Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 11

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Cloe grinst breit mit ihrem von Sommersprossen besetzen Gesicht. Sie verliehen ihr schon immer eine gewisse Eleganz, auch wenn sie davon nie etwas haben wollte. Ihr Haar färbt sie stets grün und das würde sich wohl nie ändern in ihrem Leben. Einzig ihre leicht schiefe Nase, die durch einen Unfall auf der Straße entstand, bezeugt, dass sie auch nicht perfekt ist. Bei diesem Unfall verlor sie leider ihre Eltern. Sie erholte sich von diesem Schock, lebt in einer eigenen Wohnung und widmet ihr Leben animierten Serien und ihrer leidenschaftlichen Arbeit im bekannten Stadtclub Moonlight.
Sie schaut Melissa in ihre eisblauen Augen. Dadurch sieht sie immer aus, wie eine Frau, die niemanden an sich heran lässt. Ihre hellbraunen Haare mit schwarzen Strähnen unterstreichen den Effekt deutlich. Wer sie aber kennt, weiß, dass sie in Wahrheit eine ruhige Seele ist. Beinah zu ruhig, wie einige es einschätzen.
Sie hat im Gegensatz zu Cloe einen Freund. Jedoch geht sie den nächsten Schritt in der Beziehung nicht und belässt es bei zarten Küssen. Warum, weiß auch so wirklich niemand.
Cloe unterbricht die wahnsinnige Unterhaltung mit Melissa, um sich Sophia zuzuwenden. Sie sah umwerfend aus in ihrem schwarzen, knielangen Kleid. Wie eine Göttin, eine Königin. „Siehst aber gut aus heute." Die Worte zaubern Sophia ein schüchternes Lächeln auf ihr Gesicht. Sie muss sich wohl erst an den Geschmack ihrer Schwester gewöhnen. Aber sie passt dort perfekt hinein, als wäre dieses Kleid nur für sie geschneidert.
Sophia wirft einen unglücklichen Blick auf Fina und einen verwirrten zugleich. Nach ein paar Sekunden fühlt diese den Blick auf sich. Mit dem üblichen Blick schaut sie Sophia an. Der gleiche gelangweilte, desinteressierte Blick. Nichts. Hat sie das alles nur geträumt?
Sophia würde sie gerne Fragen, aber sie kann nicht. Sie kann sich einfach nicht bewegen. Ihre Blicke treffen sich wieder. Verflucht, was würde sie dafür geben diese Augen... Sie denkt den Gedanken nicht weiter. Völlig verrückt und undenkbar. Fina schaut nach ihrem Gedankengang wieder auf ihr Blatt und zeichnet mit dem Bleistift eine Figur.
„Hallo allerliebste Lieblingsklasse. Wollt ihr euch noch ein wenig unterhalten? Ich setze süßen Tee auf und serviere ich euch gern meine frisch gebackenen Himbeerkekse. Geh mir gefälligst aus dem Weg!" Die gefürchtete Stimme erkennt sie sofort. Stille herrscht plötzlich im Raum. Wo gerade noch sich unterhalten wurde und gelacht wurde, dominiert nun bedrückende Stille, die nicht einmal ein Politiker mit Megafon zerschneiden könnte. Es scheint, als kontrolliere Sheppard diese Stille. Sophia setzt sich eilig auf ihren Platz und schaut brav nach vorn. Ist ja wie in der Grundschule hier...
„So ihr Weichbirnen. Ich habe euch was zu sagen." Er betritt das Zimmer, wie immer seine Hände in der Anzugsjacke vergraben. Seine Haltung ist locker, entspannt, aber jeder weiß, dass dies täuscht. Er sieht sich um, ob jemand fehlt. „Wo ist derjenige, der ständig besoffen ist?", fragt er.
