9: Dunkelheit und Licht

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Lucas:

Dass ich mir auf meinem Weg nachhause den Arsch abfriere, ist mir relativ egal. Es war wichtig, Cas irgendetwas zu geben, an dem er sich festhalten kann, wenn alle Stricke bei ihm reißen und ich nicht da bin, um ihn aufzufangen.

Leider löst der Umstand meiner späten Heimkehr in Kombination mit dem Fehlen meiner Jacke nicht wirklich große Freude bei meiner Mutter aus. Als ich nämlich das Wohnzimmer betrete, springt sie auf und schreit mich an. „Du hast Hausarrest, das bedeutet sofort nachhause zu kommen, wenn die Schule aus ist!"
Ich hebe beschwichtigend die Hände. „Ein Freund hat meine Hilfe gebracht, Mum"
„Wo ist überhaupt deine Jacke? Sag nicht, du bist ohne Jacke nachhause gekommen! Wieso bist du so unvorsichtig?!"
In Wahrheit hat sie einfach nur Angst um mich, das weiß ich. Aber manchmal nervt sie mich einfach. Selbst, wenn meine Krankheit mich umbringen sollte, dann wäre es ja nicht ihr Problem. Im Gegenteil, sie wäre viele Sorgen los.

„Mir geht's gut, Mum, reg dich ab" Ich gehe auf sie zu und lege meine Hände auf ihre Schultern, sehe sie eindringlich an, um ihr klar zu machen, dass alles in Ordnung ist.
Es zeigt tatsächlich Wirkung, meine Mum beruhigt sich langsam und umarmt mich dann. „Sei nicht immer so egoistisch, Lucas. Dein Leben geht nicht nur dich etwas an"
Seufzend fahre ich ihr über den Kopf.

Ich weiß ja, dass sie Recht hat, aber ich will nicht immer an alle andern denken müssen. Ich bin verdammte 19 Jahre alt und nur weil ich krank bin, darf ich nicht leben wie andere in meinem Alter. Ich hasse das. Ich hasse die Krankheit und manchmal hasse ich mich selbst für meine Dummheit. Zwar habe ich dank dem medizinischen Fortschritt so gut wie keine Einschränkungen und ein normales Leben, aber trotzdem wäre alles einfacher, wenn ich diesen einen Fehler niemals gemacht hätte.
Da dieser Wunsch aber nichts an dem Geschehenen endet, muss ich endlich aufhören darüber nachzudenken und mich auf mein jetziges Leben konzentrieren, um das Beste daraus zu machen.

„Kannst du Dad bitte nicht sagen, dass ich gegen den Hausarrest verstoßen habe? Er würde sich nur aufregen und ich habe es wirklich nur getan, weil ein Freund mich gebraucht hat" Flehend sehe ich mein Mutter an, als ich sie wieder von mir schiebe.
Sie mustert mich kurz, ehe sie nickt.
Dann verabschiede ich mich in mein Zimmer, um erstmal runterzukommen.

Das Gespräch mit Cas hat so viele alte Erinnerungen wieder hochgeholt, die ich ziemlich gut verdrängt habe. Seine Drogenabhängigkeit war für uns beide eine sehr schwere Zeit und ich bin froh, dass wir sie hinter uns haben.
Mir ist aber klar, dass Cas jemanden braucht, der sich um ihn kümmert, das war schon immer so. Vielleicht ist er immer gut drauf und genießt das Leben mit allem, was es zu bieten hat, doch da ist diese kleine Dunkelheit in ihm, die ihm sagt, wie wenig er wert ist, dass er immer ein Außenseiter sein wird, dass er nie stark genug sein wird, um ohne seine Drogen klarzukommen. Und immer, wenn diese Dunkelheit droht, all das Licht zu verdrängen, das von seinem hellen Herzen ausgeht, dann braucht er jemanden, der seinem Herz genügend Kraft gibt, hell genug zu leuchten, um die Dunkelheit auf ein Minimum zu beschränken. Natürlich wird man sie niemals gänzlich besiegen können, doch ich war mir schon immer sicher, dass er mit dem richtigen Partner an seiner Seite lernen wird, damit zu leben.

„Ich wusste gar nicht, dass du Freunde hast" Meine Schwester kommt ohne anzuklopfen in mein Zimmer und wirft sich auf meinen Sitzsack.
Ich werfe ihr einen genervten Blick zu.
Sie hat ja Recht, aber es ist meine eigene Entscheidung, mich von Menschen fernzuhalten. Die meisten Leute, die ich kenne, sind einfach nur falsche Schlagen und die anderen kenne ich nicht gut genug, um es beurteilen zu können. Ich bin jemand, der lieber die sichere Distanz wahrt, als Gefahr zu laufen, dass mich jemand verletzt oder abstößt.
Außerdem bedeutet Kontakt zu anderen, dass man ihnen irgendwann, ob freiwillig oder unfreiwillig, seine Geheimnisse anvertraut und wenn meines ans Licht kommt, dann ist das das Ende für mein soziales Leben, zumindest solange ich in der Schule von so unreifen Kindern umgeben bin.
Ich erspare mir also das gesamte Drama und den Schmerz, in dem ich für mich bleibe.

„Vielleicht solltest du mich am Freitag begleiten. Ich gehe mit ein paar Leuten aus dem Team und Freunden ein bisschen feiern. Aber keine Sorge, nicht zu hart. Du könntest mitkommen und den großen Bruder spielen" Sie wechselt die Position vom Sitzsack auf mein Bett, um sich zu umarmen.
Ich lasse sie machen, erwidere aber nicht. „Mum und Dad würden dir das niemals erlauben und mir erstrecht nicht", spreche ich die unanfechtbare Wahrheit aus.
Sie sieht mich an, wackelt mit den Augenbrauen. „Sie müssen es ja nicht erfahren"
„Vergiss es, da mach ich nicht mit. Und du solltest es auch nicht machen."
Wieder so eine Sache, die bei mir anders ist.
Andere 19-jähringen Jungs würden jede Gelegenheit nutzen, Party zu machen, vor allem, wenn sie eigentlich schon ziemlich beliebt sich, sowie ich, aber meine Wenigkeit genießt die Einsamkeit und mit ihr die Sicherheit.
Ich will niemandem verurteilen, der das nicht tut, immerhin sind andere nicht in meiner Lage. Trotzdem finde ich viele Jugendliche sollten mal drei, vier Gänge zurückschalten.

Hätte ich das damals gemacht, wäre mein Leben anders verlaufen...

Liebe ist auch nur eine Sucht (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt