Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 89

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Eine Stunde vor Cluberöffnung. Die Beifahrertür des schwarzen Sportwagens öffnet sich. Cloes Haare sind mehr als durcheinander, ihre Beine zittern noch immer, selbst wenn sie steht. Cloe hatte gerade die teuflischste Fahrt hinter sich, die sie je erlebt hat. Das passiert also, wenn ein Vampir Blut trinkt, von einer Person, die sie besonders Leiden kann. Eliza beschrieb es als unglaublich, besser als alles, was man sich vorstellen kann. Eine Art dauerhaft starker Erregungszustand, eine Art wilde Raserei. Eliza beschrieb es als andauernder Höhepunkt, nur fühlt es sich dennoch anders an. Nur so könne es Cloe ansatzweise verstehen, obwohl sie trotzdem komplett verwirrt ist und nicht wirklich versteht, was sie meint. „Aber ich fühlte, was sie meinte...au." Das Gehen fällt ihr aktuell etwas schwerer. „Ich muss mir unbedingt nochmal die Haare vorher kämmen. Hast du einen Kamm da?"
Eliza lächelt. Sie hat wieder ihre gewohnte Ruhe wiedergefunden, sie ist ganz normal. „Hättest du mich nicht warnen können? Ich meine, dass war jetzt schon ein wenig...".
„Aufregend?"
„Nennen wir es aufregend, ja." Das war in der Tat, spektakulär, atemberaubend, aber auch eine ziemliche Anstrengung. „Gemeinsam gehen sie in ihr Büro, wo sie ihre Frisur etwas in Ordnung bringt und sich dann an ihre Arbeit macht. Eliza sah sie den ganzen Abend nicht. Fast.