„Der fehlt heute. Er hat mir vorhin geschrieben, Herr Direktor." Direktor Sheppard beachtet ihn nicht weiter. „Na, ich brauch den sowieso nicht. Also: Wie ihr wisst, ist diese Einrichtung ein Test der Regierung. Wir nähern uns der Finalphase und je nachdem wie alles verläuft, wird dieses System in den Staaten übernommen. Jeden Moment werden einige meiner Angestellten den Hof umräumen und ihn bis morgen zehn Uhr in einen Platz für sportliche Wettkämpfe verwandeln, wo ihr selbstverständlich als letzter Jahrgang euer Können unter Beweis stellt. Um uns als die Elite zu beweisen, werdet ihr gegen andere Schulen, Vereine und weiß der Geier was antreten. Also Leute, die das täglich und einige sogar höchst professionell ausführen!" Getuschel entsteht, aus einigen Seiten hagelt es Unverständnis. Wie soll man den Vollprofis schlagen? Hier sitzen kluge Köpfe, auch verdammt gute Sportler, aber ganze Vereine schlagen? Ein Ding der Unmöglichkeit.
„Haltet eure verdammte Klappe. Ich wähle ja natürlich einige aus." Sheppard hat eine besondere Art, einige Schüler aufzurufen. Er gibt ihnen Spitznamen, die ab und an sehr beleidigend werden. Er ruft einige Schüler auf und trägt sie auf die Liste ein, ohne sie zu fragen. Einige nennt er beim Namen, andere mit Spitznamen wie Föhni, Breitmaulfrosch oder Farbeimer. „Wenn ihr morgen solche chemische Scheiße in euer Gesicht haut, fliegt ihr aus dem zweiten Stock achtundzwanzigmal, ist das klar?" Er macht eine kurze Pause. „Anna! Wie konnte ich dich vergessen, du emotionslose Goth. Und deine Schwester nehmen wir auch mit dazu. Ich bin doch kein Unmensch und trenne die Familie." Scheiße. Warum muss sie da ausgerechnet mitmachen? Es mag zwar sein, dass sie die schnellste an dieser Schule ist und ein paar Überraschungen auf Lager hat, aber sobald es um Volleyball, Geräteturnen geht, ist sie komplett nutzlos. Es würde morgen die Hölle werden. Sophia flucht im Kopf fleißig. Schlimmer kann es wohl nicht mehr werden. Sie sieht Gespenster und dann auch noch der Quatsch. Sport! Ein Albtraum.
„Hey strengt euch an, ich werde morgen auch einige Disziplinen gegen diese Möchtegern-Trainer bestreiten! So, wenn habe ich vergessen..." Er lässt seinen Blick durch die Klasse schweifen, die immer noch so schweigsam ist, als er den Raum betrat. „Fina! Willkommen. Schön dich mit an Bord zu wissen, Lieblingsschülerin, die den restlichen hier mal zeigt was es heißt, ein Eliteschüler zu sein!" Erwartungsgerecht schaut sie gelangweilt auf. Sophia fällt heute sehr intensiv auf, dass Fina einen unheimlich erschöpft wirkt, zumindest rein äußerlich. Von ihrer alten Energie hat sie aber irgendwie trotzdem kaum etwas verloren. Oder irrt sie sich etwa?
Der Direktor grinst sie mit einem breiten Lächeln an. Er lässt sich nicht demotivieren, nur weil seine neue Lieblingsschülerin ein müdes Gesicht zieht. In seinem Kopf kreisen jedoch andere Gedanken. Er würde gern erfahren, wer diese Person ist, was sie ausmacht, warum sie überhaupt hier ist. Aber all seine Versuche schlagen fehl, etwas über sie herauszufinden, als diese desinteressierte Haltung. Denn das ist nur eine Fassade, aber was steckt hinter dieser Betonwand? Ein weiches Herz oder ein kaltes?

