40: Cas' Reaktion

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Lucas:

Mein Herz rast, während ich auf seine Reaktion warte.
Es war der Horror, diese Worte auszusprechen, aber jetzt sind sie endlich raus und ich bin frei.

Das erste, was er dann sagt ist: „Scheiße“
Ich bringe ein Nicken zu Stande. Er hat mich noch nicht rausgeworfen oder ist ausgerastet, also kann ich weiter reden.
„Aber heutzutage ist HIV nicht mehr schlimm. Man kann eigentlich ganz normal leben, solange man von der Infektion weiß und sie behandeln lässt. Ich war auch nicht ansteckend, weil ich meine Medikamente genommen habe, also auch nicht beim Sex, aber ich hab’s die letzten Wochen einfach vergessen. Deshalb hab ich grade in der Klinik angerufen. Die meinten, ich soll es jetzt wieder nehmen und so schnell wie möglich zum Doc und mir Blut abnehmen lassen, um rauszufinden, ob das Virus mutiert ist. Falls ja, bringen meine Tabletten nichts mehr und ich muss umgestellt werden. Es ist aber schwer für Mutanten die richtige Eindämmung zu finden. Wenn ich über der Nachweisgrenze bin, bin ich auch wieder ansteckend, aber im Gegensatz zum allgemeinen Glauben, kann ich dich nicht durch  Speichel oder Schweiß anstecken. Das passiert nur bei Sperma oder, was aber auch unwahrscheinlich ist, Urin und weil ich weder vorhabe dich anzupissen noch mit dir zu schlafen, bist du sicher.“
Nach meinem letzten Satz versuche ich zu lächeln, was mir aber kläglich misslingt.

Cas schüttelt den Kopf und hebt abwehrend die Hand. „Ich bin schwul und bottom, ich kenne mich mit den Fakten aus, Lucas. Erzähl mir lieber wie du dich angesteckt hast und was wir jetzt machen“

Er hat wir gesagt.
Hat er wir gesagt?
Ja, er hat wir gesagt.

Er nimmt das ganz normal hin als sei es nichts?
Ja, das tut er, denn in seinem Blick sehe ich weder Mitleid noch Ekel.
Nicht so wie bei meinen Eltern.

„Ich weiß nicht, von wem ich es habe. Ich habe mich an die meiste Zeit aus Argentinien gar nicht mehr erinnern“, gebe ich zu.
Er nickt verstehend.

„Darf ich bitte mit zu deinem Arzt?“, fragt er dann kleinlaut.
Ich mustere ihn, um festzustellen, ob es echt ernst meint.

Dann seufze ich. „Ich weiß nicht, ob ich dir das schon zutraue. Was ist, wenn es dir draußen alles zu viel wird?“
Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Es kann sein, dass du schwerkrank werden und sterben könntest und du interessierst dich dafür, ob ich überfordert sein werde, wenn ich das Haus verlasse?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich will nur, dass es dir gut geht“
Er seufzt und setzt sich nah neben mich, seine Hand legt er auf mein Knie. „Mir geht es nur gut, wenn ich weiß, dass es dir gut geht. Also können wir jetzt bitte zu deinem Arzt gehen?“

Mein Blick wandert zu der Stelle, wo er mich anfasst.
Dann sehe ich ihm in die Augen.
Er hat nicht einmal Angst davor, mich zu berühren.
Mein Vater will mich bis heute nicht mehr anfassen, bei meiner Mutter hat es ein Jahr gedauert, bis sie sich wieder getraut hat.

„Lucas“ Er fordert eine Antwort. Das einzige, das ich in seinem Blick sehen kann, ist Sorge.
Das bringt mich zum Lächeln. „Ja, los,  gehen wir.“

Ich will aufstehen, aber er zieht mich zurück.
Fragend sehe ich ihn an, seine Hand wandert zu meiner Wange. „Hattest du ernsthaft Angst, ich würde nichts mehr mit dir zu tun haben wollen, wenn ich das weiß?“ Er klingt so als wolle er mich mit diesen Satz für dumm erklären.
Ich seufze. „Ich weiß nicht. Innerlich wusste ich, dass du nicht so einer bist, aber andererseits... Keine Ahnung ich hatte einfach Angst. Viele Menschen denken, sie müssen Leute wie mich einfach nur ansehen und würden tot umfallen, aber so ist es nicht. Ich bin auch keine wandelnde Seuche. Ich bin ich.“
Cas lächelt leicht. „Und ich liebe dich genauso so wie du bist.“
Ich lächele glücklich.

Es ist unglaublich, das von ihm zu hören, nach allem, was uns passiert ist und nach allen meinen unberechtigten Sorgen.
Doch lange bleibt mir keine Zeit mich zu freuen, denn schon bald nähert sein Kopf sich meinem an.
Mein Lächeln weicht dem Schock.

Will er mich küssen?!
Und es ist das erste Mal, das sich nicht abblocke, als ich das denke, weil ich weiß, dass er mich nicht verurteilt oder mich nur zum Spaß ausnutzen will.

Es ist das erste Mal, dass ich erwidere, als seine Lippen auf meinen landen und das erste Mal, dass ich bei einem Kuss innerlich fast explodiere, obwohl es nur ein leichter ist.

Als er sich wieder von mir löst, murmele ich ein „Ich liebe dich auch“, als ich ihm meine Lippen aufdrücke und er merklich lächelt.
Kurz danach zieht er mich auf die Beine. „Komm jetzt, deine Gesundheit ist wichtiger als rumzuknutschen“
Lächelnd lasse ich mich von ihm in den Flur ziehen, wo  wir uns Jacken überwerfen und dann das Haus verlassen.

Draußen greife ich nach seiner Hand, weil an der Straße ein relativ lautes Auto vorbeirast.
Er lächelt mich dankbar an, wir gehen zu meinem Auto.

Als wir drin sitzen, schüttelt er missbilligend den Kopf. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du diesen Protzwagen freiwillig fährst“
Ich muss lachen, als ich den Schlüssel ins Schloss stecke. „Wieso denn, man kann einen Hammer Auftritt hinlegen“
Er steckt sich überraschend zu mir und küsst meine Wange. „Das machst du auch so“

Grinsend sehe ich zu ihm, ehe ich mich umschaue, damit ich aus meinen Parkplatz fahren kann.
„Weißt du, du bist auch nicht so schlecht“, meine ich dann beiläufig.
Ich sehe es zwar nicht, aber ich höre seinen empörten Laut und könnte schwören, er verdreht grade die Augen.

Als wir auf der Autobahn in Richtung der Klinik unterwegs sind, lege ich meine Hand auf der Ablage ab und Cas nimmt sie sofort in seine.
Ich lächle ihm kurz zu, er mir ebenfalls.

Dann lacht er los. „Oh Mann, ich kann nicht glauben, dass das echt passiert. Ich meine, hallo? Du und ich grinsen uns an wie ein paar verliebte Idioten. Das ist so unwirklich“

Da hat er recht, aber es ist auch wunderschön.

Liebe ist auch nur eine Sucht (boyxboy)Where stories live. Discover now