Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 20

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So steht sie nun da. Allein. Mit Fina. Entweder setzt ihr Herz gerade aus oder es rast. Sie kann sich darauf gerade nicht konzentrieren. Sie geht langsam auf sie zu, einen Fuß vor den anderen setzend, in einer sehr weiblichen Gangart. Schritt für Schritt, die Füße immer eng zusammen, aber sie überkreuzen sich nicht. Ihre Hüfte schwingt mit jedem Schritt des jeweilig bewegenden Fußes. Sophia schluckt unbewusst schwer. Ungefähr vier Schritte entfernt von ihr bleibt sie stehen. „Die meisten rennen vor mir aus Angst weg, weil ich anders bin. Furchterregend, fies, gemein, unnatürlich und brutal. Du hast sicher Angst und kannst dich deshalb nicht bewegen, oder?" Der forschende Blick von ihr lässt Sophia wahnsinnig werden. Sie würde sich am liebsten in... Sie blockt die Gedanken an dieser Stelle wieder ab.
„Ich...Also..." Sophia stottert mehrmals, während die bleiche Frau ihr gegenüber stehend eine Augenbraue nach oben zieht. „Ich höre", grummelt sie böse.
Sophia sollte Angst verspüren, Furcht, aber nichts dergleichen fühlt sie. Auch wenn diese Situation unbehaglich für sie ist, wünscht sie sich, dass sie Stunden hier verbringen könnte. Sie steht nur ein paar Schritte entfernt, nur so wenige. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass du das schreckliche Monster bist, als welches du dich hier wundervoll präsentierst." Etwas verwirrt, wird ihr nach einigen Sekunden klar, dass sie Fina etwas entgegengeworfen hat, ohne zu stottern.
„Und was soll ich dann sein? Hast du mich die letzten Tage nicht genug beobachtet? Ich erdrücke sämtlichen Wiederstand mit Gewalt, ich rede mit keinem, weil ihr sowieso belanglose Individuen seid und du willst etwas anderes behaupten? Mach dich nicht noch lächerlicher, als du ohnehin schon bist."
„Du machst dich gerade ziemlich lächerlich. Warum sollte sich jemand so viel Mühe geben, von jedem gehasst zu werden? Warum schottest du dich ab? Willst du etwa ewig so weiterleben und eines Tages einsam und verlassen auf deinem Bett liegen und sterben, ohne erfahren zu haben was Freundschaft oder Liebe bedeutet?" Sophia ist von sich selbst erstaunt. Woher nimmt sie nur die Kraft, so mit Fina zu reden, wo sie doch immer so weich und nutzlos in ihrer Nähe wird? Es erschrickt und erstaunt sie zugleich. Allerdings erhoffte sie sich eine andere Wirkung auf Fina, als diese. In einem Augenblick tritt Fina vor sie -Das Herz von Miss Jefferson könnte vor Freude explodieren- und blickt ihr Herausfordernd in die Augen. „Wie war das? Sag sowas noch einmal zu mir und du wirst so quieken wie der Bengel von vorhin."
Diese Drohung verdaut sie nur schwer. Aber sie würde ihr es erneut sagen. Dafür ist sie ihr viel zu...wichtig?
„Ich sagte, ich möchte nicht, dass du einsam und verlassen stirbst. Ich weiß zwar nicht, warum du so grob mit den Leuten umgehst, aber du wirst sicher deine Gründe dafür haben, oder?" Sie fasst zwar den Mut ihre Meinung mitzuteilen, allerdings sicher nicht so laut und selbstbewusst, wie sie es sich gern vorgestellt hätte.
Fina verbleibt eine Weile in ihrer Haltung, sodass Sophia annehmen muss, dass sie entweder angeschrien wird oder ein paar Knochenbrüche bekommt. Aber es ist ihr egal. Solange sie nur...Solange sie was kann? In ihrer Nähe sein? Warum fühlt springt ihr Herz in die Höhe, warum zittert sie? Warum nur? Warum? Und die noch größere Frage: Warum ist sie in der Lage, ernste Sätze zu bilden in ihrer Nähe, wo sie doch beinah jedes Mal ohnmächtig wird? Die Antwort liegt vor ihrer Nase, teilt ihr Bauchgefühl ihr mit. Es liegt ihr auf der Zunge, aber sie will einfach nicht darauf kommen.
„Du bist anders als die anderen. Das ist mir schon am ersten Tag aufgefallen. In deinen hübschen Augen steht die Neugier und Freundlichkeit ziemlich fett geschrieben, genauso wie bei deiner Schwester. Ich muss dir meinen Namen ja nicht verraten, oder Sophia?
Fina überwindet zeitgleich mit der gleichen Gangart, die Sophia schon den Kopf verdreht hat, die letzten Schritte.
Beinahe Fuß an Fuß stehen sie sich gegenüber.
Ihr Herz hämmert heftig gegen ihre Brust, ihr Bauch kribbelt und sie kaut auf ihrer Lippe. Finas Gesicht nähert sich ihr langsam, während Sophia das Gefühl hat, gleich zu sterben vor Freude. Einen winzigen Augenblick später spürt sie die weichen Lippen von Fina auf ihrer Wange. Wie angewurzelt steht Sophia da, außerstande, sich zu bewegen oder irgendetwas zu tun, außer ihre Augen zu schließen, um diesen Moment noch intensiver zu genießen.
In diesen wenigen Sekunden träumt sie von einer glücklichen Zukunft. Eine Zukunft, in der sie mit ihrer Schwester und Fina zusammenlebt. Eine Zukunft, die sie Seite an Seite mit Fina beschreiten kann.
Ja, endlich hat sie ihre Antwort gefunden. Die Antwort auf ihr Herzklopfen, auf ihre Sehnsucht nach etwas, dass nicht da ist. Sie liegt in der Frau, die sich zu Sophias Leid wieder von der Wange löst, was sie aber gar nicht so mitbekommt.
„Du kannst deine Augen wieder aufmachen Sophia," flüstert ihr die nun warme, sanfte Stimme zu, die all ihre Härte und Abneigung verloren hat. Die Stimme eines Engels, die Stimme einer Göttin.

