Die richtigen Worte zu finden ist gar nicht so einfach

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Samu:

Nun sitze ich schon eine ganze Weile hier, den Füller in der Hand, ein Blatt Papier vor mir liegen. Das grundlegende Problem bin wohl ich. Oder meine Gefühle. Vielleicht auch die Angst, dass sie sich einen anderen angelt, solange ich in Tampere lebe. Verzweifelt reibe ich mir die Augen und nehme einen großen Schluck Kaffee, der meinen Magen sofort wieder etwas erwärmt. Ich vermisse sie. Ist das nicht durchaus ziemlich krank? Wir haben uns vorgestern das letzte Mal gesehen und doch kommt es mir so vor als hätte ich ihre Anwesenheit bereits seit längerer Zeit nicht mehr gespürt. Evelyn's Körper, ihre kleinen Füße, die Wärme, welche sie ausstrahlt, wenn sie sich wieder einmal an mich kuschelt. Ihr Geruch. Sie jetzt neben mir liegen zu haben. Etwas schöneres könnte ich mir gerade nicht vorstellen. Doch wir hatten uns beide auf ein wenig Abstand geeinigt, was an sich nicht schlimm ist. Okay, vielleicht ist es schlimmer als ich dachte. Doch es ist das Richtige. Evelyn berichtete mir von ihrem ersten Schultag, der äußerst turbulent gewesen sein muss. Ich bin stolz auf sie. Natürlich wurde ich verleugnet, aber was sollte sie auch sagen: "Hey Ella, ich bin nur noch mit Samu zusammen und wir hätten fast ein gemeinsames Kind bekommen!"

Ganz sicher nicht. Ich lache leise auf und erinnere mich genau an ihre aufgeregte Stimme, als sie mir berichtete wie Ella und ihre Freundinnen genervt den Weg räumten. Ein Räuspern hinter mir lässt mich zusammenfahren. "Samu?" "Mum?" Erstaunt sehe ich sie an und falle kurz darauf in ihre weit ausgebreiteten Arme. "Was machst du hier?", flüstere ich in ihr Haar und schiebe sie etwas von mir weg um sie genauer betrachten zu können. "Siehst gut aus", sage ich schließlich um die unangenehme Stille zu durchbrechen. "Kann man von dir nicht gerade behaupten", erwidert diese. Nun ja. Ich zucke mit den Schultern. Momentan lasse ich mich ein bisschen gehen, das kann schon sein. "Man merkt wirklich, dass du keine Frau an deiner Seite hast."

Ihr Blick schweift kurz über die teilweise noch ungeöffneten Umzugskartons und die Leere, die sich überall ausbreitet. "Das nennst du Wohnung." Sie lacht leise. "Gut, dass ich mal vorbeischaue. Alleine kriegst du das nie hin." Jetzt bin ich etwas beleidigt, dass gebe ich zu. "Guck nicht so. Es ist die Wahrheit." Tzz, wenn sie wüsste. Ich habe eine Freundin und das schon seit gut einem halben Jahr, auch wenn wir uns kurzzeitig wieder trennten. Doch das zählt jetzt nicht. Scheinbar hat Sanna tatsächlich ihren vorlauten Mund gehalten und die Neuigkeit nicht ausgeplaudert, wofür ich ihr sehr dankbar bin. "Ich bleibe ein paar Tage um dir etwas unter die Arme zu greifen." "Das brauchst du nicht Mutter. Ich komme auch alleine prima klar." Sie verdreht die Augen um mir zu zeigen, dass sie das ganz anders sieht. "Jetzt bin ich hier Schatz. Ich habe sicherlich nicht die lange Strecke auf mich genommen um wieder zurückzufahren." " Na gut", brumme ich etwas unschlüssig. "Und wo willst du schlafen?" "Ich habe mich in ein Hotel einquartiert. Es liegt ganz in der Nähe." Ich seufze erleichtert. Immerhin will sie die Nacht nicht hier verbringen. Ich hätte eh keinen Schlafplatz für sie gehabt. "Was machst du da eigentlich?" Neugierig starrt sie über meine Schulter und runzelt beim Anblick des Briefpapiers die Stirn. "Seit wann schreibst du Briefe?" In ihrer Stimme schwingt Überraschung mit. "Ach, ein Schreiben für die Arbeit", rede ich mich hastig aus der Sache raus, doch meine Mutter lässt nicht locker und erwidert trocken: "Ach ja, natürlich du willst deinem Chef imponieren oder warum sehe ich da rosa Herzen?" Sie grinst, während ich einen roten Kopf bekomme. "Das geht dich echt nichts an!" "Ist ja schon gut."