Sheppard grummelt etwas Unverständliches, als ein Schüler namens "Fetti" (ein kluger Junge, aber nach Sheppards Meinung verbringt dieser Kerl zu viel Zeit in Fastfood Restaurants) seine Gedanken unterbricht. Larson ist sein Name, ein älterer Name, wie er immer behauptet, ein nordischer Name. Er war tatsächlich etwas kräftig und seine Haare sind oft fettig. Er trägt häufig dieselbe Kleidung. Aber er ist ein verdammtes technisches Genie, dass muss selbst Sheppard zugeben. Sophia zuckt bei solch diskriminierenden Spitznamen immer zusammen. Ihrer war zwar nicht Fetti, dafür aber Weichkäse. Allerdings ist sie für Sheppard so uninteressantes, dass ihr Vergleich mit einem Lebensmittel oft von ihm vergessen wird, sehr zu ihrer Freude.
„Warum nimmt die den bitte teil? Damit die Männer was zu kucken haben oder was?" Aus irgendeiner Ecke kam der Kommentar, der sogleich in Gelächter mit ein paar anderen verfällt. Der Direktor fällt nach kurzer Zeit mit in das Lachen ein und mit ihm ein Großteil der vor ihm Anwesenden.
Sophia schrumpft in sich zusammen und läuft rot an. Wie peinlich und verstört wird ihre Woche dennoch werden? Schlimm genug, dass sie Halluzinationen hat, muss sie auch morgen noch die Schaulustige für alle sein. Warum kann sie nicht einfach normale Proportionen wie alle anderen haben? Ob es Fina in der Hinsicht genauso ergeht, wie ihr? Ständig angestarrt zu werden in der Öffentlichkeit? Sie hasst es und wünscht sich manchmal, woanders zu sein, als auf dieser Welt.
Sheppard hört mit einem Mal auf zu lachen, aber niemand scheint das zu registrieren. Zumindest bis Sheppard anfängt zu schreien. „WAS GIBT ES HIER ZU LACHEN? HALTET GEFÄLLIGST DIE SCHNAUZE!"
Totenstille. Selbst die Vögel wagen es nicht, ihr Lied zu zwitschern.
„Ihr haltet euch wohl für komisch, was? Weichkäse rennt zwar immer heulend zu dieser Goth-Emo-was-weiß-ich-Tussi, aber die rennt wenigstens schneller als ihr! Also haltet gefälligst eure Klappe, habt ihr das Verstanden!?"
Keiner wagt es aufzumucken und gegen Sheppards Befehl zu handeln. Er wendet sich ruhig und mit übertrieben freundlicher Stimme an Sophia, die verwirrt da sitzt. Hatte sich Sheppard gerade für sie eingesetzt? Aber er macht ihre Hoffnung gleich wieder zunichte.
„Glaub ja nicht, dass ich mich für dich hier einsetze. Wenn ich mal deine Fehler so aufzähle, dann steh ich morgen Nachmittag noch hier und so viel Zeit vergeude ich ungern an dich oder andere, naja, Fina mal ausgenommen." Einige murmeln genervt, andere drehen sich zu ihr, werfen ihr böse Blicke zu, aber sie beachtet die Leute gar nicht. Sie widmet sich wieder ihrer Zeichnung. Der leitende Direktor mit seinem stoppeligen Bart scheint seinen gewünschten Effekt erzielt zu haben. „Na dann ihr Flachzangen: Wer morgen krank ist, bekommt von mir PERSÖNLICH eine Gratis Einlieferung ins Krankenhaus mit mehrfachen Knochenbrüchen oder Wurmbefall..." Im gefällt diese Verrückte Idee noch besser, als er in die blöd dreinschauenden Gesichter sieht. Wie sie ihn anschauen. Sheppard ist angewidert von den meisten. Nur wenige schätzt er, auch wenn diese es niemals zu spüren bekommen würden. „Nun denn, fahren wir mit unseren heutigen Lektionen fort. Wir haben eine Menge vor uns."

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