Die laute Nacht neigt sich gegen vier dem Ende zu, Cloe schenkt ihre letzten Getränke aus. Sie tanzte nebenbei, wenn es ihr möglich war und erfüllte ihre Aufgaben wie immer mit viel Freude, Elan und Energie.
Eliza kam als letzte Kundin, die Tanzfläche ist noch von einem dutzend Leute besetzt, die noch nicht müde sind. Selbst in der Woche finden sich hier zahlreiche Gäste ein.
„Was kann ich dir bringen Eliza", fragt sie lieblich. „Nichts. Aber ich habe Lust, dir etwas zu geben." Ihre Arme sind schon die ganze Zeit hinter dem Rücken verschränkt, aber sie befriedigt schnell Cloes Neugierde. Ein Glas. Getränkt mit roter Flüssigkeit. „Das ist doch kein Wein Eliza. Also, was ist das?"
„Du bist doch nicht dumm Cloe. Ich biete dir etwas an, was ich jemandem vor sehr, sehr langer Zeit das letzte Mal angeboten habe."
Die Barkeeperin schaut das Glas an. „Das ist also deins?"
„Natürlich."
„Und ich soll...?"
„Es steht dir frei zu tun, was du möchtest. Ich weiß nur, dass ich mich in dir nicht täusche, dass du etwas ganz besonders bist Cloe. Das erste Mal seit, nun, sagen wir, mehr als zwei Jahrtausende? Ich hatte viele Affären, ich liebte auch, aber du? Ich kann nicht erklären, was du mir bedeutest. Du bist seit dieser langen Zeit die allererste, für die ich sterben würde. Ich biete dir dieses Blut nur an, wenn du bereit bist, mit mir zusammen die Ewigkeit zu verbringen. Du tauschst deine Menschlichkeit gegen eine blutsaugende Persönlichkeit, deren Sinne sich stärken. Dafür verlierst du dein Menschsein. Gefühle bleiben erhalten, beinah alles, nur dein Menschsein verlierst du. Ich kann es nicht beschreiben, aber du bist kein Mensch mehr. Das Recht auf Kinder ist dir genommen, das Recht auf sterben, dass Recht, Mensch zu sein. Überlege also gut, die Wahl ist irreversibel. Nichts kann dich wieder zurückbringen. Nie wieder."
Cloe denkt scharf nach. Unsterblichkeit ist ein Fluch. Ewig verdammt, am leben zu sein, ihre liebsten Sterben zu sehen, jedes Mal aufs Neue. Die Belohnung wäre allerdings, ewig mit Eliza zusammen zu sein, zusammen durch die Schatten zu schreiten, bis das Ende dieser Welt eingeläutet wird. „Ewige Liebe, aber ewige Unsterblichkeit. Ein ganz schön großer Preis." Cloe überlegt fieberhaft. Frei Sterben oder ewig an Blut gebunden? Nie mehr altern oder sterben dürfen?
Sollte sie aus dem natürlichen Lebenskreislauf ausbrechen? Sollte sie wirklich diesen Weg einschlagen? Das Glas steht vor ihr. Sie brauch nur zuzugreifen. Alles Leben würde enden. Ihre Existenz würde zu Staub werden, sie würde nur in Gedanken weiterleben, ihr Grabstein würde auf einem Friedhof stehen. Sie würde nichts werden, Eliza würde immer an sie denken, aber wer würde sich an sie erinnern? Die Clubbesitzerin, in ewiger Trauer versunken, den Tod bejammernd von ihrer geliebten Cloe, der sie einst die Unsterblichkeit anbot?
Sie wägt ab. Ihr scharfer Verstand brennt gerade vor Gedanken. Eine Entscheidung, die ihr Leben maßgeblich beeinflussen wird. Leben, Tod, Unsterblichkeit?
Sie greift nach dem Glas und studiert es. Zahlreiche Rosen und Verzierungen sind eingraviert, während die rote Flüssigkeit darin ruht. Ein Glas mit dieser wenigen Menge an Flüssigkeit war also in der Lage, sie zu einem neuen Wesen zu verwandeln.
Sie blickt Eliza an, welche Geduldig wartet und sie in keiner Weise drängt, sich zu entscheiden.
Aber Cloe will sich entscheiden. Wofür? Was würde sie am meisten bereuen?
Sie hatte Angst, sich genauso elendig zu fühlen wie Sophia, die sich über einen ganzen Tag quälte.
„Nur keine Furcht. Es wird schnell gehen. Ich bin uralt, sicherlich viel älter als deine junge Freundin. Es wird nicht angenehm, aber es wird in ein paar Minuten vorüber sein, ehe man das Bewusstsein verliert. Schau nicht so doof, ich kann schließlich Gedanken lesen."
Damit hatte sich auch diese Frage geklärt, woher sie das wusste.
Ihr Schicksal hielt sie gerade in der Hand. Ihre Freunde wurden nach und nach zu Vampiren und so wie sie das Verhalten dieser Wesen studiert hat, war es nur eine Frage der Zeit, bis Samantha und Anna diesen Weg einschlugen oder zum Opfer fielen.
Sie würde allein sein, sterben und ihre Freunde um sie trauern, aber die Trauer würde vergehen. Sie hat keine Familie, nur ihre Freunde, die allesamt unsterblich sein würden. Das war nur eine Frage der Zeit.
Sie führt das Glas langsam an ihre Lippen, und schluckt dieses eklige, metallische Gesöff hinunter.
„Du hast dich also entschieden." Eliza verzieht keine Miene. „Ich werde hier warten."
Cloe wippt eine Weile noch mit der Musik mit, ehe sie sich nach wenigen Minuten an der Theke abstützt. Etwas versucht, sie zu verändern im tiefen inneren. Schmerz durchdringt sie, qualvoller Schmerz. Schwer atmet sie, ihr Zahnfleisch fühlt sich an, als würde ein spitzer Dolch versuchen, durch ihr Fleisch zu dringen. Vor Schmerzen sackt sie auf dem Boden zusammen. Sie krümmt sich zusammen, während sie gequälte Laute hervorbringt.
Im Augenblick wünscht sie sich gerade nur die Erlösung von den unglaublichen Schmerzen. Sie friert. Ihr ist so kalt, dass sie das Gefühl hat, ein Klumpen Eis zu werden.
Eliza springt über die Theke und landet lautlos neben ihr. „Ich bin da Cloe. Ich geleite dich auf dem Weg." Sie nimmt als Unterstützung Cloes Hand, die sich verzweifelt und heulend daran klammert, bevor sie das Bewusstsein verliert. Sie glaubt nicht, dass sie je wieder aufwacht.

Doch sie erwacht wieder. Zuhause, bei Eliza, die neben ihr hockt und ihren Kopf streichelt.
Sie schaut sich verwirrt um, als erwache sie aus einem langen Traum und müsse sich im Leben wieder zurande finden. Sie steht auf. Sie hat unheimlichen Durst.
„Neben dem Bett steht eine Flasche. Bediene dich ruhig."
Cloe wartet nicht lange, sondern nimmt gierig die Flasche und schüttet sie in ihren Rachen, ohne sich zu bedanken.
Eliza hatte lange keinen Abkömmling mehr gesehen. Sie hatte beinah vergessen, wie schön es war, bei Neugeborenen zuzusehen, wie sie ihre ersten Schritte mit ihrer neuen Existenz gehen.
Cloe lässt anschließend die Flasche fallen, zum Glück zerbricht diese nicht, aber sie hinterlässt ein paar rote Blutflecken auf dem Boden.
Sie dreht sich in Elizas Richtung, mit einem blutigen Lächeln im Gesicht. „Willkommen in deiner neuen Welt Cloe."

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