Kapitel 4: Schatten der Vergangheit

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Lou's POV:
Ich konnte und wollte nicht fassen, was er da gerade gesagt hat. ,,Was soll das?", zischte ich, ich schrie nicht, aber so klang meine Stimme irgendwie bedrohlicher. Er wusste genau, dass das eins meiner größten Fehler war, den ich je gemacht hatte. Wut überkam mich, auf ihn, auf mich, dass ich die Vergangenheit einfach nicht vergessen konnte.
Vor zwei Jahren gab es eine Schießerei an einer Fabrik, die in der Nähe eines Parks lag. Ich war auch da gewesen, damals hieß es schießen oder du stirbst. Einer der anderen Gang hatte mich frech angegrinst, ich konnte mich immer noch an sein schmutziges Lachen erinnern, dann war er gerannt, durch den Park, wo ein kleines Mädchen friedlich geschaukelt hatte. Ich hatte keine Wahl gehabt, ich musste abdrücken, doch leider hatte ich die falsche Person getroffen. Seitdem lag sie im Koma. Angeklagt wurde ich nie, denn niemand wusste wer damals geschossen hatte.
Letztes Jahr hab ich sie heimlich im Krankenhaus besucht, denn ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren einem kleinen Mädchen vielleicht für immer die Chance auf ein erfülltes Leben genommen zu haben.
Bei diesem Besuch hatte ich mir geschworen all das zu vergessen und nie wieder da hin zu kommen. Und jetzt? Jetzt machte mir mein eigener Bruder ein Strich durch die Rechnung. Hass erfüllt schaute ich ihn an, er schaute genauso kalt zurück. ,, Du schuldest ihr das!", sagte er. ,, Ich schulde niemandem was!", zischte ich zurück. Damit machte ich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Büro. Die Treppen sprang ich fast runter, Tränen rannten mir über meine rote Wangen, es waren Wuttränen. Was fiel ihm ein, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen hatte.
Im Auto drehte ich die Musik auf ganz laut und bretterte mich Vollgas durch Brooklyn nach Hause, rote Ampeln interessierten mich nicht. Ich fuhr durch verlassene Straßen, hier konnte ich das Gaspedal durchdrücken. Je weiter der Tacho sich nach rechts schob, desto besser fühlte ich mich. Vor meinem Haus machte ich eine Vollbremsung, die mich wieder in die Realität zurückholte.
Ich öffnete per Tap auf meinem Handy das Garagentor und fuhr hinein. Dann fuhr ich mit dem Fahrstuhl in den zwölften Stock. Als ich in der Wohnung war, warf ich mich sofort aufs Bette, zog die Decke über den Kopf und wartete darauf einzuschlafen.
Am nächsten morgen wachte ich erst um 14:00 auf, ich hatte Schlaf nachzuholen, aber das erste, was mir in den Kopf kam,waren die Worte:,, Du schuldest ihr das."
Ich stand auf und stellte mit Schrecken fest, dass ich noch meine Klamotten von gestern anhatte. Erstmal duschte ich und probierte mit jedem Wassertropfen mehr vom gestrigen Abend zu vergessen. Ich hatte keine Lust mich groß zu stylen, also zog mir nur ein weißes T-Shirt und ein blauen Pulli an, der über meinem Schreibtischstuhl hang. Dazu eine einfache schwarze Skinnyjeans. Meine Haare ließ ich offen, für Schminken hatte ich heute keine Lust. Ohne Kaffee oder Frühstück verließ ich die Wohnung, setzte mich in den Wagen und fuhr los, ich wusste nicht mal warum, aber meine Hände lenkten nicht zu meiner Arbeit, sondern steuerten auf einen anderen bekannte Ort zu: das Krankenhaus!
Am Empfang stellte ich mich als Amber McRyan vor, die ihre kleine Schwester besuchen wollte. Ich wurde nach einem Ausweis gefragt, ich tat schockiert, als ich ,,merkte" das ich meinem Ausweis gar nicht dabei hatte. Die Frau drückte netterweise beide Augen zu und nannte mir eine Zimmernummer und ein Stockwerk. Während ich zum Aufzug lief, überkam mich ein mulmiges Gefühl, war das, was ich hier machte überhaupt das Richtige? Egal, jetzt gab es kein zurück mehr, ich glaube, ich wollte es einfach mir selber beweisen, dass ich stärker war als meine Angst und dass ich meiner Vergangenheit in die Augen blicken konnte. Am genannten Zimmer angekommen, checkte ich erstmal den Namen, doch es passte. Da stand schwarz auf weiß: Anna McRyan. Ich lauschte an der Tür um sicher zu gehen, dass niemand sonst im Raum war, außer Anna. Als ich mir sicher war, drückte ich die Klinke hinunter, da lag sie also, das blonde Haar auf dem Kissen verteilt, die Augen und den Mund geschlossen, die Haut bleich. Irgendwie sah sie schlafend aus, na gut, das war sie ja auch auf eine Art, aber sie sah friedlich aus.
Ich zögerte kurz, aber dann nahm ich ihre kleine, zarte Hand in meine und schüttet ihr mein ganzes Herz aus, irgendwie kam es mir komisch vor mit jemanden zu sprechen, der im Koma liegt, aber es hätte auch etwas beruhigendes zu wissen, das sie einem einfach nur zu hörte und man sich nicht noch tausend Ratschläge anhören musste. So saß ich da nun, hielt die Hand meines vermeintlichen Opfers und schüttet einer 9 Jährigen mein ganzes Herz aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit verließ ich das Zimmer und schloss die Tür. Kaum zu glauben, aber ich hatte drei Stunden bei ihr verbracht. Mittlerweile dämmerte es bereits. Ich machte mich auf den Weg nach Hause, es war befreiend gewesen sie zu sehen, aber irgendwie wurde die Wut auf mich, mein Leben und meine Familie stärker. Wie konnte man als Vater seine eigenen Kinder in so eine Scheiße reinziehen? Wenn unser Clan hochgenommen würde, würden wir alle in Bau wandern. Ich machte Halt bei einer Tanke und kaufte mir ein Sechserpack Bier. Damit fuhr ich in den Park, wo ich Anna zu ersten mal gesehen hatte. Ich stieg aus und lief zu der Schaukel. Langsam schaukelte ich hin und her und öffnete meine erste Flasche Bier. Je mehr ich schaukelte, desto mehr ließ mein Schmerz über meinen Vater, der sich nie für mich interessiert hatte nach. Irgendwann hörte ich einen lauten Schrei. Einfach nur einen Schrei, ich zuckte zusammen bis ich begriff, dass ich diejenige gewesen war, die geschrien hatte.
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Mo's POV:
Mein Tag war scheiße gelaufen, mein Vater hatte mich geschlagen, weil ich den Deal mit einem Lieferanten verkackt hatte. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben zurück geschlagen. Er hatte mich nur angeschaut und gesagt:,, Du bist genau, wie ich Mo. Mein Sohn!" Irgendwie hatte er stolz geklungen, aber ich konnte die Worte nicht als Kompliment nehmen. Ich wollte nicht sein, wie er. Er war ein Monster, gefühlskalt und skrupellos. Ich hatte nur eine schöne Erinnerung an ihn, damals war es mein fünfter Geburtstag gewesen, wir hatten beim Spielplatz in der Nähe der alten Fabrik gespielt. Irgendwie zog es mich da jetzt wieder hin, ich wunderte mich kurz über den schwarzen Lamborghini, der am Eingang des Parks stand. Mit schnellen Schritten durchquerte ich den Park, auf der Suche nach der Schaukel, wo ich damals drauf gesessen hatte. Zu meiner Überraschung saß da schon jemand. Ich war noch mehr überrascht als ich sah, wer da saß. Niemand geringeres als Lou Rylers in meinem Pulli. ,, Darf ich mich setzten?", fragte ich vorsichtig. Doch sie hatte mich bereits bemerkt und deutete auf die Schaukel neben ihr. Zuerst hatte sie etwas verunsichert geschaut, doch jetzt lachte sie:,, Man sieht sich immer zweimal oder?" Ich nickte und griff nach einer Flasche Bier. Mit der Zeit tauten wir beide auf, sie erzählte mir von ihrem Tag, von einem Mädchen im Krankenhaus und ihrem Vater. Irgendwie herrschte zwischen uns ein Vertrauen, wie bei alten Freunden. Dann begann ich von meinem Tag zu erzählen, von meinem Vater und seinen Worten, ich achtet darauf, dass ich nicht zu viele Informationen preisgab.
Wie wir da saßen, ihr Kopf auf meiner Schulter, war es doch vielleicht nicht mehr der schlechteste Tag. Es begann zu regnen, doch das war mir egal. Irgendwann zauberte Lou einen Joint aus ihrer Tasche und zündete ihn an.Erst zog sie daran, dann gab sie ihn mit. Ja, ich glaube sie ist ein Mädchen mit dem man Pferde stehlen konnte. Jetzt kifften wir im Regen, lachten, weinten und schwiegen zusammen, sie war das erste und hoffentlich das einzige Mädchen, das mich je hatte weinen sehen. Wir verstanden uns auch ohne Worte.
Ich kann nicht genau sagen wann, aber wir fingen an uns zu küssen und langsam auszuziehen. Sie sah toll aus, trotz ihrer klatsch nassen Haare.
Ich wusste das es falsch war, ich wusste, dass wir das hier nicht durften, vielleicht wusste ich auch schon, dass das hier nicht das letzte mal war, dass ich sie sehen würde. Und trotzdem schlief ich mit ihr, im Regen, draußen, im Park. Es war besser und gefühlvoller als das erste Mal. Ich bildete mir ein von irgendwo Musik zu hören, vielleicht war es auch nur der Takt meines oder Lou's Herzen...
————————————————————————Das vierte Kapitel! Ich hoffe ich habe euch mit dem kleinen Perspektiv-Wechsel mitten in einem Kapitel, nicht total verwirrt... viel Spaß beim Lesen ;)

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