M U S I K S T U N D E

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Samu

Nachdem sich der Schneesturm wieder einigermaßen gelegt hat, ist der normale Schulalltag nun wieder möglich. Einerseits bin ich dankbar für diese kleine Pause, da ich so meine Gefühle ein wenig ordnen konnte. Andererseits weiß ich nach wie vor nicht wie ich mit der weiteren Situation umgehen soll. Erneut wurde mir vom Direktor der Schule nahegelegt neue Talente für die Schulband anzuwerben. Gerade auf Festen und besonderen Anlässen darf sie nicht fehlen und findet insbesondere Anklang bei Eltern und Schülern. Dies führt zu mehr Spenden, welche die Schule in die Neugestaltung des Schulhofes und der Mensa investieren kann und muss.

Es ist also ein ewiger Kreislauf, der nach Möglichkeit nicht unterbrochen werden soll. Nachdem die diesjährige, sehr musikalische und stimmgewaltige 13. Klasse die Schule nun nach einem erfolgreichen Abitur verließ, liegt es an mir neue Sänger, Gitarristen und Schlagzeuger zu finden. In gewisser Weise also ein ganz schöner Druck, da nicht jede Klasse gleich ist und es mal mehr, mal weniger musikbegeisterte Schüler gibt.

So sehr ich jedoch auch mit mir hadere, muss ich leider feststellen, dass Evelyn mit eine der wenigen ist, die möglicherweise in die Band passen könnte. Sie hat alles, was man auf der Bühne braucht. Ausstrahlung, Energie und Talent. Natürlich sind ihre Künste noch ausbaufähig, aber mit etwas Übung bin ich mehr als optimistisch. Dennoch kann ich mich mit diesem Gedanken nicht so gut anfreunden. Es würde unter anderem bedeuten, dass ich in Zukunft noch mehr Zeit mit ihr verbringen müsste. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals dazu bereit wäre. Seufzend öffne ich die Tür zum Lehrerzimmer und laufe direkt in die Arme des Direktors. Na toll, wenn man vom Teufel spricht!

„Guten Morgen, Herr Haber!" Er betrachtet mich mit einem fragenden Blick. Ich weiß genau, was jetzt kommt. „Haben sie denn schon ein paar Leute zusammentrommeln können?" „Nun ja, es ist erst der zweite Schultag, ich wollte niemanden direkt damit überfallen", stammle ich herum. Das kommt bei unserem liebenswerten Direktor nicht gerade gut an. „Aber Herr Haber, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Mensa dringend renoviert werden muss."  Sein mahnender Blick ruht weiter auf mir und lässt mich um circa zehn Zentimeter schrumpfen. „Es muss doch auch in ihrem Interesse liegen, die Schule so schnell wie möglich rundum zu erneuern. Die Zahlen unser Schüler sind in den letzten Jahren praktisch in den Keller gegangen. Wir sind wirklich auf Spenden angewiesen, die wir nur mit einem weiteren Fest erreichen können.

Sonst wird die Schule möglicherweise bald dicht gemacht." „Ja, ich weiß. Ich werde mich schnellstmöglich um diese Angelegenheit kümmern, versprochen." „Danke Herr Haber, ich wusste, dass ich auf Sie zählen kann." Er klopft mir noch kurz auf die Schulter und verschwindet anschließend in seinem Büro. Ich hingegen atme kurz durch, bevor ich mich in Bewegung setze. Es führt kein Weg dran vorbei, ich benötige Evelyn dringend als Gitarristin. Doch damit ich sie einsetzen kann, braucht sie unbedingt noch Unterricht. Als ein Musikerkollege an mir vorbeiläuft, halte ich ihn aus diesem Grund kurz zurück.

„Guten Morgen! Könnten Sie sich vielleicht vorstellen einer meiner Schülerinnen nach der Schule Gitarrenunterricht zu geben?" „Tut mir leid", entgegnet dieser abwehrend. „Ich habe eine Großfamilie und bin ständig beschäftigt. Da bleibt mir für sowas leider keine Zeit." „Okay, schade", rufe ich ihm noch hinterher, doch er ist schon im Lehrerzimmer verschwunden. Auch bei den anderen Musiklehrern habe ich kein Glück. Die Ausreden sind immer die gleichen. Fehlende Zeit, Familie oder andere Aktivitäten, die weiteren Unterricht keinesfalls zulassen.

Ich seufze. Nun habe ich wirklich alles probiert, rede ich mir selbst ein. Mehr kann ich nun wirklich nicht tun. Wie selbstverständlich laufe ich zu Evelyns Klassenraum und betrete diesen. Es ist gerade die erste große Pause, weshalb ich Evelyn unter der Menge der ganzen Personen erst gar nicht ausmachen kann. Doch schließlich entdecke ich sie mit Olivia auf dem Boden sitzend. Sie hat die Beine lässig übereinander geschlagen und hat mich bisher noch nicht entdeckt, da sie in das Gespräch mit ihrer neuen Freundin vertieft ist. Ich freue mich für sie, dass sie nun doch Anschluss gefunden hat. Mit Olivia hat sie keine schlechte Wahl getroffen.

TEACH ME / Samu Haber FF Where stories live. Discover now