Sophia öffnet rasch die Augen und läuft leicht rot an. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in ihr aus.
Die eben von ihr ernannte göttliche Stimme lacht nur leise und genüsslich auf und schreitet an Sophia vorbei. Ihre Handfläche gleitet dabei an Sophias Hüfte entlang. Sie hatte schon viele Jungendlieben, aber noch nie hatte eine Berührung einen derartigen Eindruck hinterlassen. Die Hand ist schon ein paar Sekunden fort, aber immer noch spürt sie die Berührung, als würde diese noch immer andauern. So etwas intensives hat Sophia noch nie erlebt. Sämtliche ihrer Nervenbahnen kribbeln und explodieren vor lauter Ekstase.
„Schwimm ruhig ein paar Bahnen. Ich würde dir gern Zuschauen, wenn du es erlaubst." Fina hockt auf beiden Knien, die Beine eng aneinander gepresst. Sie sieht wie ein kleines Schulmädchen aus, dass auf ein großes Ereignis wartet. „Ähm ja, ist okay schätze ich." Ihrer bitte kommt Sophia umgehend nach, immer noch verwirrt und gefesselt von den Gefühlen, die sie gerade erlebt hat und die noch in ihr toben, wie ein rasender Wirbelsturm, immer größer werdend auf der Suche nach seiner Bestimmung. Nur sind ihre Gefühle nicht die Zerstörung, sondern die der Zuneigung und Zärtlichkeit.
Die der Liebe.
Sie lässt sich ganz normal in das Wasser gleiten, ehe sie ihre Bahnen zieht. Bei jeder Runde schaut sie ihre Beobachterin an, ob sie den wirklich zusieht oder gelangweilt durch die Gegend schaut. Nach der fünften oder sechsten Bahn stellt sie mehr als zufrieden fest, dass sie sehr genau im Auge behalten wird. Sehr genau.
Zu gerne würde sie wissen, was sich hinter den Augen der Frau abspielt, aber sie schaut ihr nur neugierig beim Schwimmen zu.
Nach eine Weile klettert Sophia schwer atmend heraus.
„So, jetzt du," fordert sie Fina schwer atmend auf. Ihr würden sicher morgen wieder ihre Beine schmerzen. So angestrengt hatte sie sich nur beim Sprinten. „Wenn es dein Wunsch ist gehorche ich natürlich ganz brav." Im vorbeigehen treffen sich wieder ihre Blicke. Selbst als Fina schon die nächsten Schritte nach vorn ging, ihr Kopf und ihre Augen kleben noch immer an ihr. Was würde sie nicht für einen Kuss geben? Sie würde alles tun, alles. Sie würde dafür sogar sterben wollen. Mit angewinkelten Beinen tauscht sie den Platz mit der nun Schwimmenden Fina, die ihre Haare ausnahmsweise zu einem Zopf gebunden hat.
Das Wasser scheint ihr Element zu sein, genau wie bei Anna. Sie schwimmt nicht so schnell wie vorhin, als sie den jungen Mann trotz Vorsprung geschlagen hat. Sie schwimmt ganz gemütlich, als würde sie nichts drängeln, als hätte sie alle Zeit der Welt.
Sie kann sich anscheinend auch Zeit lassen, wenn sie will. Bisher nahm Sophia an, dass Fina zwar eine harte Schale und einen extrem weichen Kern hat, aber ihre Fähigkeiten immer benutze, um besser dazustehen, als jeder andere. Dem ist also nicht so. Das beruhigt sie zwar, es ist jedoch nicht gerade einfacher, herauszufinden, wer sie ist.
Während sie so über sie nachgrübelt und gedankenversunken ihr immer noch nachschaut, steigt die Person, die den Platz in ihrem Kopf und Herzen übernommen hat, aus dem Becken. Sophia bleibt das Herz stehen. Die Farbkombination ihrer blassen Haut, ihrer roten Haare gemischt mit ihrem schwarzen Badebikini verschlug ihr schon die Sprache. Die Wassertropen, die ihren Körper herunterfließen tragen nicht gerade dazu bei, dass sich Sophia irgendwie zusammenreißen kann. Ein paar Tropfen sammeln sich in ihrem Bauchnabel und fließen dann als Einheit ihr Bein hinab, bevor sie auf dem Fuß zu stehen kommen. „Und? Glücklich?" Den Kopf leicht schief gelegt, schaut sie Sophia fragend an, die immer noch auf dem Boden hockt. Aus ihrer Frage ist nicht eine Emotion ablesbar. Sie könnte es als normale Frage gemeint haben oder als unterschwelligen Flirt. Entweder stellt ich Fina verflucht doof oder sie hat keine Ahnung, was in Sophia vorgeht. Die letzte Möglichkeit wäre, dass sie ein kleines Spiel spielt, aus dem sie nicht schlau werden könnte.
„Ja, du hast dir diesmal Zeit gelassen und bist nicht wie eine Profischwimmerin durchgeschwommen."
Da lächelt die rothaarige auf einmal. „Nun, ich wollte schließlich, dass du eine gute Show zu sehen bekommst. Anscheinend bist du ja zufrieden, also passt das schonmal."
Diese Frau treibt sie noch in den Wahnsinn, wenn sie so weitermacht. „So, ich bekomm langsam Hunger. Ich werde mal nach Hause gehen? Bleibst du noch hier oder ziehst du dich mit um?"

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