Beschwichtigend hebt sie die Arme, obwohl ihr Grinsen eine andere Sprache spricht. "Ach Mann, Samu. Du bist 39 und schreibst Liebesbriefe. Das ist wirklich süß." "Könnten wir bitte das Thema wechseln?", frage ich nun mehr als genervt. Erst schleicht sich meine Mutter einfach so herein und erschreckt mich zu Tode, um sich dann über mich lustig zu machen. Toll. Ganz toll. "Moment mal.. Wie bist du überhaupt hier reingekommen?"

"Die Tür stand halb offen.. Du brauchst dich echt nicht wundern, wenn die Einbrecher bald ein- und ausgehen. Meiner Meinung nach verdammt leichtsinnig."
"Ja, ja." Erneutes Augenverdrehen auf beiden Seiten. "Sag mal, hast du zugenommen? Sie pickst mir in den Bauch und legt den Kopf schief. Also jetzt reicht's aber! "Mutter, was ist dir heut für ne Laus über die Leber gelaufen? Das sind Muskeln, Mann! Ich achte wenigstens auf meinen Körper! Im Gegensatz zu anderen Personen.. Ich frage mich warum du überhaupt gekommen bist. Um mich fertig zu machen? Vielen Dank, dass ist dir bereits gelungen.." Ich setze mich zurück an den Schreibtisch und tue so als würde ich mich dem Brief widmen. Doch mit den stechenden Blicken im Rücken ist das unmöglich! "Warum bist du wirklich gekommen?" Eine kleine Pause entsteht. Meine Mum nimmt sich einen Stuhl und setzt sich neben mich. "Ich mache mir einfach Sorgen um dich. Ich meine.." Sie druckst etwas herum, "du wirst bald 40.." ".. und ich hab immer noch keine Familie gegründet, geschweige denn eine feste Freundin, dass meinst du, oder?" Sie nickt leicht. "Ich will dich nicht kränken oder so. Aber Samu, du bist wirklich ein attraktiver Mann und ich kann nicht verstehen warum du immer noch an die Sache mit Lucy denkst und grundsätzlich jedem weiblichen Wesen misstraust. Ich weiß, dass sie dich verletzt hat, doch muss das irgendwann aus deinem Kopf verschwinden!"

"Eben sagtest du noch ich hätte zugenommen.. " "Das war so nicht gemeint.. Aber du siehst echt schlecht aus, deshalb ist mir das wohl so rausgerutscht. Es tut mir Leid." Sie legt ihre Hand auf meine und streichelt sanft darüber. Irgendwie rührt mich diese winzige Geste und ich erzähle schließlich von Evelyn. Ihr Alter lasse ich vorerst außen vor.. Irgendwann wird sie es erfahren, jedoch nicht jetzt. "Das freut mich so unendlich Samu! Ich hoffe, dass ich sie bald kennenlernen darf.." "Irgendwann", erwidere ich. "Sie wohnt in Helsinki, deshalb ist es momentan etwas schwierig sich zu treffen."
"Ihr werdet das zusammen meistern, da bin ich mir sicher." Ein kleiner Kuss auf die Stirn. Ich lächle. Meine Mutter ist manchmal schon recht komisch, doch im Prinzip kann ich ihr nie lange böse sein. So auch jetzt. "Ich mach mich dann mal an die Arbeit", ruft sie plötzlich aus und begibt sich in den Nebenraum. "Soll ich dir helfen?"

"Nein, ich schaff das schon allein, kümmer du dich um den Liebesbrief!"
"Okay." Zum wahrscheinlich dritten Mal an diesem Tag verdrehe ich die Augen. Kann auch nicht gesund sein... Aber was soll man(n) machen wenn die Mutter einen zur Weißglut treibt? Genau, ignorieren und endlich anfangen zu schreiben. Ich weiß ganz genau was ich schreiben möchte, doch gleichzeitig habe ich nicht die Kraft es auf's Papier zu bringen. Ich bin nicht der romantische Typ, aber dieser Brief soll sie zu Tränen rühren. Allein deshalb werde ich mir Mühe geben.

Liebste Evelyn..

Nee, dass hört sich kitschig an. Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter. Gut ich korrigiere.. es ist definitiv nicht einfach einen Liebesbrief zu schreiben, besonders wenn er einem selbst gefallen soll. Es scheitert ja bereits an der Anrede...
Ich glaube vor mir liegt noch ein langer Abend.
Was tut man nicht alles für die Liebe seines Lebens..

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt