut in sich schüttet.
„James? Wir lassen die beiden mal allein. Komm." Carmilla weiß, dass die beiden jetzt eine kleine Zeit benötigen. Sie würde aber nicht weit rennen, manche Abkömmlinge drehen nach solch einer Aktion völlig frei, im Gegensatz zu gerade eben. „Wie Sie wünschen." James lässt das Licht an, schließt hinter sich aber die Kellertür.
Sophia scheint kurz zu überlegen oder zu verdauen. Oder doch beides zur selben Zeit.
Der eine Beutel reichte also schon aus. Ihr Mund ist voller Blut und auch ihr Körper ist nicht verschont geblieben. Sie hat so gierig getrunken, dass einige Mengen einfach daneben geflossen sind. Irgendwie findet Fina den Anblick ihrer blutverschmierten Freundin ziemlich attraktiv.
„Ich verstehe. So also hast du mich gerettet Fina."
Sie schaut einfach nur an die Wand, als habe sie immer noch nicht verarbeitet, was eigentlich gerade passiert ist. „Ich hatte keine andere...Ich habe dir keine gelassen. Es war die einzige Möglichkeit, dich zu retten, dich bei mir bei deinen Freundinnen zu behalten. Ich konnte dich nicht gehen lassen, stattdessen habe ich dich in etwas verwandelt, dass du gar nicht sein willst. Ein blutsaugendes, unsterbliches Wesen, dass seine liebsten sterben sehen wird, weil es die Zeit überdauert. Immer und immer wieder. Ich habe dir das Recht des Alterns genommen, das Recht, frei zu leben. Ich kann es nicht wieder gut machen, ich bereue es nicht, dich gerettet zu haben. Ich bereue es aber, dir deine Menschlichkeit genommen zu haben. Es tut mir so unendlich leid, aber ich liebe dich so sehr, dass ich dich nicht habe loslassen können." Sophia hört die Tränen auf den Boden aufkommen, sie hört Finas Herz, welches traurig schlägt und vor Schmerz heult. Ihre Gedanken sind durcheinander. Sie hat Angst. Angst, Sophia etwas getan zu haben, was sie gar nicht wollte. Der Sterblichkeit beraubt, der Freiheit, zu sterben und menschlich zu sein.
„Fina?" Mit tränenbefeuchtetem Gesicht schaut sie Sophia an, die sich zu ihr gewandt hat. „Danke. Danke das du mir mein Leben geschenkt hast. Ohne dich wäre ich tot, getrennt von Mama, Papa, Anna, meinen Freunden. Getrennt von dir. Ich hatte nicht daran gedacht, so zu werden wie ich jetzt bin, aber von allen Möglichkeiten, die dir offenstanden, war dies wohl die allerbeste Entscheidung. Danke, meine süße Fina." Sie beugt sich vor und küsst Fina, die ziemlich überrascht wirkt.
Entrüstet schaut Fina sie an. „Du...du bist mir nicht böse?" Das Lächeln, was sie erhält, bedeutet mehr, als hunderte Worte sagen könnten. Ihre Zähne leuchten weiß und ein gewisses Kribbeln in Fina entsteht. Sie hatte zwar ihre Sterblichkeit verloren, hat aber dafür an Schönheit und Bezauberung um ein Vielfaches zugelegt. „Warum sollte ich böse sein? Dafür, dass du mich gerettet hast? Oder das ich jetzt Blut trinken muss und meine Schwester verletzt habe, nur um meinen Durst zu stillen? Zugegeben, dass mit meiner Schwester fand ich nicht sehr lustig, auch wenn es, wenn es... appetitlich war, aber verdammt, es ist meine Schwester. Das hätte ich nicht tun dürfen. Aber kannst du etwas dafür? Dafür, dass der Durst größer war, der innere Überlebenswille, dem du auch vor kurzem beinah erlagst? Ich kann dir nicht böse sein, schließlich hast du mir mein Leben geschenkt. Wer auf dieser Welt bekommt schon so eine zweite Chance?" Nachdem sie geendet hat, sammelt sie mit ihrem Finger noch Blut, dass nicht eingetrocknet ist, um es dann davon abzulecken.
„Sag mal Fina", fragt sie dann neugierig. „Angenommen ich würde dein Blut trinken, stillt es dann meinen Durst?"
Fina lächelt etwas traurig, immer noch die Nachwirkungen ihrer Tat. „Nun ja, eher weniger. Was aber nicht heißt, dass die Wirkung ausbleibt. Je nachdem, was man für diese Person empfindet, bringt einen das Blut ebenjener Person mehr in eine Art Ekstase."
Sophia kann sich gut daran erinnern, was passiert war, als Fina ihr Blut getrunken hatte. Sie verwandelte sich in eine Raubkatze, die es kaum erwarten konnte, sich auf sie zu stürzen. Was auch immer Blut unter liebenden Seelenverwandten für Vampire bedeutet, es muss wie eine Art Rausch sein, in welchem man ziemlich willig ist.
„Alles klar. Verstehe." Sophia lächelt breit. Das würde sie wohl eines Tages testen, aber nicht heute und nicht morgen. Dafür gab es viel Neues herauszufinden, vieles zu entdecken.
„Ich muss zu Anna. Ich muss zu ihr." Fina nickt ihr zu. „Geh. Ich räume kurz auf und warte später auf dich."

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